Energiepolitik: Schweiz könnte an Position verlieren

Ohne ein Stromabkommen mit der EU wird die Schweiz ihren Einfluss in der europäischen Energiepolitik verlieren, warnen Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne und der Universität St.Gallen.

Mit der Ausweitung des EU-Energiebinnenmarktes habe die Schweiz bereits jetzt an Einfluss verloren, schreibt der Schweizerische Nationalfonds. (Bild: Unsplash)

Es könnte für die Schweiz schwieriger werden Einfluss in der Europäischen Energiepolitik nehmen zu können.  Ausserdem hänge der Ausbau der Erneuerbaren Energien vorrangig von einer geschlossenen, politischen Unterstützung im Inland ab, unterstreichen Schweizer Forscher, die im „Nationalen Forschungsprogramm Energie“ auf mögliche Energiedefizite hinweisen.

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms Energie sind Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und der Universität St.Gallen (HSG) wurde der Frage nachgegangen, was auf die Schweiz zukommt, wenn die Verhandlungen über ein Stromabkommen scheitern. Jetzt wurde in einer Mitteilung darüber informiert, wo die Vor- und Nachteile für die Schweiz liegen. Ihr zufolge stünden der Schweiz „unsichere, aber in jedem Fall gravierende Auswirkungen bevor“.

Stichwort: EU-Binnenmarkt 

Mit der Ausweitung des EU-Energiebinnenmarktes habe die Schweiz bereits jetzt an Einfluss verloren, schreibt der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF. „Die Schweiz ist abhängiger von der EU geworden, umgekehrt gilt dies immer weniger“, wird Matthias Finger von der EPFL in der Mitteilung zitiert. „Ohne ein Stromabkommen droht ein weiterer Ausschluss der Schweiz bei der Regelung zentraler Energieangelegenheiten.“

Ohne Abkommen komme auf die Schweiz zudem ein höheres Handelsdefizit im Energiesektor zu, heisst es weiter. Dieses könne bis 2030 auf rund 1 Milliarde Franken steigen. Auch der Handel und die Balancierung des Netzes durch Swissgrid werde sich ohne Abkommen deutlich schwieriger gestalten.

 

Unsichere, aber in jedem Fall gravierende Auswirkungen

Vor diesem Hintergrund untersuchten die Forschenden die politischen und ökonomischen Effekte von zwei gegensätzlichen Szenarien: eine „direkte Europäisierung“ über ein bilaterales Stromabkommen und eine „indirekte Europäisierung“ ohne Stromabkommen (etwa durch eine autonome Anpassung an den europäischen Rechtsrahmen).

  • Unabhängig vom gewählten Szenario ist die Versorgungssicherheit der Schweiz mindestens bis 2030 ausreichend. Jedoch kann sich kein Staat, auch nicht die Schweiz, auf Stromimporte verlassen: Ein Abkommen erleichtert Importe, garantiert aber nicht die Verfügbarkeit von Importenergie.
  • Auch ohne Abkommen bleiben die physischen Verbindungen mit dem europäischen Strommarkt bestehen, doch werden der Handel und die Balancierung des Netzes durch Swissgrid deutlich schwieriger.
  • Ohne Abkommen wird der Schweizer Energiesektor insgesamt ein höheres Handelsdefizit von einigen hundert Millionen Schweizer Franken pro Jahr bis zu einer Milliarde CHF im Jahr 2030 aufweisen. Die Verbraucher werden im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn einen signifikanten Aufschlag auf die Strompreise tragen müssen, der bis zum Jahr 2030 15-20 CHF pro MWh erreichen könnte.
  • Die Simulationen zeigten keine signifikanten Auswirkungen eines Stromabkommens auf den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz. Ohne ein Stromabkommen könnte es jedoch in der Schweiz zu Investitionen in Gaskraftwerke kommen, insbesondere wenn der Ausbau erneuerbarer Energien nicht stark politisch unterstützt und damit forciert wird.

 

Impact auf Enerneuerbare? 

Eine direkte Auswirkung eines Stromabkommens auf den Ausbau erneuerbarer Energien sehen die Forscher hingegen nicht. „Ob mit oder ohne Stromabkommen – eine langfristig und über den Stromsektor hinaus ausgerichtete Energiepolitik ist für die Energiewirtschaft, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und das Erreichen der Klimaziele entscheidend“, meint Finger. „An einer solchen Politik fehlt es jedoch.“ Peter Hettich, Mitautor des Forschungsprogramms,  konkretisiert die Effekte auf den Ausbau erneuerbarer Energien: „Heute werden eher ad hoc Einzelfragen geregelt. Für viele Investoren in erneuerbare Energie sind verlässliche Rahmenbedingungen inzwischen aber wichtiger als die Frage nach finanzieller Förderung.“

(Matthias P. Finger und Paul van Baal: „CH-EU – Beziehungen unter Strom“, Chronos Verlag, erscheint 2020)

Weitere Punkte zum  „Nationalen Forschungsprogramm Energie“ finden Sie hier 

 

 

 

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