Mind the gap: Synergien zwischen Risiko- und Versicherungsmanagement

Risiko- und Versicherungsmanagement sollten idealerweise Hand in Hand gehen. Die Praxis weicht oft von diesem Ideal ab. Dabei begünstigt die Verknüpfung beider Instrumente ein besseres Risikoverständnis, optimierte Risikokosten und bedarfsgerechtere Versicherungslösungen.

Risiko- und Versicherungsmanagement: Welche Risiken selbst getragen werden sollen, sollte faktenbasiert entschieden werden. (Bild: Pixabay.com)

Das Risikomanagement entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Instrument der Unternehmensplanung und -steuerung. Während früher überwiegend grosse Unternehmen davon Gebrauch machten, sind es heute auch immer mehr KMU, die den Mehrwert des proaktiven Umgangs mit Risiken erkennen und nutzen. Wenn Unternehmen Risikomanagement betreiben, dann zielen sie vor allem auf die Schaffung von Transparenz über die eigene Risikolage ab, so die Ergebnisse einer von der Funk-Gruppe durchgeführten Studie. Nach ihrer Identifikation, Analyse und Bewertung werden die wichtigsten Risiken mit pro- und reaktiven Massnahmen behandelt, die sich hauptsächlich den Risikostrategien «Vermeiden», «Vermindern», «Selber tragen » und «Transferieren» zuordnen lassen.

Je nach Branche und Tätigkeit sind ca. 20–30% aller Unternehmensrisiken auf Versicherungsgesellschaften transferierbar. Folglich sollte das Versicherungsmanagement unbedingt als ein Teilgebiet des Risikomanagements betrachtet und gehandhabt werden. Umso überraschender ist die Tatsache, dass beide Disziplinen in vielen Unternehmen in Silos organisiert sind. Während das Risikomanagement meist auf der strategischen oder operativen Ebene verankert ist und damit in den Verantwortungsbereich des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung oder des Qualitätsmanagements fällt, wird das Versicherungsmanagement oft von unterschiedlichen Abteilungen wie Finanzen/Buchhaltung, Personal oder dem Rechtsdienst/Compliance gemeinsam verantwortet. Eine suboptimale Konstellation, die Informationsbarrieren fördert und die Verknüpfung der beiden Disziplinen erschwert.

Bedeutung der Verknüpfung

Die Wichtigkeit der Abstimmung von Inhalten und Erkenntnissen zwischen dem Risiko- und Versicherungsmanagement wird bei der Betrachtung der darin behandelten Risiken offensichtlich. Versicherungen haben ihre Daseinsberechtigungen aufgrund von Unsicherheiten und der Kostenvorteile kollektiver Risikotragung. Die meisten Versicherungslösungen reduzieren die Auswirkungen existenzgefährdender Risiken mit hohem Schadensausmass und geringer Eintrittswahrscheinlichkeit (Feuer, Naturgefahren, mangelhafte Produkte etc.) oder besonders frequenter Risiken mit geringem Schadensausmass und hoher Eintrittswahrscheinlichkeit (Krankheit, Berufsunfälle, Kollisionen etc.). Für die erstgenannte Risikoart sind risikoadjustierte Versicherungslösungen essenziell. Liegt das effektive Risiko unbewusst deutlich über der eingekauften Versicherungssumme bzw. Deckungsreichweite, so wird von einer Unterversicherung gesprochen. Der Eintritt existenzgefährdender Risiken kann ein unterversichertes Unternehmen in eine ernsthafte Schieflage bringen. Ebenso ungünstig ist eine Überversicherung, bei welcher die eingekaufte Deckungsstrecke unbewusst deutlich über dem effektiven Risiko liegt. In diesem Fall zahlt ein Unternehmen Versicherungsprämien für ein nicht vorhandenes Risiko, anstatt dieses Kapital im Rahmen eigener Geschäftstätigkeiten sinnvoll einzusetzen. Die Signale über die tatsächliche Höhe versicherbarer Risiken bzw. das effektive Risiko können aus dem Risiko- an das Versicherungsmanagement gesendet werden, um so risikoadjustierte Versicherungslösungen sicherstellen zu können.

Versicherbarkeit und multivariate Risikobewertung als Bindeglieder

Die Informationsbarrieren lassen sich mittels kleinerer Änderungen in der organisatorischen und methodischen Gestaltung des Risikomanagements überwinden. Versicherungsverantwortliche gilt es zwingend in die Risikoanalysen und -workshops einzubinden, um das Risikoverständnis zu fördern. Zumindest sollten die Versicherungsverantwortlichen, unter anderem auch Versicherungsbroker, in den Verteiler des regelmässig erstellten Risikoberichts zu Händen des Verwaltungsrats aufgenommen werden. Ebenso in der Pflicht stehen die Versicherungsverantwortlichen, deren Aufgabenbereich im Idealfall die Überprüfung der Versicherungsfähigkeit bzw. der Versicherbarkeit der relevanten Risiken umfasst. Um diese Überprüfung zu erleichtern, sind einige methodische Anpassungen im Risikomanagement sinnvoll. In Versicherungspolicen werden versicherte Gefahren (Ursachen) sowie versicherte Schäden und Kosten (Auswirkungen) explizit definiert. Die Erfassung und Dokumentation der Ursachen einzelner Risiken im Rahmen der Risikoidentifikation und -analyse vereinfacht den Abgleich mit den versicherbaren und derzeit versicherten Ursachen und Gefahren enorm.

Risikobewertung erweitern

Ferner empfiehlt es sich, die klassische zweidimensionale Risikobewertung nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmass um zusätzliche Variablen zu erweitern. Insbesondere die Auswirkungen eines Risikos können ergänzend zu finanziellen Schäden nach Sachschäden (Einrichtungen, Maschinen, Serverräume, Gebäudeteile etc.), Personenschäden (leichte Verletzungen, schwere Verletzungen, Invalidität, Tod etc.) und Betriebsunterbrechungen (wenige Stunden bis mehreren Tage bzw. Wochen) bewertet werden und so wichtige Impulse für die Versicherungsverantwortlichen liefern. Weitere Variablen könnten – je nach Branche und Tätigkeit des Unternehmens – Umweltschäden, Complianceverstösse oder Reputationsschäden sein.

Eine Datenschutzverletzung mag zwar keine Sach- und Personenschäden nach sich ziehen, sich dafür aber negativ auf die Reputation auswirken sowie diverse Mehraufwendungen und Kosten (z.B. für die Benachrichtigung der Betroffenen) verursachen. Im Gegensatz dazu richtet eine Naturgefahr (z.B. Überschwemmung) hauptsächlich physische Schäden an und kann zusätzlich zu einer Betriebsunterbrechung führen. Schliesslich könnte ein fehlerhaft konstruiertes Produkt in Personen- und Sachschäden resultieren, den Ruf eines Unternehmens beschädigen und in einer Betriebsunterbrechung enden (Re-Engineering des Produkts). Diese multivariate Risikobewertung lässt Rückschlüsse auf die Versicherbarkeit von Risiken zu und gibt, in Verknüpfung mit den Ursachen, Hinweise, ob ein Risiko in der Cyber-, Sach-, Betriebsunterbrechungs-, der Haftpflichtversicherung oder einer anderen Versicherungslösung gedeckt werden könnte.

Faktenbasiert entscheiden

Grundsätzlich ist ein Risiko dann versicherungswürdig, wenn es als kritisch bzw. relevant bewertet wird und versicherbar ist. Dennoch werden versicherbare Risiken aufgrund der individuellen Risikotragfähigkeit und des individuellen Risikoappetits eines Unternehmens zumindest teilweise selber getragen. Wichtig ist, dass die Entscheidung über das Ausmass der Eigentragung bewusst und – wenn möglich – faktenbasiert erfolgt. Die oben beschriebenen organisatorischen und methodischen Erweiterungen des Risikomanagements und die Verknüpfung mit dem Versicherungsmanagement schaffen tatsächliche Transparenz über die Risikolage und vereinfachen die Entscheidung für oder gegen eine Versicherungslösung oder einen spezifischen Deckungsbaustein. Der Abgleich der Risikobewertung und damit des effektiven Risikos mit den aktuellen Versicherungssummen beugt zudem Unter- und Überversicherung vor und fördert bedarfsgerechte Versicherungslösungen.

Autor:
Max Keller leitet das Funk RiskLab bei Funk Insurance Brokers AG.
www.funk-gruppe.ch

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