Die solare Fassade kommt leider nicht vom Fleck

Im Winterhalbjahr ist der Stromverbrauch hoch und der Sonnenstand tief – eine ideale Voraussetzung für eine Gebäudehülle mit Photovoltaik. Die Solartechnologie boomt, doch an der Hausfassade hat sie es schwer.

Die Solarfassade des Sport- und Freizeitzentrums Wallisellen setzt einen Farbtupfer und deckt den Eigenverbrauch ab. Foto: R. Strässle

Schon von Weitem leuchtet dem Besucher der Sport- und Freizeitanlage in Wallisellen die Fassade entgegen. Der rote Farbtupfer auf dem grosszügigen Sportareal der Zürcher Agglomerationsgemeinde hat einen energetischen Hintergrund. Mit dem Projekt beschreiten die Bauherrschaft und der lokale Energiedienstleister innovative Wege, um die erneuerbare Stromproduktion zu fördern. Zwei Fassaden sind mit farbigen Solarzellen bestückt. Zusammen mit der Photovoltaik (PV) auf dem Dach sorgt die 3800 Quadratmeter grosse Solarfläche für jährlich 600 000 Kilowattstunden Strom. Damit könne man erneuerbare Energie für 140 Haushalte produzieren, heisst es beim lokalen Energiedienstleister die werke.

Das Eisfeld mit Sonnenstrom aufbereiten

Die Solaranlage auf dem Sportareal in Wallisellen gehört von der Grösse her momentan unter die Top 15 im Kanton Zürich. In der rund 15 000 Einwohner zählenden Stadt ist es die zweite Strom produzierende Fassade dieser Grössenordnung. Mit der Anlage kann sich die Sportstätte – übers Jahr gerechnet – selbst mit Strom versorgen. Auch im Herbst nutzen die Betreiber die Sonnenkraft, um das 3400 Quadratmeter grosse Eisfeld aufzubereiten. Im Winter wird es dank PV-Anlage CO2-freundlich gekühlt. Interessant ist aber auch die finanzielle Seite: Laut Energieversorger ist der Solarstrom günstiger als derjenige aus dem Netz.

Der Walliseller Energiedienstleister hat sich ein Stück weit die Dekarbonisierung auf die Fahne geschrieben. Er möchte seine PV-Produktion bis ins Jahr 2030 verzehnfachen: «Unser Ziel heisst zehn Gigawattstunden Solarstrom, womit wir bis zu 2500 Haushalte bedienen können», sagt Louis Krähenbühl, Produktmanager Energieversorgung. Im Contracting-Verfahren lässt die werke auf Kundenwunsch PV-Anlagen realisieren.

Je heller die Farbe, desto grösser der Leistungsverlust

Bei der Solarenergie seien heute praktisch alle Farben und vielfältige Formen möglich, so Krähenbühl. Aber er warnt: Sonderwünsche würden die Kosten in die Höhe treiben. Krähenbühl weist auf einen interessanten Punkt bei eingefärbten PV-Modulen hin: Je heller die Farbe, desto mehr Leistungsverlust. Wünsche ein Bauherr beispielsweise eine Fassade mit weissen Modulen, müsse er mit einer Stromertragseinbusse von rund 40 Prozent rechnen. Bei den für die Sportanlage verwendeten rötlichen Modulen liege der Verlust bei rund 20 Prozent.

Dass sich eine solare Fassade bei einem Neubau einfacher und kostengünstiger umsetzen lässt, da man sie bereits in einer sehr frühen Phase planen kann, versteht sich von selbst.

Gerne würde der lokale Energiedienstleister vermehrt solare Fassaden realisieren, denn sie sind besonders in Winterhalbjahr, wenn die Stromnachfrage gross ist, interessant. Doch gerade im Bestandesbau sei es nicht einfach, geeignete Flächen zu finden, erklärt Krähenbühl. «Häufig sind die gut besonnten Seiten eines Hauses bereits mit grossen Fenstern oder Balkonen bestückt.»

Zudem sei der Bauherr eher kritisch bezüglich der Ästhetik seiner Hausfassade, auch wenn die Farbpalette und die Auswahl an Formen der PV-Module heute gross seien. Da stosse eine Solaranlage auf dem Dach beim Hausbesitzer auf viel weniger Widerstand.

Das ist schade, denn die Solarzellen an der Gebäudefassade haben diverse Vorteile gegenüber einer PV-Anlage auf dem Dach: Der Stromertrag ist laut Fachleuten übers ganze Jahr ausgeglichener – ergo ideal für das Winterhalbjahr mit tieferem Sonnenstand. Zudem bleibt kein Schnee auf den vertikal angelegten Solarmodulen.

Fächerförmige Häuser bauen Für mehr solare Architektur setzt sich auch Beat Kämpfen (Kämpfen Zinke + Partner Architekten) ein. Er hat 2001 mit Sunny Woods, das damals auf grosses Echo stiess, das erste Null-Heizenergie-Haus der Schweiz mit einer Dünnfilm-PV-Anlage auf dem Dach realisiert. Zu seinem Repertoire gehören aber auch Bauten mit Solarfassade, denn für ihn ist klar, dass heutzutage die Förderung des Winterertrags im Vordergrund steht. Für sein nach Minergie-P realisiertes Holzbau-Mehrfamilienhaus mit einer bräunlichen Photovoltaik-Gebäudehülle am Standort Höngg in der Stadt Zürich hat er 2019 den Schweizer Solarpreis erhalten (siehe Foto unten). Speziell an diesem Gebäude sind die PV-Module aus Glas, die mit einem kleinteiligen Raster farbig bedruckt sind. Sie enthalten auch schwarze, jedoch nicht sichtbare Quadrätchen. Deshalb liegt der Leistungsverlust dieser Module unter 20 Prozent.

Solarfassade
Wie hier in Zürich-Höngg eignen sich auch Mehrfamilienhäuser für ein Solarkleid an der Fassade. © Kämpfen Zinke + Partner AG

Um mehr erneuerbare Energie im Winter zu gewinnen, plädiert Kämpfen grundsätzlich für eine neue Architektur: «Optimal wären fächerförmige Häuser mit möglichst grosser Fläche mit Südost- bis Südwestausrichtung.» Gestalterisch sei es oft schwierig, Bestandesbauten an der Fassade mit Solarmodulen auszurüsten.

Die Planung sei komplex und aufwendig, was die Kosten in die Höhe treibe, so der Architekt.

Beispielhafte Sanierungen mit Solarfassade

Solarfassade
Wie hier bei diesem bald schon alten Solarklassiker in Flums könnten Bürohäuser vermehrt mit einer Photovoltaikfassade bestückt werden. Foto: R. Strässle

Aller Komplexität zum Trotz – einer, der Sanierungen und Umbauten mit nachträglicher Solarfassade nicht scheut, ist Karl Viridén. Er hat mit seinem Architekturbüro schon mehrmals gezeigt, was diesbezüglich möglich ist, und entsprechende Akzente gesetzt: Mustergültig ist das bereits vor längerer Zeit sanierte und ästhetisch gelungene Bürogebäude des Dämmstoffherstellers Flumroc in Flums SG, das zum Plusenergiebau mutierte – und einst den Solarpreis einheimste: ein Beispiel für eine gelungene PV-Integration an der Fassade (siehe Foto oben). Eine neue, fast unscheinbare Photovoltaik-Umhüllung hat das Architekturbüro aber auch einem 40 Jahre alten Mehrfamilienhaus mit neu 28 Wohnungen in der Stadt Zürich verpasst. Ein solares Kleid in gräulichem Farbton, das dadurch gegenüber einer schwarzen Solarfassade einen Leistungsverlust von rund 39 Prozent aufweist. Gleichwohl wurde dieser Altbau so saniert, dass er heute ein PEB, also ein Plusenergiebau, ist, der im Jahresdurchschnitt für Heizung, Warmwasser und Strom mehr elektrische Energie produziert, als er benötigt. Bei diesem sanierten Gebäude handelt es sich um ein vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstütztes Leuchtturmprojekt (siehe Foto unten).

Solarfassade
Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, dass die graue Fassade dieses Gebäudes aus Solarzellen besteht. Foto: R. Strässle

Neues SIA-Merkblatt kommt

Fragt man den Solararchitekten Viridén, weshalb es mit den Fassaden nicht schneller vorwärtsgeht, spricht er Klartext: «Erst wenige Architekten sind auf diesem Gebiet genügend bewandert. Es fehlen Hilfestellungen, Normen, man scheut wohl das Risiko.» Seine Hoffnung ruht unter anderem auf dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA). Derzeit werde das neue SIA-Merkblatt 2062 ausgearbeitet, das sich mit der Integration von Photovoltaik an Gebäuden auseinandersetze. Das könnte den Weg ebnen, dass sich seine Berufskollegen vermehrt an das Thema heranwagten, sagt Viridén. Das zögerliche Verhalten von Bauherren und Architekten dürfte kaum an der Kostenfrage scheitern. «Innert 15 Jahren hat ein Bauherr die Mehrkosten einer Solarfassade gegenüber einer konventionellen Bekleidung mit dem Stromertrag wieder eingespielt.» Doch vielleicht wüssten das viele nicht.

Das Sonnenpotenzial wäre gross

Der Stromverbrauch der Schweiz ist bekanntlich im Winter deutlich höher als im Sommer. Deshalb resultiert in der kalten Jahreszeit auch ein Importüberschuss von durchschnittlich vier Terawattstunden (TWh). Er dürfte mit dem Wegfall von weiteren Atomkraftwerken noch zunehmen. Bedeutend für die Versorgungssicherheit sei insbesondere auch der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien, heisst es dazu im bundesrätlichen Bericht «Stromerzeugung im Winter dank Photovoltaik», veröffentlicht im Juni 2021. Die Studie, die auf ein Postulat des ehemaligen SP-Nationalrats Mathias Reynard zurückgeht, zeigt auf, wie sich mit Photovoltaik an und auf Gebäuden Strom für das Winterhalbjahr steigern liesse: Die Solarkataster von sonnendach.ch und sonnenfassade.ch weisen für die Gebäude der Schweiz einen jährlichen Energieertrag von 50 TWh und 17 TWh für die am besten geeigneten Dach- und Fassadenflächen aus, also insgesamt 67 TWh.

Verstärkt auf winteroptimierte PV-Anlagen setzen

Gemäss Bundesamt für Energie könnte 2050 die Stromproduktion aus PV-Anlagen jährlich bei gegen 34 TWh liegen. Fakt ist, dass die hierzulande installierten Anlagen Ende 2019 jährlich rund 2,5 TWh Solarstrom produziert haben, davon gerade mal 0,7 TWh oder rund 27 Prozent im Winterhalbjahr.

Im genannten Bericht hat man mit mehreren Szenarien gearbeitet: Im Szenario «Maximales Winterstrompotenzial» kommt das Papier zum Schluss, dass die Winterproduktion auf 35 Prozent gesteigert werden könnte – jedenfalls rein theoretisch. Denn um dies zu erreichen, müssten die am besten geeigneten Gebäudefassaden vollständig genutzt werden. Doch das ist wenig realistisch, wie der Bund schreibt. Auch wären die Kosten dieses Szenarios unverhältnismässig hoch.

Mit dem Szenario «Anreize Winterstrom» könnte ein Anteil von 30 Prozent angepeilt werden. Das würde bedeuten, dass man vermehrt auf winteroptimierte PV-Anlagen setzen müsste. Das würde konkret bedeuten, dass vermehrt PV-Anlagen auf nach Süden ausgerichteten Fassaden installiert werden. Solche Fassadenanlagen würden aber heute kaum gebaut, so das BFE. Im Bericht wird deshalb vorgeschlagen, dass der Zubau von Fassadenanlagen beispielsweise über eine höhere Einmalvergütung, ähnlich wie bei integrierten Anlagen, gefördert werden könnte. Von den 34 TWh Solarstrom im Jahr 2050 könnten so rund 10 TWh im Winter produziert werden, und das zu vernünftigen Kosten.

Hinweise:

Der ausführliche Bericht «Stromerzeugung im Winter dank Photovoltaik» ist hier zu finden: www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67326.pdf

Wer mehr Informationen zur Wirtschaftlichkeit von PV-Anlagen, auch an Fassaden, möchte, wird fündig unter: https://pubdb.bfe.admin.ch/de/publication/download/10325

 

 

Starkes Wachstum – Fassade bleibt Nische

Kürzlich wurden die jüngsten Zahlen zur BFE-Statistik Sonnenenergie 2020 veröffentlicht. Demnach ist der Zubau von Photovoltaik (PV) in der Schweiz gegenüber dem Vorjahr um 48 Prozent auf einen neuen Rekordwert von 493 Megawatt angestiegen. Insgesamt waren per Ende 2020 Solarpanels mit einer Leistung von nahezu drei Gigawatt installiert, die 4,7% (2019: 3,8%) des Strombedarfs der Schweiz abdecken, wie der Fachverband Swissolar schreibt. Eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr stelle man in allen Grössenkategorien und Anwendungsbereichen fest. Besonders hoch sei der Zuwachs bei Anlagen auf Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsbauten sowie bei Anlagen über 100 Kilowatt.

Die Solarfassade fristet noch immer ein Nischendasein, wie die Zahlen von Swissolar deutlich zeigen: Von den im Jahr 2020 installierten 19410 Netzverbundanlagen entfallen nur 70 auf PV-Anlagen (Neigungswinkel von 75° bis 90°) an Fassaden.

Infos: www.swissolar.ch

 

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