Was bedeutet eigentlich… «edgy»?
Wer etwas auf sich hält in der Kreativindustrie, kommentiert Ausgefallenes und Gewagtes aktuell mit einem bewundernd-gehauchten «edgy». Nur schon die Aussprache versprüht verruchten Glam. Und das ist genau das, was wir gemäss einer um Quoten kämpfenden Celebrity offenbar alle wollen. Aber fangen wir vorne an. Die offizielle Übersetzung ins Deutsche lautet «scharfkantig», «nervös» oder «reizbar». […]
Wer etwas auf sich hält in der Kreativindustrie, kommentiert Ausgefallenes und Gewagtes aktuell mit einem bewundernd-gehauchten «edgy». Nur schon die Aussprache versprüht verruchten Glam. Und das ist genau das, was wir gemäss einer um Quoten kämpfenden Celebrity offenbar alle wollen. Aber fangen wir vorne an.
Die offizielle Übersetzung ins Deutsche lautet «scharfkantig», «nervös» oder «reizbar». Gemeint ist aber eine Bedeutungsdimension, die im Englischen durchaus gängiger ist: «Gewagt», «provokativ» oder «trendig». Letzteres auszusprechen, disqualifiziert allerdings sofort als Boomer. Denn «Trends» waren gestern, «trendy» sogar vorgestern. «Trendforscher untersuchen, wie das Neue auf die Welt kommt», meinte unlängst Karin Frick, Leiterin Research beim GDI, in einem Interview. Und das ist vielleicht genau der Punkt: Es geht bei Trends um das passive Antizipieren. «Edgy» hingegen suggeriert, dass hier gerade etwas Neues entsteht. Deshalb sind vielleicht heute «edges» gefragt, Ecken und Kanten, die sich vom Mainstream wegbewegen, denn dort will gerade in der Kreativindustrie niemand gesichtet werden. Kein Wunder also, nehmen sogar angegraute Marketingverantwortliche das Wort mittlerweile in den Mund, um nicht ewiggestrig zu wirken. Aber woher kommt dieses Wort?
Social Media statt lineares Fernsehen
Lanciert wurde es durch die Castingshow «Germany’s Next Topmodel», also in der Mainstream-Hochkultur. Während die Marktanteile von Heidi Klums Casting-Kiste trotz gegenteiliger Behauptungen ihrerseits, vom Mainstream mittlerweile ins Irrelevante abdriften, hat der Begriff sich verselbständigt. Aber nicht dank linearem Fernsehen, sondern dank Social Media, welche Heidis längst erwachsen gewordenen Jüngerinnen und Jüngern von damals einen weitaus grösseren Hebel zur Hand gibt, als publizierte Einschaltquoten vermuten lassen.
Social Media ist der neue Mainstream und «edgy» Content fällt dort im Moment zwar beim Doomscrolling noch auf. Aber wie lange? Ecken und Kanten gehen so lange als edgy durch, bis sie Mainstream sind. Oder anders gesagt: Was einmal wirklich edgy war, ist danach nur noch «edgy».
* Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.