Investitionen in Biodiversität lohnen sich

Um die Nachhaltigkeitsziele in ihrer Gesamtheit zu erreichen, ist es sinnvoll, auf die Karte Natur zu setzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern schon lange, der Natur Priorität einzuräumen: in allen Entscheidungen, im privaten Konsum, aber auch im Handel oder in der Finanzwirtschaft. Auch Firmen, die abhängig sind von Naturleistungen, können Biodiversität in ihrer Wertschöpfung berücksichtigen und damit ihre Performance verbessern.

Biodiversität
Abbildung 1 zeigt den Einfluss der beiden Biodiversitäts-Nachhaltigkeitsziele SDG 14 und 15 (Leben unter Wasser bzw. Leben an Land) auf die anderen Ziele. Der Zusatznutzen ist im Kreis blau, Zielkonflikte sind rot markiert.

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung will weltweit menschenwürdiges Leben schaffen, und sie betrifft sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer. Sie enthält 17 globale Ziele (Sustainable Development Goals SDGs): Sie sollen beispielsweise nicht nur Armut und Hunger reduzieren, sondern auch die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten, intelligente Innovationen oder eine leistungsfähige Industrie ermöglichen. So verschieden die Themen und Herausforderungen sind, sie sind stark miteinander verknüpft. Manche Ziele bedingen sich gegenseitig, und die Erreichung eines Ziels (z.B. der Zugang zu sauberem Wasser) führt zu einem Zusatznutzen bei einem anderen (Förderung der Gesundheit). Manche hingegen stehen eher in Konflikt – will man das eine Ziel erreichen, schadet man einem anderen. Dies wird in Abbildung 1 illustriert: Sie zeigt den Einfluss der beiden Biodiversitäts-Nachhaltigkeitsziele SDG 14 und 15 (Leben unter Wasser bzw. Leben an Land) auf die anderen Ziele. Die Daten sind das Ergebnis einer systematischen Zusammenstellung des aktuellen Wissensstandes über die Wechselwirkungen zwischen den Nachhaltigkeitszielen (Pham-Truffert et al 2019). Ergibt sich durch die Wechselwirkung ein Zusatznutzen, ist dieser im Kreis blau markiert, die Zielkonflikte sind rot markiert. Die schmalen Kreise signalisieren entweder Wissenslücken oder auch schwächere Wechselwirkungen zwischen zwei Zielen.

Biodiversität – stärkster Hebel zur Erreichung von Nachhaltigkeit

Neuere Studien zu den Wechselwirkungen zwischen den SDGs haben den Erhalt der Biodiversität als einen der stärksten Hebel zur Erreichung von Nachhaltigkeit identifiziert. Dies zeigt ein neues Faktenblatt der Akademien der Wissenschaften und des Sustainable Development Solutions Network (SDSN) Schweiz (Obrecht et al 2021). Es macht deutlich, dass sich Investitionen in die «Biodiversitätsziele» SDG 14 (Leben im Wasser) und SDG 15 (Leben an Land) ausgesprochen günstig für die Erreichung aller anderen Ziele erweisen (siehe Abbildung 1). So ist eine reiche Biodiversität unter anderem wichtig für die Ernährungssicherheit, für Gesundheit und Wohlbefinden, sauberes Trinkwasser, Wirtschaftswachstum und nachhaltige Städte – und sie unterstützt die Bewältigung der Klimakrise.

Am Beispiel nachhaltiger Städte und Gemeinden (SDG 11): Hier zeigt es sich, dass sich Investitionen in biodiverse und grüne Flächen in und um städtische Gebiete lohnen, da sie Städte und Siedlungen freundlicher, gesünder, und widerstandsfähiger machen. Biodiversität trägt insbesondere zur Verbesserung der Luftqualität, zur städtischen Kühlung, Lärmminderung, Verbesserung von Wasserabfluss und Vermeidung von Überschwemmungen sowie zur Bereitstellung von Grünflächen für die Erholung bei. Dementsprechend sollte man Biodiversität viel stärker in Stadtplanung und -entwicklung integrieren und dabei Architektur und Stadtplanung, Gartenbau, das Unternehmertum und die Öffentlichkeit miteinbeziehen.

Am Beispiel Klimaschutz (SDG 13): Intakte Ökosysteme können den Klimawandel abschwächen und helfen, sich besser an diesen anzupassen. Die Ozeane und Landökosysteme wie Moore und vielfältige Wälder tragen erheblich zur Minderung des Klimawandels bei. Sie stellen weltweit bedeutende Kohlenstoffspeicher dar, absorbieren etwa die Hälfte der anthropogenen CO2-Emissionen und sind natürliche Puffer gegen extreme Klima- und Wetterereignisse. Die Wiederherstellung von 15 Prozent degradierter Flächen könnte 60 Prozent des erwarteten Artensterbens verhindern und gleichzeitig 300 Gigatonnen CO2 binden, was 30 Prozent des gesamten CO2-Anstiegs in der Atmosphäre seit der industriellen Revolution entspricht. Naturbasierte Lösungen («Nature-based Solutions») sind die kosteneffizientesten und nachhaltigsten Möglichkeiten, dem Klimawandel und seinen Auswirkungen zu begegnen.

Klima- und Biodiversitätskrise gemeinsam angehen

Umgekehrt lässt sich die Biodiversität nur bewahren, wenn es gelingt, den Klimawandel markant zu verlangsamen. Denn weltweit gilt der Klimawandel nach Landnutzungsänderungen und Rohstoffabbau als die drittstärkte Bedrohung für die Biodiversität, mit steigender Tendenz. Auch sonst werden Biodiversitätsziele besonders stark geschädigt, wenn man sie bei der Umsetzung anderer Nachhaltigkeitsziele ausser Acht lässt, zum Beispiel bei der Produktion von Nahrung und Energie. Der Bericht 2019 des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) stellt ein weltweit drastisch beschleunigtes Artensterben fest. Insgesamt sind 0,5 bis 1 Million von rund 8 Millionen Arten gefährdet, und 14 von 18 Leistungen der Natur wie Bestäubung oder saubere Luft sind am Schwinden. Das Wachstum des globalen Handels sowie der globalen Wirtschaft sind die Hauptursachen, die der Bedrohung der Biodiversität zugrunde liegen. In den letzten 30 Jahren hat sich die globale Ökonomie ums Siebenfache und der globale Handel ums Achtfache gesteigert.

Was tun gegen die Biodiversitätskrise?

Ein grosses Handlungspotenzial liegt bei Fehlanreizen durch Subventionen, welche die Biodiversität beeinträchtigen. Eine Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und des Forums Biodiversität Schweiz der (SCNAT) identifiziert über 160 Subventionen in acht unterschiedlichen politischen Bereichen mit einem negativen Effekt auf die Biodiversität (Gubler et al 2020). Der Grossteil der biodiversitätsschädigenden Subventionen fällt in den Sektoren Verkehr, Landwirtschaft und Energieproduktion/-konsum an. Ihr Ausmass übersteigt das Naturschutzbudget um ein Vielfaches. Die Studie gibt Empfehlungen, welche Subventionen man umgestalten oder allenfalls abschaffen müsste.

Transformativer Wandel ist nötig

Sowohl der Weltklimarat (IPCC) als auch der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) betonen, dass business as usual keine Option mehr ist. Es gilt uns auf den Weg zu machen zu einem grundlegenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel, zu einer Transformation. Diese bedingt nicht nur technologische, ökonomische und soziale Veränderungen, sondern auch Anpassungen unserer Paradigmen, Ziele und Werte. Im Zentrum steht die Entkopplung von guter Lebensqualität und Wirtschaftswachstum beziehungsweise Ressourcenverbrauch. Ein geteiltes Verantwortungsgefühl für die Natur ist eine Grundvoraussetzung, um den anhaltenden Biodiversitätsverlust durch die grossflächige Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität rückgängig zu machen. Auch die Schweiz will ihre nachhaltige Entwicklung vorantreiben mit einer neuen Strategie für die nächsten zehn Jahre, die gerade in Vernehmlassung war (siehe unter www.are.admin.ch/sne). Dabei soll die Biodiversität (mit Klima und Energie) neben nachhaltigem Konsum und Produktion sowie Chancengleichheit einen der Schwerpunkte bilden.

Was können Firmen tun?

Um eine Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft voranzutreiben und den Anteil nachhaltig produzierender Betriebe zu erhöhen, kann der Staat durch Innovationsförderung und Unterstützung funktionierender Nischenbranchen/-produkte helfen. Auch die Information über den Ressourcenverbrauch sowie Transparenz bezüglich der Herkunft von Rohstoffen und Materialien helfen auf der Seite der Konsumentinnen und Konsumenten. Eine erhöhte Rechenschaftspflicht der Unternehmen bezüglich ihrer Umweltauswirkungen und die richtigen Anreize, beispielsweise die bessere Offenlegung der Abhängigkeit und des Einflusses des Privatsektors auf Biodiversität und Ökosystemleistungen, würde helfen, den Privatsektor an der Umsetzung der Umweltnachhaltigkeitsziele zu beteiligen. Neue Koalitionen und Initiativen wie das Science Based Targets Network (https://sciencebasedtargetsnetwork.org/), Business for Nature (https://www.businessfornature.org) und We Value Nature (https://wevaluenature.eu/) sind Plattformen, über die der Privatsektor in die globalen Bemühungen zur Bekämpfung des Biodiversitätsverlustes eingebunden werden kann. Eine sehr nützliche Anleitung, wie Unternehmen ihre «Biodiversitätsperformance» planen und überwachen können, hat die International Union for Conservation of Nature (IUCN) kürzlich erarbeitet (Stephenson & Carbone 2021).

Autorin: Dr. Eva Spehn, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forum Biodiversität Schweiz der Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) in Bern. www.scnat.biodiversitaet.ch

 

Quellen

 

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