Von Sepp Blatter bis zur KI: Macht und Machtlosigkeit beim Schweizer KMU-Tag 2024

«KMU und Macht(losigkeit) – mit natürlicher Intelligenz zum Erfolg» hiess das Thema am diesjährigen 21. Schweizer KMU-Tag, den 1200 Gäste besuchten. Vier Keynote Speaker – Sepp Blatter, Miriam Meckel, Léa Steinacker und Thomas Müller – und zwei KMU-Unternehmer/-innen erzählten von ihren Erfahrungen mit Macht und Machtlosigkeit. Den diesjährigen Startup-Pitch gewann Anastasia Hofmann von Kitro für ihre Lösung zum Abbau von Food Waste in der Gastronomie.

Lernen, mit KI richtig umzugehen: Die Botschaft von Léa Steinacker und Miriam Meckel ans Publikum des Schweizer KMU-Tag 2024. (Bild: Thomas Berner)

Am Freitag nach der OLMA trafen sich zum 21. Mal Führungskräfte aus Klein- und Mittelunternehmen (KMU) zu «ihrem» Tag, dem Schweizer KMU-Tag. In der erneut gut gefüllten Halle 9 eröffnete Tobi Wolf mit seinen Gedanken und humorvollen Assoziationen zum Tagungsthema, die er multimedial aufnahm. Machtlos fühle man sich im Alltag recht häufig, wusste Wolf zu berichten, z.B. als frisch gebackener Papi gegenüber einem schreienden Säugling, der durch nichts und wieder nichts zu beruhigen ist. Indes gebe es verschiedene Faktoren für Macht: Reichweite in den Social Media, viel Geld oder neuerdings auch Daten. Tobi Wolf präsentierte zudem mehrere Erkenntnisse der alljährlich durchgeführten KMU-Tag-Studie: Demnach fühlen sich 6 Prozent der befragten Unternehmer/-innen im beruflichen Kontext sehr oft und 40 Prozent zumindest manchmal machtlos. Die wichtigsten drei Themen, Situationen und Faktoren, die zur Machtlosigkeit führen, sind Fachkräftemangel, technologische Veränderungen und die Veränderung bei den Bedürfnissen der Mitarbeitenden. Zudem glauben 44 Prozent der befragten KMU, dass sich die Machtverhältnisse zu ihren Ungunsten verschoben haben. Zusammenfassend hielt Tobi Wolf aber fest, dass sich machtlos zu fühlen nicht gleichbedeutend sein muss mit „machtlos sein“.  

Von natürlicher (Fussball-)Macht bis zu Künstlicher Intelligenz

Dann hatte eine Persönlichkeit ihren Auftritt, die auch schon in jenen Forbes-Listen der besonders Mächtigen der Welt rangierte: Josef «Sepp» Blatter, ehemaliger Fifa-Präsident. Sichtlich gealtert erzählte er gleichwohl mit einer Prise Schalk seinen Werdegang, wie er die Fifa aus einem KMU zu einer milliardenschweren und weltumspannenden Organisation entwickelt hat. Bei Blatters Eintritt in die Organisation im Jahr 1974 zählte die Fifa gerade mal 11 Mitarbeitende. Er kam als zwölfter Mann dazu. Und hier schimmerte kurz der Machtmensch Sepp Blatter durch: Er betonte, dass er sich nicht als „Ersatzspieler“ sehen wollte, der erst gegen Schluss ins Spiel eingreift. Am Anfang des Erfolgs stehe der Glaube an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten, so Blatter. Wie er mit dem Verlust des Amtes 2015 umgegangen sei, umschreibt er mit den Worten: «Ich habe nie demissioniert, ich habe mein Mandat zur Verfügung gestellt.» Und er lehnt sich an ein Zitat von Nelson Mandela an, der gesagt habe: «Vergeben, aber nicht vergessen.»

Sepp Blatter: Liess hin und wieder sein ganz persönliches Verhältnis zu Macht durchschimmern. (Bild: Thomas Berner)

Miriam Meckel und Léa Steinacker, Forscherinnen und Erfolgsautorinnen, widmeten sich anschliessend der Frage, «wie Künstliche Intelligenz die Welt verändert und was wir dabei gewinnen können». Sie plädierten dafür, Künstliche Intelligenz als Grundlagentechnologie wie etwa Elektrizität zu sehen und weniger als Bedrohung für Menschen oder Arbeitsplätze. Man müsse lernen und üben, wann man auf Menschen vertraue und wann auf KI, und sie betonten: «Wir entscheiden darüber, wie wir die Technologie einsetzen, und wir haben sie erfunden.» Wichtig bleibe, weiterhin kreativ zu sein, so die beiden Referentinnen abschliessend. Denn ohne genügend neue reale Daten würden generative Modelle in einen „autophagen Loop“ geraten und würden in ihrer Qualität und Vielfalt immer schlechter.

Weltpolitisches Kaffeesatzlesen und Lernen von einem Profiler

Was gerade politisch läuft in der Welt, darüber unterhielt sich Moderator Fabian Unteregger, der durch den ganzen Tag führte, mit Prof. Dr. Claudia Brühwiler, Spezialistin für US-Politik, und Prof. Dr. Ulrich Schmid, Russland-Experte. Im Fokus standen dabei die Präsidentschaftswahlen vom 5. November 2024 in den USA und die Situation in der Ukraine. In welche Richtungen werden sich da die Machtverhältnisse verschieben? Darüber wussten sowohl die Spezialistin als auch der Spezialist keine schlüssige Antwort. Für die US-Wahlen sind keine Prognosen möglich. Claudia Brühwiler sagte aber, dass die anfängliche Euphorie rund um Kandidatin Kamala Harris verpufft sei. Ulrich Schmid wiederum hielt fest, dass wir in der Ukraine wohl noch lange mit einem Abnützungskrieg konfrontiert sein werden – wobei hier der Kreml den längeren Atem haben dürfte. Was der Ausgang der US-Wahlen, aber auch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Osteuropa letztlich für Unternehmerinnen und Unternehmer in der Schweiz bedeuten, darüber hätte man sich vielleicht noch etwas genauere Antworten wünschen können.

Thomas Müller gab als erfahrener Profiler und Kriminalpsychologie Hinweise, wie man andere Menschen bzw. deren Verhalten beurteilen kann und in welchen Situationen man andere Menschen am besten kennenlernt. Er zeigte die grössten Widersprüche der heutigen Zeit auf und widmete sich insbesondere dem Thema «Resilienz». Diese beruhe seiner Erfahrung nach auf vier Säulen: der Bereitschaft, sich selbst weiterzuentwickeln, der Bereitschaft, einen Perspektivenwechsel zu wagen, die Kenntnis dafür, wie das eigene Selbstwertgefühl verteilt sei, und die offene, ehrliche und faire Art der Kommunikation. Der grösste Feind jedes Menschen, so Müller, sei sein eigenes Ego.

Kitro gewinnt Startup-Pitch

Bereits zum fünften Mal stellten sich in der «Inspiration Session» nach der Mittagspause drei Start-ups in je 10-minütigen Pitches einem Publikumsvoting. Dieses Jahr waren das Nicholas Hänny und Robin Gnehm von Nikin, die seit 8 Jahren für jedes verkaufte (Textil-)Produkt einen Baum pflanzen und jetzt 100 % zirkuläre Produkte schaffen wollen, Christian Naef von RY3T ONE, der Abwärme aus Rechenleistung nutzt, um Häuser zu heizen, sowie Anastasia Hofmann von Kitro, das mit künstlicher Intelligenz und Daten das Problem der Lebensmittelverschwendung im Gastgewerbe zu lösen versucht. Am meisten überzeugt hat die KMU-Tag-Gäste die Geschäftsidee von Kitro, wie das Live-Voting im Saal ergab.

Moderator Fabian Unteregger im Gespräch mit den Startup-Vertreter/-innen nach deren Pitch. Ganz links die spätere Gewinnerin Anastasia Hofmann von Kitro. (Foto Schweizer KMU-Tag/Roger Sieber).

Humorvolle Zwischentöne und spannender «KMU-Talk»

Eine Mischung aus Keynote und Kabarett bot Timo Wopp aus Berlin, der Jonglage mit einem Feuerwerk an humorvollen Inhalten verband und dafür viel Applaus bekam. Er entlarvte unter anderem viele Coaching-Weisheiten als leere Worthülsen und kreierte gleich selbst welche, denn: «Ein kleiner Trompeter scheut den Nebel ums Einhorn nicht.»

Zum zweiten Mal gab es auch den «KMU-Talk»: Fabian Unteregger befragte Martin Kelterborn und Lea von Bidder (ehemalige CEO von Ava) zu ihren ganz konkreten Erfahrungen mit Macht, Ohnmacht und Unternehmer/-innentum: Beide erzählten authentisch davon, wie sie Macht in ihren (früheren) Unternehmen abgegeben haben und in welchen Situationen sie sich hilflos fühlten, z.B. bei einem Cybercrime-Vorfall, wie ihn Martin Kelterborn erlebt hat. Lea von Bidder wiederum, deren hochgelobtes (und auch durchaus erfolgreiches) Unternehmen Ava am Schluss bei einer insolventen Investment-Gesellschaft gelandet ist, schilderte als ihre grösste Macht das Wissen, dass man immer wieder etwas Neues machen kann. Entsprechend ist sie heute unterwegs mit ihrem neuen Unternehmen Expeerly.

Warfen auch einen Blick auf die Schattenseiten des Unternehmertums: Lea von Bidder und Martin Kelterborn. (Bild: Thomas Berner)

Weitere Informationen: www.kmu-tag.ch

 

«An keiner Tagung sind sich die Schweizer KMU näher»

Der nächste Schweizer KMU-Tag findet am Freitag, 24. Oktober 2025, statt. Organisiert wird die Tagung seit 2003 vom Schweizerischen Institut für KMU und Unternehmertum an der Universität St.Gallen (KMU-HSG) und von der Kommunikationsagentur alea iacta ag. Der Schweizer KMU-Tag steht unter dem Patronat des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV), von economiesuisse, der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell und des Kantonalen Gewerbeverbands St.Gallen. Unterstützt wird der Anlass durch langjährige Hauptsponsoren, denen KMU-Anliegen sehr wichtig sind: Helvetia, Raiffeisen, OBT, ABACUS und Swisscom.

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