Was bedeutet eigentlich… «Merch»?
Benno Maggi befasst sich in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich…?» mit Begriffen aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich. Dieses Mal behandelt er den vielseitigen Begriff «Merch».
Es gibt wenige Worte im Marketing, die so vielfältig interpretiert werden können wie Merchandising. Die Kurzform Merch aber kennt nur eine. Dazu jedoch erst später. Der Duden kennt immerhin deren zwei. Erstens die Gesamtheit der verkaufsfördernden Massnahmen und Aktivitäten des Herstellers einer Ware (Produktgestaltung, Werbung, Kundendienst usw.). Zweitens die Vermarktung bestimmter, mit einem Film, Sport o. Ä. in Zusammenhang stehender Produkte.
Es gibt aber weitaus mehr Interpretationen. Im Retail beispielsweise ist mit Merchandising von der Produktenwicklung bis zum Verkauf alles gemeint. Das Wort inkludiert von der Warenplatzierung über die Warenpräsentation bis zur Ladengestaltung alles. In Stelleninseraten werden da Fachkräfte wie Visual Merchandising/Activity co-worker gesucht. Um sie wird, nebst der fancy Jobbezeichnung, auch mit Aussagen wie «du bist kreativ, zuverlässig und flexibel? Dann werde Teil der Boost-Familie und starte im Merchandising durch» gebuhlt. Und mit weniger fancy Aufgaben wie «Austauschen von Werbeplakaten, Umsetzung von speziellen Kampagnen, Anbringen von Werbeelementen in Verkaufsregalen». Unter den Sammelbegriff Merchandising gehen eben sämtliche POS-Kommunikation vom Regalstopper, über den Einsatz von Instore-Medien bis hin zu interaktiv nutzbaren Multimedia-Terminals. Das ist harte Knochenarbeit, aber es kann sich ja jede oder jeder aussuchen, was als Arbeit gefällt.
Vom Handel getrieben
Wer heute von Merch redet, der gefällt sich meist selbst und meint damit etwas ganz Bestimmtes. Der coole Kurzbegriff steht nämlich nur für Werbeartikel. Werbung für sich und seine Sache. Trotz Nachhaltigkeitsbestrebungen der Gesellschaft ist der Begriff extrem en vogue und was damit gemeint ist, sehr lästig. Jede und jeder Podcaster, Influencer, halb und bisschen Promi verteilt oder verkauft welche. Für jede Junggesellen-Party oder Bridal Shower, jede Geburtstagsfete wird Merch produziert. «Ab 500 Stück», steht meistens unter den Preisen wie 0,10 Franken bei Anbietern wie BB Trading, Trikora, Temu, Source & Co. Ein Schnäppchen. Auch wenn nur 20 davon gebraucht werden. Der Rest kann ja weggeschmissen werden. Aber der Kugelschreiber für 10 Rappen ist immerhin aus recyceltem Papier.
Bei Merch scheint die Devise zu lauten: Hauptsache Verfügbarkeit in grossen Mengen, zu kleinen Preisen. Überall und von irgendwem werden einem die Dinger grad angedreht. Sei es an Konzerten oder Events, nach Vorträgen oder Seminaren, auf Bahnhöfen oder in Briefkästen (ja die gibt es noch) oder an oben erwähnten privaten Veranstaltungen – irgendwelche Ware aus Billiglohnländern wird einem unaufgefordert überreicht. Vom besagten Kugelschreiber über Trinkbecher, Velopumpe, Microfasertuch, bis zum Hoodie oder Cap mit aufgedruckten oder aufgestickten Logos. Das alles stapelt sich dann auf den unzähligen Zwischenablagen in Wohnungen und Büros bevor sie nach einer Weile ungebraucht doch im Abfall verschwinden.
Früher war es wenigstens noch den Grosskonzernen vorbehalten, solche Dinger produzieren zu lassen. Deren Marketing-Verantwortliche verstanden es dann auch als ihre Hauptaufgaben, wochenlang in Katalogen der Anbieter zu blättern und Entwürfe in der internen Grafik-Abteilung erstellen zu lassen. Die SKA-Mütze oder weniger populäre, papierene weisse SBG-Jäckli aus den 70er-Jahren lassen grüssen und können, weil sie 50 Jahre später noch für über 200 Franken ersteigert werden, fast schon als nachhaltig bezeichnet werden. Obwohl es die Worte Nachhaltigkeit und Merch damals noch gar nicht gab.
* Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.