Polen – Schweiz: «Ehrgeiz, ganz nach vorne zu kommen»
Am 18. und 19. September 2023 fand im Berner Kursaal das dritte Polnische Wirtschafts- und Technologieforum in der Schweiz statt. Die Veranstaltung bezweckt den Brückenbau zwischen schweizerischen und polnischen Institutionen, um die Kooperation in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik anzukurbeln.
Es war eine der ersten Amtshandlungen der polnischen Botschafterin Iwona Kozlowska, als sie 2020 – mitten in der Corona-Krise – die Geschäfte in der Schweiz übernahm: Sie hob ein polnisch-schweizerisches Wirtschafts- und Technologieforum aus der Taufe. Es war ein voller Erfolg, und mittlerweile scheint sich der Anlass etabliert zu haben. An der dritten Durchführung am 18./19. September 2023 in Bern waren jedenfalls erneut zwischen 100 und 150 Besucherinnen aus beiden Ländern zugegen. In Form von Paneldiskussionen wurden verschiedene Aspekte von wirtschaftlicher, politischer und forschungsbezogener Zusammenarbeit beleuchtet. Auch über zukünftige Entwicklungen, z.B. von Industrie 4.0 zu Industrie 5.0 wurde diskutiert, wie auch über aktuelle Herausforderungen bei der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der gesamten EU oder im Kontext globaler Entwicklungen wie Klimawandel und demografische Entwicklung.
Innovation auf Augenhöhe
Die Schweiz und Polen führen stabile bilaterale Beziehungen. Dies wurde immer wieder betont. Als Nearshoring-Standort sowie als Absatzmarkt für hochwertige Investitions- und Konsumgüter ist Polen für die Schweizer Wirtschaft in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Auch als Investitionsstandort ist Polen international inzwischen eine gewichtige Grösse: Gemessen an den getätigten Investitionen ist das Land die Nr. 1 in der EU, wie Botschafterin Iwona Kozlowska in einem Interview mit diesem Medium festhielt.
Während Polen für die Schweiz als Absatzmarkt und Ressource für Workforce interessant ist, interessiert sich Polen vor allem für Know-How-Transfer. Man weiss um die Finanzkraft der Schweiz und ihre Reputation als Innovationsstandort – und auch als Hort politischer Stabilität mit sicheren Rahmenbedingungen. Aber gerade in Sachen Innovation hat Polen aufgeholt: Mit der Billon Group (Blockchain-Lösungen für Dokumentenmanagement, digitale Finanztransaktionen und Tokenisierung), Vigo Photonics (Infrarot-Sensortechnologie) oder Elproma (Elektronik) wurden drei der innovativsten polnischen Unternehmen vorgestellt. Diese drei Firmen illustrieren, dass sich in Sachen Technologie die beiden Länder auf Augenhöhe begegnen. Und nicht zu vergessen: Einiges an Schweizer Innovation ist auch «Made in Poland», etwa in Form der inzwischen börsennotierten Kudelski Group aus Lausanne – ihr Firmengründer Stefan Kudelski stammte aus Warschau.
Vertrauen aufbauen – regulatorische Hürden abbauen
Dass vieles zwischen den beiden Ländern gut funktioniert, ist nicht zu bestreiten. Es gibt aber – wie auch Botschafterin Iwona Kozlowska einräumte – immer noch viel zu tun in Polen. Aber: «Wir haben den Ehrgeiz, ganz nach vorne zu kommen.» Nachholbedarf sieht sie etwa im Bereich der Berufsbildung. Gerade hier gilt das duale Schweizer Bildungssystem als Vorbild. Es brauche in Polen mehr Offenheit gegenüber den unterschiedlichsten Kompetenzen in Unternehmen, betonte etwa Prof. Dr. Joanna Cygler vom Lukasievicz Forschungsnetzwerk. Auch wenn die polnische Startup-Szene in Sachen Dynamik den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht, fehle es zuweilen noch an der unternehmerischen Reife, wie etwa Marcin Rzetecki, Präsident der Polish Blockchain Association feststellt: «Jugendliche müssen besser lernen, wie man delegiert und die Arbeit teilt».
Und auch unterschiedliche Regulierungen werden zuweilen als Hürden empfunden. Marek Dutkiewicz, Gründer von HR Campus in der Schweiz, kennt beide «Kulturen» bestens: Während in der Schweiz vieles per Handschlag und im Vertrauen ablaufe, erlebe er es in seinem Heimatland immer noch anders. Dem konnte Dr. Ing. Pawel Stezycki, ebenfalls vom Lukasiewicz Forschungsnetzwerk, beipflichten: «Ich beschäftige sechs Juristen, obwohl ich eigentlich nur gerne einen hätte», sagte er mit Blick auf umfangreiche Vertragswerke, die bei Kooperationen häufig an der Tagesordnung sind.
Fruchtbare Kooperationen «bottom-up»
Wo bestehen die wichtigsten Bereiche für Kooperationen zwischen Schweizer und polnischen Institutionen? Wirtschaftlich und im Forschungskontext sind es vor allem die Pharma-, Finanz- und Informationstechnologie. Blockchain ist dazu ein prominentes Beispiel. Seit kurzem besteht die Swiss-Polish Blockchain Association mit dem Ziel, das Zuger «Crypto Valley» mit Exponenten der ebenfalls dynamischen polnischen Blockchain-Szene zu vernetzen – und zwar ganz klassisch «bottom-up». Und genau dieses «bottom-up» wurde am Polnischen Wirtschafts- und Technologieforum immer wieder deutlich: Zusammenarbeit kann nicht «von oben» verordnet werden, sondern muss von unten kommen. Entsprechend stehen hinter allen bestehenden oder gerade noch am Beginn stehenden Kooperationen Initiativen von Einzelpersonen. Diese Einzel-Initiativen zu vernetzen hat sich das Forum zur Aufgabe gemacht. Denn Kooperationsmöglichkeiten zwischen der Schweiz und Polen gibt es inzwischen zahlreiche. Die Schwierigkeit liegt womöglich darin, in der Vielzahl den richtigen Anknüpfungspunkt zu finden.
Anlaufstellen für Erstinformationen
Business aus der Schweiz mit Polen aufbauen? Hier können sich Schweizer Unternehmen erste Informationen holen:
- Botschaft der Republik Polen in Bern
- Konsulat der Republik Polen in Basel (weitere Standorte in Zürich oder Genf sind geplant)
- Switzerland Global Enterprise (S-GE)
- Swiss-Polish Blockchain Association
Für Forschungszusammenarbeit interessant:
- Polonium Foundation (Stiftung für die Kooperation zwischen polnischen und ausländischen Wissenschaftlern)
- Lukasiewicz Forschungsnetzwerk (22 Institute mit über 4500 Wissenschaftlern und Ingenieuren)