«Banking on Creativity»: Jason Romeyko im Interview

Jason Romeyko ist einer der am häufigsten ausgezeichneten Werbekreativen seiner Generation – und arbeitet seit einigen Monaten als Kreativchef des TeamUBS von Publicis Groupe Schweiz. Mit m&k spricht er über Banking, Awards und seine wichtigsten Werke.

(Bild: zVg.)

m&k: Jason Romeyko, Sie sind einer der erfolgreichsten Creative Directors Ihrer Generation. Weshalb die Rückkehr zu Publicis?

Jason Romeyko: Zunächst steht die Publicis Groupe 2024 ganz anders da als zu «meiner Zeit». Ich war 23 Jahre bei Saatchi & Saatchi, das war und ist ein eigenständiges Netzwerk innerhalb der Gesamtunternehmung – natürlich entstand die formelle Zusammengehörigkeit zu Beginn des neuen Millenniums, aber von «The Power of One» waren wir noch weit entfernt. Jetzt, 2024, ist Publicis «united» – eine «Supergroup» aus globalen Talenten, über zahlreiche Disziplinen und Regionen hinweg, mit verschiedenen Marken. Deswegen fühlt sich das Ganze weniger nach Rückkehr und mehr nach Neubeginn an. Unter Alex Haldemanns Führung in der Schweiz ist etwas ganz innovatives, frisches entstanden, trotzdem bleibt die Menschlichkeit nicht auf der Strecke. Ich schätze sehr, wie er, Schweiz-CFO Edgar [Magyar, Anm. d. Red.] und das gesamte Team das machen.

 

Sie sind also nicht aus Nostalgie eingestiegen.

Nein. Bei Serviceplan – der vergangenen Station in meiner Karriere – habe ich eine deutsche Agentur zu internationaler, kreativer Exzellenz geführt. Jetzt wollte ich zurück zum Aufbau von Marken und Kultur … und die UBS hatte ich natürlich im Kopf, weil ich die Übernahme der Credit Suisse verfolgt hatte. Dann fügte sich alles: Ich traf Alex Haldemann, John McDonald [Group CMO bei UBS, Anm. d. Red.] und Winfried Daun [Group Head Brand, Creative and Innovation bei UBS, Anm. d. Red.], beschäftigte mich intensiver damit, was bei der Bank passierte – und dachte: «Wow, das ist wirklich spannend!» (lacht)

 

Von welchem Ausgangspunkt sind Sie mit Ihrer Arbeit für die UBS gestartet?

Wir haben das Glück, mit dem fantastischen Claim «Banking is our Craft» arbeiten zu können. UBS erhebt Banking zu einem «Handwerk» im besten Sinn des Wortes, weil die Institution über 160 Jahre Erfahrung, 100’000 Expert:innen weltweit und eine grossartige Kundschaft verfügt. Sie verbindet Menschen, pflegt Beziehungen, setzt auf Technologie und Innovation.

Auf einem so fruchtbaren Boden kann vieles gedeihen. Wir können «Above-the-line-Kommunikation» machen, die Menschen erreicht; die ihnen zeigt, wozu wir in der Lage sind – und gleichzeitig von den Erfolgen unserer Kund:innen berichten.

In einem zweiten Schritt – sobald die Menschen verstehen, was UBS tut; wie gut die Bank ist – streben wir kommunikative Exzellenz an. Wir wollen Werbung machen, die die Finanz-Bubble transzendiert! Dafür brauchen wir natürlich entsprechende Kolleg:innen: Filipa Mauricio etwa, unsere Creative Director, die ein untrügliches Gespür für Stil in Kampagnen-Artworks einbringt. Oder Jonas Poehlmann [Managing Director beim TeamUBS der Publicis Groupe, Anm. d. Red], der organisatorische Details und strukturelle Feinheiten meisterhaft orchestriert.

 

Sie wirken enthusiastisch, wenn Sie über Ihre Pläne sprechen.

Das bin ich auch! Ich freue mich wirklich darauf, die Marke UBS weit über die Welt der Finanzdienstleistungen hinaus bekannt zu machen. Die grösste Challenge und der grösste denkbare Erfolg wäre es, die Bank zur Institution mit den meisten Kreativpreisen in ihrem Segment zu machen … «Pull-Wirkung» zu entfalten, Interesse zu wecken, und dann anderen Agenturen oder – irgendwann – meinen Nachfolger:innen im TeamUBS zu zeigen: «So kann man auch über Banken sprechen.» Wenn das gelingt, wäre das fantastisch.

 

Apropos: Sie haben die UBS-Kampagne, die Sie leiten, gerade um neue Elemente erweitert. Möchten Sie uns etwas darüber berichten?

Wir sind mit der audiovisuellen Arbeit «Crafted for You» live gegangen, die in vier Geschichten die Erfolge von internationalen UBS-Kund:innen zeigt. Man sieht, welche Ambitionen sie haben und wie die Expert:innen der Bank dabei helfen, diese Ambitionen zu realisieren. Wir wollten ein «Premium-Feeling» um die Marke herum evozieren, darum haben wir mit dem Kameramann Eduard Grau kooperiert – man kennt ihn für seine Arbeit an Tom Fords «A Single Man» oder Pedro Almodóvars «A Room Next Door», der kürzlich in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Normalerweise macht Edu Grau kaum Werbung, ging also ein gewisses Risiko ein … ebenso wie wir (lacht) – das haben aber die Kolleg:innen von Radical Media mit ihrer Erfahrung perfekt ausbalanciert. Die Stimmung am Set zwischen Auftraggeber:innen, Agentur, Regisseur und Produktionsfirma war phänomenal. Ich würde behaupten, das sieht man auch, wenn man sich «Crafted for You» anschaut.

Ich bin unseren Partner:innen bei der UBS – insbesondere den bereits erwähnten John McDonald und Winfried Daun, aber auch Cici Steinmetz – sehr dankbar, dass sie uns das Vertrauen, den konstruktiven Input und die Tools gegeben haben, um «Banking is our Craft» auf Film zu bannen.

 

In Ihrer Karriere haben Sie mehr als 700 Auszeichnungen für Ihre kreative Arbeit gewonnen. Wenn Sie zurückdenken: Welcher Preis macht sie bis heute Stolz; an welches Werk erinnern Sie sich am liebsten?

Wenn man bei Festivals Auszeichnungen für kreative Ideen gewinnt, gebühren die Preise eigentlich der Agentur, den Kund:innen und dem Team – sie gehören nie einer einzelnen Person. Und ehrlich gesagt, sind mir Auszeichnungen nicht so wichtig. Ich denke immer: «Wir sind nur so gut wie unsere nächste Idee». Wobei offizielle Anerkennung natürlich insbesondere den jüngeren Kolleg:innen hilft, im Markt wahrgenommen zu werden … was mich für sie freut.

Wenn Sie mich jedoch explizit um einen Blick in die Vergangenheit bitten, würde ich sagen: Auf einer professionellen Ebene ist «Life is for Sharing» für die Deutsche Telekom eine der bedeutendsten Arbeiten, an denen ich bisher mitwirken durfte. An dieser Stelle ein lieber Gruss an Hans-Christian Schwingen [bis 2020 Markenchef der Telekom, Anm. d. Red.], denn dieses Projekt haben wir gemeinsam gestemmt. «Life is for Sharing» war in mannigfaltiger Hinsicht revolutionär, entstand quasi am Vorabend der Omnipräsenz sozialer Medien – neben Hans-Christian und mir waren auch Kate Stanners [Global Chief Creative Officer bei Saatchi & Saatchi, Anm. d. Red.], Paul Silburn [ehem. Copywriter bei Saatchi & Saatchi, Anm. d. Red.] und James Griffiths [Global Client Lead beim Team UBS der Publicis Groupe Schweiz, Anm. d. Red.], mit dem ich heute wieder zusammenarbeiten darf, massgeblich involviert. Eine tolle Zeit und ein Resultat, das die Jahre überdauert.

 

Sie sprechen von einer professionellen Ebene – was ist mit der persönlichen Dimension?

Auf persönlicher Ebene bedeutet mir die Arbeit am Vangardist-«HIV-Magazin» am meisten. Das ist ein Heft, das wir mit dem Blut eines HIV-positiven Mannes gedruckt haben und das heute im MoMa in New York City ausgestellt wird – es ist ein Stück Zeitgeschichte, ein Stück Kultur geworden.

Neulich war ich ausserdem in der Lounge am Flughafen Zürich und sah, dass BMW immer noch die Bezeichnung «Bayerische Motorenwerke» verwendet; gründend auf einer Kampagne, die ich damals bei Serviceplan geleitet habe. Das hat mich wahnsinnig gefreut. Wir haben die Marke «elevated», indem wir die Abkürzung wieder ausgeschrieben haben – und damit betont, wofür die Brand steht. Dass das in einem der am härtesten umkämpften Premium-Märkte weiterhin funktioniert, ist wunderbar.

 

Um Ihre Methodologie zu beschreiben, haben Sie Begriffe wie «Uber-Creativity» und «Explosive Creativity» geprägt. Was bedeuten die Termini – und wie spiegeln sie sich in der Arbeit wider, die Sie und Ihr Team täglich leisten?

Als ich den Begriff «Uber-Creativity» entwickelte, war ich gerade globaler Creative Director von Serviceplan International geworden. Die Agentur unterhielt Büros auf der ganzen Welt, die «Houses of Communication», und überall gab es Media, Kreation, Design, et cetera. Aber es gab kein wirkliches Gefühl der Verbundenheit über die Abteilungs- oder gar die Landesgrenzen hinweg. Manche Kolleg:innen hatten das Gefühl, sie würden nur verwalten, aber nichts zur kreativen Vision der Unternehmung beitragen. Ich sah – und sehe – das fundamental anders. Bob Isherwood, die australische Werbeikone, sagte einmal: «Eine gute Idee kann von überall kommen.» Und daran orientiere ich mich.

 

Für «Uber-Creativity» bedeutet das also konkret…?

…dass jede:r, der oder die in einer Agentur arbeitet, zum kreativen Produkt beiträgt. Auch die Kolleg:innen aus der Finanzabteilung oder an der Rezeption. Alle sind Teil eines kollektiven Strebens nach Innovation – wenn ich so darüber nachdenke, ist das Bemühen um «Uber-Creativity» das, was ich nun in der Publicis-«Power of One» realisiert sehe (lacht).

 

Und «Explosive Creativity»?

Dazu kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen: 2004, als ich Creative Director von Saatchi & Saatchi in Moskau war, sollten wir um den globalen Campari-Etat pitchen. In Russland hatte ich nicht die kreativen Ressourcen, um eine solche Aufgabe zu bewältigen. Also brachte ich Kolleg:innen aus diversen Ländern und Kulturen in Rom zusammen, und wir machten drei Tage lang Brainstorming – in einem, wie wir es nannten, «Tribe». Das «Tribe»-Konzept besteht übrigens bis heute, Publicis praktiziert es nach wie vor.

 

Wie funktioniert das «Tribe»-Konzept?

Man bekommt ein Briefing, und nach zwanzig Minuten müssen die Leute mit ihren ersten Reaktionen zurückkommen. Dann geht man für vierzig Minuten in eine zweite Runde, die Leute kommen mit neuen Ideen zurück, präsentieren; wieder vierzig Minuten, präsentieren; noch einmal vierzig Minuten, präsentieren. Am Ende des ersten Tages hat man etwa achtzig bis einhundert Ideen – und man beginnt, verschiedene Motive, Gemeinsamkeiten und Topoi zu erkennen.

«Explosive Creativity» kondensiert den kreativen Prozess von mehreren Monaten auf wenige Tage. Dabei sucht man nicht nach Perfektion, sondern nach «Rohdiamanten». Alle dürfen alles sagen, niemand hat Zeit für «Overthinking». Im normalen Alltag werden Ideen ja häufig «zerdacht», in «Gut-schlecht-gut-schlecht» kategorisiert. Wenn man im «Tribe» mit «Explosive Creativity» arbeitet, dann geht es Schlag auf Schlag – und anstatt «Gut-Schlecht» fragt man sich auf einmal: «Was wäre, wenn…?» Man überwindet Schranken, die man vorher im Kopf hatte, und dabei passieren ganz verrückte, oft aber auch ziemlich brillante Dinge.

 

Da wir über Variationen der Kreativität sprechen: Arbeiten wir in unserer Branche noch ausreichend mit «grossen Ideen»? Oder hat uns der Mut verlassen – und Daten sind mehr oder weniger das einzige, was zählt?

Ach, wissen Sie: Daten sind alles und Daten sind nichts. Das kommt immer darauf an, was man damit macht. Früher bekamen wir in Briefings Consumer Insights, die durch Forschung mit eher artifiziellen Fokusgruppen generiert wurden. Heute sehen wir dank der Digitalisierung das Verhalten von Menschen in Echtzeit – und ohne den Filter sozialer Befangenheit, den man bei Fokusgruppen immer mitdenken muss. Besagte Verhaltensdaten lassen uns sehr tief in bestimmte Prozesse eintauchen und machen Programmatic Advertising et cetera erst möglich. Aber für exzellente Kreativität, für Leitideen, genügt das «Klein-Klein» nicht. Da müssen wir auf eine höhere Ebene. Am Ende kommt es auf das Zusammenspiel, auf die Balance an, wie immer.

 

Wodurch lassen Sie sich eigentlich inspirieren?

Ich reise viel – beruflich und privat. Ich war schon immer ein «Beobachter» – der Typ Mensch, der abseits der Menge steht und sich anschaut, was die anderen tun. Ich sehe mir an, wie Menschen miteinander interagieren. Ich überlege mir, wie wohl der Tag einer Person war, oder wenn ich eine:n Fremde:n auf der Strasse sehe, stelle ich mir gerne vor, wie die Person als Kind aussah, welche Träume sie hatte. Das hilft, empathisch zu bleiben.

 

Wie entfaltet sich Ihre eigene Kreativität am besten?

Wenn ich nachdenken – richtig nachdenken – will, dann gehe ich laufen. Das ist meine Quelle für Energie und mentale Klarheit. Am besten arbeite ich am frühen Morgen, also stehe ich um fünf Uhr auf, wenn mein Kopf noch nicht von den Botschaften des Tages «vernebelt» ist; schnüre meine Laufschuhe – und setze mich nach einer Runde Bewegung an den Schreibtisch. So verbinde ich mich auch mit meinem Unterbewusstsein, habe Ideen, die ich sonst vielleicht nicht bekäme.

Ausserdem lese ich viel – fünf Publikationen in verschiedenen Sprachen, jeden Morgen. Und ich habe fantastische Freund:innen und eine wunderbare Familie, mit denen ich mich austauschen kann – manchmal über ganz banale Themen. Und dann habe ich plötzlich eine Eingebung. Wissen Sie: Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass gerade aus der Einfachheit mitunter die besten Ideen geboren werden.

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