Cradle to Cradle: Wie man sich Rohstoffe sichert
Die Kreislaufwirtschaft ist heutzutage Teil des nachhaltigen Geschäftsmodells. Damit das gelingt, braucht es neu gestaltete Produkte und Dienstleistungen. Cradle to Cradle heisst die Lösung. Albin Kälin ist Grossmeister in dieser Disziplin. Er klärt auf.
Sind Sie zufrieden mit der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz?
Albin Kälin, Inhaber und Geschäftsführer der EPEA Switzerland GmbH: Nein, ganz und gar nicht. Sowohl Unternehmen wie auch Politik machen viel zu wenig, um nach einem echten Kreislaufprinzip zu wirtschaften. Die Schweiz gehört weltweit zu den Top 3 im Produzieren von Abfällen, und wir sind Weltmeister in der Verbrennung von Ressourcen. Leider sind in der Schweiz die Rahmenbedingungen nach wie vor einer sauberen Circular Economy nicht förderlich. Doch es gibt eine gute Nachricht: Es existieren ein paar Leuchtturmfirmen, die das Kreislaufprinzip erfolgreich umgesetzt haben.
Das Ausland lobt unser Recyclingsystem.
Separatsammlungen für Abfallfraktionen wie PET oder Alu funktionieren. Aber nicht selten handelt es sich um ein Downcycling. Je mehr Wiederverwertungszyklen diese Materialien erfahren, desto schlechter wird ihre Qualität, und es müssen vermehrt Primärrohstoffe zugegeben werden. Zum Teil enthalten die rezyklierten Materialien auch toxische Stoffe, die die Umwelt belasten. Die EU hat kürzlich einen «Grünen Deal» verabschiedet – einen Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft. Ein wichtiges Element ist dabei die Kreislaufwirtschaft, aber auch das Thema «toxicfree environment». Will heissen, Produkte sollen schadstofffrei auf den Markt kommen, damit sie später problemlos im Kreislauf geführt werden können.
Was läuft in der Kreislaufwirtschaft falsch?
Meist steckt eine lineare Denkweise da hinter, was letztlich zu sogenannten End-of-Pipe-Technologien führt. Das sind Kreislaufsysteme, bei denen nachgeschaltet Umweltschutzmassnahmen hinzu gefügt wurden. Nicht der Produktionsprozess an sich wird verändert, sondern nur die Umweltbelastung durch nachträgliche Massnahmen reduziert. Am Schluss resultiert also nach wie vor «Abfall». Die Herausforderung besteht darin, Produkte so zu entwickeln, dass sie als neue Rohstoffe der Wirtschaft wieder zur Verfügung stehen. Nur das ist ein durchdachtes Kreislaufkonzept. Ein solches Prinzip nach Cradle to Cradle (C2C) braucht Innovation, denn nicht selten müssen zuerst unbedenkliche Materialien entwickelt werden, um ein sauberes und recyclingfähiges Produkt herstellen zu können. Nur als sicher bewertete Chemikalien dürfen dabei eingesetzt werden.
Lässt sich das Konzept immer anwenden?
Cradle to Cradle lässt sich grundsätzlich für alle Produkte und Dienstleistungen konzipieren. Aber: Ein Dienstleister kann zwar nach dem Kreislaufprinzip arbeiten. Doch C2C ist nur gegeben, wenn er auch Materialien vertreibt, die unbedenklich sind und im Kreislauf geführt werden können.
Wo soll ein Unternehmen mit Cradle to Cradle beginnen?
Zentral ist, dass das bisherige für Mensch und Umwelt problematische Produkt nicht verschlimmbessert wird; das nenne ich «ÖkoJunk». Mit einem Greenwashing ist niemandem gedient. Wer als Unternehmen mit C2C beginnen will, muss das Prinzip verstehen und in Kreisläufen denken. Nur wer gewillt ist, eine solche Transformation in seinem Unternehmen vorzunehmen, kann umweltkompatible Produkte auf den Markt bringen.
Werden Sie bitte konkret.
Verbrauchsgüter wie Naturfasern oder Waschmittel müssen vom Hersteller so konzipiert sein, dass sie im biologischen Kreislauf immer wieder verwendet werden können. Will heissen, dass sich die Verbrauchsgüter nach Verwendung zu biologischen Nährstoffen zersetzen und biologische Systeme wie Pflanzenwachstum fördern. Die nachwachsenden Rohstoffe und Substanzen bilden dann wie derum Basis für neue Produkte.
Das tönt gut. Aber wie sieht es mit technischen Kreisläufen aus?
Denken Sie nur an den Berg von Elektroschrott, der anfällt, weil das Produktdesign nicht durchdacht ist. Ein sauberes C2C funktioniert so: Wenn Gebrauchsgüter wie Fernsehgeräte, Autos oder synthetische Fasern ausgedient haben, zerlegt man sie in technische «Nährstoffe». Die Güter sind so zu entwickeln, dass die eingesetzten Materialien für mehrere Produktlebenszyklen verwendet werden können, und zwar ohne Qualitätsverlust. Die Materialien werden über Rücknahme und Cyclingsysteme im technischen Kreislauf behalten. Davon profitiert das Unternehmen, denn es muss die Rohstoffe nicht erst auf dem Weltmarkt neu beschaffen. Daher auch der Begriff Cradle to Cradle, also von der Wiege zur Wiege.
Welche Branchen sind vorbildlich?
In der Textilbranche gibt es einige Firmen, die nach C2C produzieren. Der Hersteller Calida zum Beispiel hat bereits über 200 Produkte im Sortiment, die entsprechend zertifiziert sind. Aber auch Möbelhersteller, Kosmetikunternehmen oder die Verpackungs- und Chemieindustrie zeigen, dass es funktioniert.
Welche Normen sind hilfreich?
Es existiert die weltweit anerkannte Produktzertifizierung «Cradle to Cradle Certified» – übrigens die einzige Zertifizierung für Produkte im Kreislauf. Eine weitere heisst «Material Health Certificate» als Teil des Prinzips. Hier steht das Thema Materialgesundheit im Zentrum. Diese Zertifizierung wird für die globale Lieferkette genutzt. Damit garantiert der Zulieferer seinem Abnehmer, dass dieser ein gesundheitlich unbedenkliches Material verwendet.
Unterstützt die ISO-Norm 14001 Cradle to Cradle?
Wir sind vor zwei Jahren eine Kooperation mit Quality Austria eingegangen. Die auf Managementsysteme spezialisierte Organisation zertifiziert auch nach ISO 9001 und 14001. Diese Systeme stammen aus einer Zeit des linearen Denkens. Vor zwei Jahren haben wir begonnen, die Auditoren von Quality Austria nach C2C auszubilden. Also weg von End-of-Pipe-Lösungen – hin zur Denkweise in Kreisläufen, um die Elemente Wasser, Luft und Boden weniger zu belasten. Und die Rohstoffe sicherzustellen! Zu Ihrer Frage: Die heutige ISO-Norm 14001 hat diese Denkweise zum Teil aufgenommen, indem eine Lebenswegbetrachtung bewertet wird. Doch End-of-Pipe ist nach wie vor möglich. Für eine erfolgreiche Zertifizierung wird kein Kreislaufprinzip nach C2C verlangt.
Hilft die Digitalisierung?
Die Digitalisierung bringt bezüglich C2C nicht viel, wenn man die Circular Economy nicht impliziert. Wer jedoch das Kreislaufdenken umsetzt und in der Digitalisierung schon sehr weit fortgeschritten ist, macht es hervorragend. Ein gutes Beispiel ist der Einrichtungsfachhändler Pfister mit seinen Vorhängen: Der Berater kommt zum Kunden nach Hause und zeigt seine Kollektion, darunter auch nach Cradle to Cradle hergestellte Produkte. Der Fachmann nimmt vor Ort Mass und alle Daten werden ins iPad eingegeben, das direkt mit dem Unternehmen kommuniziert. Die Abwicklung läuft also digital. Der Clou der Sache: Pfister nimmt zu jeder Zeit die C2C-Vorhänge zurück, für die der Kunde eine Vergütung analog dem Rohstoffpreis erhält.
Wie sieht es bezüglich Kosten aus?
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss ein C2C-Produkt nicht teurer sein. Nach dem Kreislaufprinzip hergestellte Güter schaffen buchhalterisch gesehen neue Perspektiven. Denn ein cleverer Unternehmer sichert sich den Rohstoff, den er nicht mehr einkaufen muss. Auf dem Markt erzielt ein solches Produkt einen höheren Preis, denn es bietet einen Mehrwert. Es ist ein für Mensch und Umwelt bedenkenloses Produkt und erhält dafür einen Sympathiebonus.
Was hat sich seit den Anfängen von C2C geändert?
Wir haben das erste C2C-Produkt 1992 entwickelt – es handelte sich um einen biologisch abbaubaren Möbelbezugstoff. In den letzten 30 Jahren wurden zahlreiche unbedenkliche Materialien entwickelt. Das ist wohl die grösste Veränderung – denn nur so können C2C-konforme Güter hergestellt werden.
Cradle to Cradle
Das Konzept Cradle to Cradle wurde von Prof. Dr. Michael Braungart zusammen mit dem amerikanischen Architekten William McDonough entwickelt. Braungart ist Gründer und Leiter der EPEA – Internationale Umweltforschung (vgl. www. epea.com), die im Jahr 1987 ins Leben gerufen wurde. 2009 gründete Albin Kälin, ehemaliger Geschäftsführer der Rohner Textil AG, die EPEA Switzerland GmbH. Die Organisation ist ein akkreditierter allgemeiner Gutachter für «Cradle to Cradle Certified»-Zertifizierung.
> www.epeaswitzerland.com
Hat die Bauwirtschaft Cradle to Cradle schon entdeckt?
«Ein Gebäude, welches am Nutzungsende zu Bauschutt und Abfall wird, hat ein Designproblem», heisst es auf der EPEA-Website des Cradle-to-Cradle-Entwicklers Michael Braungart. Bauabfall ist die grösste Müllfraktion der Schweiz. Neben grossen Mengen Aushub- und Ausbruchmaterial (57 Mio. Tonnen) generiert die Bautätigkeit jährlich rund 17 Mio. Tonnen Rückbaumaterial.
Die Schliessung der Wertstoffkreisläufe in der Bau- und Immobilienbranche ist deshalb ein dringliches Anliegen. Der junge Verein Madaster mit seiner gleichnamigen Plattform will deshalb Baumaterialien für immer verfügbar machen (vgl. www.madaster.ch). Schweizer Liegenschaftseigentümer können ihre Gebäude im Materialkataster der Plattform registrieren, um einen Materialpass für ein bestimmtes Gebäude zu erstellen. Ziel der Organisation sei es, dass in der Schweiz neue Häuser aus alten gebaut würden, heisst es bei Eberhard Unternehmungen, Mastar-Mitglied der ersten Stunde. Denn nur so könne der grösste Abfallstrom des Landes nachhaltig eliminiert werden. Mit diesem Konzept will das Netzwerk Gebäude als Rohstofflager und Städte als Rohstoffminen nutzen. Doch ist damit das umweltfreundliche Cradle-to-Cradle-Designprinzip in der Schweizer Bauwirtschaft angekommen? Patric van der Haegen von der Eberhard Recycling AG meint dazu: «Wir setzen uns im Rahmen des Vereins Madaster dafür ein, dass Baumaterialien systematisch erfasst werden. Denn nur wenn man weiss, wo welche Materialien verbaut sind, kann man besser planen und sie später wieder nutzen. Damit helfen wir mit, das Cradle-to-Cradle-Konzept zu fördern.» (rs)