Plastikverpackungen: In Reinach geht ab Juni die Post ab

80 Prozent der Plastikverpackungen landen noch immer im Abfall. Im Juni startet deshalb in der Gemeinde Reinach BL ein Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Post: Der Pöstler nimmt auf seiner Zustelltour leere Kunststoffflaschen und Getränkekartons der Leute und bringt sie in den Kreislauf zurück.

Plastikrecycling, Kunststoff
Der Pöstler nimmt in Reinach den mit  leeren Getränkekartons, Shampooflaschen usw. gefüllten  «Recycling-Sack» mit. Foto: Evelyn Lenzin

Ab Juni 2021 bringt der Pöstler der Baselbieter Gemeinde Reinach nicht nur Briefe und Pakete. Werktags holt er zudem leere Kunststoffflaschen und Getränkekartons ab, die die Hausbewohner im «Recycling-Sack» bei den Briefkästen deponieren. Der 35 Liter Recycling-Sack ist bei der Gemeinde für 1.80 Franken erhältlich. Die Pöstler transportieren die eingesammelten Säcke zur Reinacher Poststelle, von wo aus sie in ein spezialisiertes Sortierwerk der Müller Recycling AG in Frauenfeld gebracht werden. Mit dieser cleveren Logistik entfallen zusätzliche unökologische Lastwagentransporte, denn die Kunststoffe reisen bis ins Sortierwerk in einem Gebinde, welches sowieso ins Logistikzentrum der Post zurückgebracht werden müsste, wie die auf Kreislaufwirtschaft spezialisierte Unternehmung Redilo schreibt. Hinter dem Pionierprojekt stehen «realCYCLE» von Redilo und der Migros-Pionierfonds, durch den Pilot ermöglicht wird. «Dieses Pilotprojekt zeigt exemplarisch, wie einfach die Kunststoffkreislaufwirtschaft von morgen funktionieren kann», sagt Corinne Grässle, Projektleiterin des Migros-Pionierfonds. «Dadurch wird die Gesellschaft unabhängiger von immer knapper werdenden Rohstoffen.»

Aus Recyclingkunststoff entstehen neue Produkte

Plastikflaschen für Shampoo, Reinigungsmittel und dergleichen mehr sind für das Recycling optimal: Der hochwertige Wertstoff bestehe meist aus nur einem Kunststoff, was für das Recycling wichtig sei, betont Melanie Haupt, Co-Projektleiterin von «realCYCLE» und Dozentin für Kreislaufwirtschaft an der ETH Zürich.

Die Initianten betonen, dass der Rücklauf von Kunststoffflaschen ins Recycling durch das Pilotprojekt erleichtert und derjenige von Getränkekartons überhaupt erst möglich wird. Das Gemisch aus den gesammelten Kunststoffflaschen und Getränkekartons sortiert ein Unternehmen in Frauenfeld und bereitet es für das Recycling auf. Das sortierte Kunststoffmaterial wird anschliessend in der Schweiz zerkleinert, gewaschen und zu Regranulat verarbeitet: Daraus entstehen letztlich wieder neue Kunststoffprodukte.

Im Reinacher Pilotprojekt werden nur Kunststoffflaschen und Getränkekartons gesammelt, aber keine weiteren Kunststoffverpackungen wie etwa Joghurtbecher oder Folien. «So können wir sicherstellen, dass die gesammelten Kunststoffe auch in der Schweiz rezykliert werden», sagt Co-Projektleiterin Haupt. Sie beschäftigt sich in der Forschung seit vielen Jahren mit der Analyse der Abfallströme und den Möglichkeiten des Kunststoff-Recyclings. Für Getränkekartons fehle derzeit eine Recyclinganlage in der Schweiz, weshalb sie heute in Deutschland und Frankreich rezykliert würden. Während die Kartonfaser für Wellkarton eingesetzt wird, wird das übrigbleibende Alu-Kunststoff-Gemisch entweder als Brennstoff eingesetzt oder für weitere Produkte genutzt, wie ferner mitgeteilt wird.

Relevante Kreislauflücke schliessen

Das Angebot in Reinach BL soll eine relevante Lücke im Kunststoffkreislauf schliessen. «Die Sammlung durch die Post vereinfacht es der Bevölkerung, gut verwertbare Kunststoffe separat zu sammeln und vor der Haustüre beim Briefkasten abholen zu lassen. Die Post verfügt über die nötige Logistik und das Know-how um ein solches Sammelsystem nachhaltig zu betreiben», sagt Patrick Lampert, Leiter Unit Kreislaufwirtschaft bei der Post CH AG.

Laut Angaben läuft das Pilotprojekt sechs Monate. Doch eine erste Zwischenbilanz ziehe man nach drei Monaten in Form einer Umfrage bei den Reinacherinnen und Reinachern, verrät Melanie Haupt auf Anfrage von Umwelt Perspektiven. Dann wird sich zeigen, ob die Schweizer auch in diesem Bereich zu den Recycling-Weltmeistern avancieren wollen.

Wie auch immer, eine Ausweitung des Sammelgebietes sei seitens «realCYCLE» bereits geplant, heisst es in der Mitteilung zum Reinacher Projekt. In einem weiteren Schritt will man zudem testen, ob sich ländliche und abgelegene Gebiete einfacher an Entsorgungsstrukturen anschliessen lassen. Gemäss Kreislaufspezialistin Haupt ist die Ambition seitens «realCYCLE» gross, eine nationale Lösung zu finden. «Das Pilotprojekt ist ein erster Schritt in Richtung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, wo bestehende Synergien bestmöglich genutzt werden», so Haupt.

Finanzierungsfrage ungelöst

Stellt sich noch die Frage, weshalb der «Recycling-Sack» nicht kostenlos abgegeben wird? «Jemand muss die Kosten für die Logistik usw. bezahlen», antwortet Haupt, denn der Ertrag des Rohmaterials reiche dafür nicht aus. Ferner weist die ETH-Dozentin für Kreislaufwirtschaft darauf hin, dass im Gegensatz zu PET, Alu und Co. noch keine Finanzierung im Sinne einer vorgezogenen Recyclinggebühr für die Verursacher bestehe. Entsprechende Bestrebungen seien jedoch im Gang.

Und was sagt die Gemeindebehörde?

«Als wir vom Pilotprojekt gehört haben, war klar, dass wir da mitmachen», sagt Gemeinderätin Doris Vögeli aus Reinach. «Denn das selektive Sammeln von Kunststoff haben wir schon seit längerem auf dem Radar.» Ein politischer Auftrag des Reinacher Parlaments (Motion 140 „Kunststoffrecycling in Reinach“) verlange die Ausarbeitung eines Konzeptes für die Einführung einer selektiven Sammlung von Kunststoffflaschen und Getränkekartons. Mit diesem Pilotprojekt wolle man Erfahrungen sammeln und herausfinden, ob die Bereitschaft in der Bevölkerung vorhanden sei, das Angebot zu nutzen. Entscheidend ist, ob genügend Sammelgut zusammenkommt.

Quelle: Redilo

 

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