«Marken brauchen flexiblere Schnittstellen, an der kreative Menschen leichter andocken können»

Götz Ulmer von David+Martin spricht am Mittwoch auf dem Schweizer Markenkongress. Im Vorab-Interview enthüllt er, warum «Outside-the-box-Thinking» oft scheitert und wie echte Innovationen entstehen.

Götz Ulmer
(Bilder: zVg. Götz Ulmer)

Götz Ulmer, Sie sagen, dass man schon verloren hat, wenn man an «Outside-the-box-Thinking» glaubt. Was genau meinen Sie damit und wie könnte ein besserer Ansatz aussehen?

Götz Ulmer: «Outside-The-Box-Thinking» wird meist von Leuten zur Anwendung gebracht, die gewohnt sind, die richtigen Boxen zu ticken, anstatt nicht richtig zu ticken. Dafür braucht es nämlich keine Workshops, keine Präsentationskoffer, keine Rudelbildung – und vor allem kein lineares, logisches Vorgehen. Nicht richtig zu ticken, im positiven Sinne, braucht nicht nur Mut, sondern ist die Grundvoraussetzung für wirklich Neues.

 

Wie stehen Sie zur Künstlichen Intelligenz?

Das kreative Mittelmass wird in Zukunft von der AI vollständig ersetzt. Und sie wird gleichzeitig ein noch wertvolleres Tool, um Prozesse extrem zu beschleunigen, Denkanstösse zu fördern und die Angst vor dem weissen Screen ad acta zu legen. Spitzenkreation wird sie allerdings nie ersetzen können, denn diese ist nicht vom bisherigen Wissenspool der Menschheit trainiert worden, sondern immer neu und einzigartig.

 

Sie raten, jeder Idee zu misstrauen, die man richtig gut findet. Warum ist das so?

Die erste Idee ist – bis auf wenige Ausnahmen – selten gut. Erste Ideen müssen einfach erstmal raus. Sie machen irgendwann Platz für die Guten, die Besonderen, den lange unterbewusst Gegärten. Die besten Ideen sind übrigens auch diejenigen, die ungefragt kommen. Das deckt sich mit der Erfahrung von Musikern, die Welthits in fünf Minuten geschrieben haben. Die Idee sucht oft die Kreativen und nicht umgekehrt. Das macht es leider nicht leichter.

 

Welche Quellen oder Methoden nutzen Sie, um immer wieder neue und ungewöhnliche Ideen zu finden und Ihre Kreativität zu fördern?

Input, Input, Input. Ob Museen, Podcasts, Pulitzerpreis-Literatur, alberne Snapchats, Silberplattenphotographien, Indie-Games, Comics, Reaction Videos, Arthouse-Filme, jegliche Musik – ich sauge alles auf. Irgendwann macht sich das bezahlt, und mein Gehirn spuckt etwas passendes aus.

 

Sie waren bei Jung von Matt und McCann in führenden Positionen und sind jetzt bei David+Martin. Wie hat sich Ihr persönlicher Ansatz zur Kreativität in dieser Zeit verändert?

Eigentlich ist er immer gleichgeblieben. Ich liebe es, mutige Ideen zu machen beziehungsweise dabei zu sein, wenn sie entstehen. Die Grenzen austesten. Eine wunderbare Droge. Bei David + Martin traf ich da endlich wieder auf einen verrückten Haufen Gleichgesinnter.

 

Welche Strategien würden Sie Marken empfehlen, um ihre Innovationsfähigkeit zu bewahren und zu stärken?

Es würde Marken guttun, eine flexiblere Schnittstelle zu schaffen, an der kreative Menschen innerhalb ihres Systems leichter andocken können. Oftmals sind Konzernstrukturen nicht flexibel genug, um Misfits auszuhalten. Sollten sie aber. Dann muss man auch keine Out-Of-The-Box-Thinking-Workshops machen.

 

Wo sehen Sie die Kreativbranche in fünf bis zehn Jahren? Welche Veränderungen erwarten Sie?

Für Kreative wird es keinen Unterscheid mehr machen, ob sie Influencer, Creators oder –«Werber» sind. Sie werden mühelos in allen Kanälen spielen können. Die Grenzen zwischen den Disziplinen werden somit verschwimmen. Genauso wie starre Strukturen. Es wird eher extrem flexiblen Kollektiven gleichen denn organisierten Firmen.


Götz Ulmer spricht am Schweizer Markenkongress um 14:05 Uhr über die «Kraft des Anders – Trotz oder genau wegen AI».

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