Diversität, Nachhaltigkeit, Risikobewertung: Verwaltungsräte mit Nachholbedarf

In vielen VR-Gremien wird die Nachhaltigkeit noch kurzfristig gedacht, wie eine aktuelle Deloitte-Studie zeigt: Nur gerade 27 Prozent der Unternehmen haben in den Vergütungssystemen für ihre Geschäftsleitungsmitglieder langfristige Nachhaltigkeits-Ziele berücksichtigt. Und auch nur 23 Prozent der Unternehmen geben an, mehrmals jährlich eine Risikobeurteilung durchzuführen. Bezüglich der Zusammensetzung von Verwaltungsratsgremien nach Geschlechtern wiederum seien allerdings wesentliche Fortschritte erzielt worden.

Grafik 1: Zusammensetzung des Verwaltungsrats. (Grafik: Deloitte)

Eine vielfältige Zusammensetzung und eine reibungslose Zusammenarbeit des Verwaltungsratsgremiums ist elementar für die Einhaltung einer guten Corporate Governance. Eine aktuelle Studie des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte Schweiz hat den kürzlich überarbeiteten «Swiss Code of Best Practices for Corporate Governance» von economiesuisse analysiert, Daten der Geschäftsberichte der 20 SMI-Unternehmen und der 30 Unternehmen des SMIM ausgewertet sowie mit erfahrenen Verwaltungsräten gesprochen.

Fortschritte erkennbar – Nachhaltigkeit wird an Bedeutung gewinnen

Die Deloitte-Analyse zeigt, dass eine langjährige berufliche Laufbahn nach wie vor als bedeutendes Kriterium für die Auswahl der Mitglieder des Verwaltungsrats beurteilt wird. Nur 2 Prozent der Personen in Verwaltungsräten sind jünger als 40 Jahre. Am meisten vertreten sind die Altersgruppen 51-60 Jahre (37%) und 61-70 Jahre (42%). 8 Prozent aller VR-Mitglieder sind älter als 71 Jahre. Bei der Zusammensetzung nach Fachkenntnissen dominieren die Bereiche Finanzen/Banking (43%) und Jurisprudenz (12%). Einen wesentlichen Fortschritt haben die VR-Gremien in der Zusammensetzung nach Geschlechtern gemacht (siehe Grafik 1). Waren 2012 nur gerade 9 Prozent aller Verwaltungsräte Frauen, sind es 2022 bereits 32 Prozent. Zudem sitzen Verwaltungsräte weniger lang im Sessel als noch vor zehn Jahren: Die durchschnittliche Dauer eines Verwaltungsratsmandats betrug 2022 zwischen 5 und 6 Jahre. 2012 waren es im Schnitt noch 6 bis 7 Jahre.

«Die Verwaltungsräte sind die obersten Steuerungsgremien der Schweizer Unternehmen, sie stellen die Weichen bei den wichtigen Themen der Zukunft. Dazu gehört die Nachhaltigkeit. Aspekte wie der Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft werden in den Verwaltungsräten an Bedeutung gewinnen», schätzt Alessandro Miolo, Leiter Audit & Assurance bei Deloitte Schweiz und Mitglied der Geschäftsleitung, die Resultate ein.

«Diversität» reicht weit über Geschlechtervertretung hinaus

Für umfassende Wahrnehmung der Aufgaben und eine gelebte Corporate Governance müssen aber noch weitere Punkte bei der Zusammensetzung der Gremien berücksichtigen werden: Die Mitglieder sollten über unterschiedliche Denkweisen verfügen, verschiedene Fragestellungen anwenden und Denkansätze aus anderen Branchen, Unternehmenskulturen und Märkten mitbringen. Dabei hilft ihnen ein breiter Erfahrungsschatz sowie Führungserfahrung auf Stufe Geschäftsleitung.

Durch Einbezug dieser Faktoren befassen sich die Mitglieder von Verwaltungsräten nicht nur isoliert mit ihrem eigenen Kompetenzgebiet. Vielmehr sollen sich Vertreter mit unterschiedlichsten Erfahrungen auch über ihr eigenes Themengebiet hinaus einbringen können. Die vielfältigen Betrachtungsweisen sind wichtig, um sich mit Prognosen und Zukunftsthemen zu beschäftigen und wirksame Antworten auf konkrete Herausforderungen zu finden. Verwaltungsratsgremien mit einer herausragenden Zusammenarbeit nutzen diese sogenannte «Kognitiven Diversität» zu ihrem Vorteil. «Die überarbeiteten Vorgaben im «Swiss Code of Best Practices for Corporate Governance» sind eine wichtige Antwort auf aktuelle Entwicklungen bei der Nachhaltigkeit, neue gesetzliche Vorgaben sowie veränderte wirtschaftliche Herausforderungen. Deloitte hat sich in der Vergangenheit wiederholt für eine Stärkung der Corporate Governance in der Schweizer Wirtschaft eingesetzt – zum Beispiel durch Studien zu verschiedenen VR-Themen, die Mitwirkung in Fachgremien von verschiedenen Verbänden und nicht zuletzt durch die konkrete Arbeit für unsere Kundschaft», sagt Reto Savoia, CEO Deloitte Schweiz.

Nachhaltigkeit zu kurzfristig gedacht

Zwar veröffentlichen 79 Prozent aller 50 untersuchten SMI/SMIM-Unternehmen bereits einen Nachhaltigkeitsbericht, der sich mit Herausforderungen, Zielsetzungen und Fortschritten im Bereich der finanziellen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit (ESG) befasst. Gleichzeitig haben nur gerade 27 Prozent der Unternehmen in den Vergütungssystemen für ihre Geschäftsleitungsmitglieder über das kommende Geschäftsjahr hinausgehende ESG-Ziele berücksichtigt (siehe Grafik 2).

Grafik 2: ESG Ziele für Mitglieder der Geschäftsleitung. (Grafik: Deloitte)

Weiterer Handlungsbedarf zeigt sich auch im Risikomanagement, das eine tragende Rolle spielt in der Zielerreichung und im Reputationsschutz. Nur 44 Prozent der untersuchten Unternehmen gaben an, jährlich eine Risikobeurteilung durchzuführen. Ein Drittel der Geschäftsberichte enthielten keine Angaben zur Häufigkeit ihrer Risikobeurteilungen, die der VR vornimmt. Ähnlich verhält es sich auch beim Thema Whistleblowing: 35 Prozent aller Unternehmen haben keine spezifische Hotline für die unabhängige und anonyme Meldung von vermuteten Verstössen gegen geltende Gesetze, Vorschriften oder Kodizes.

«Instrumente wie die Whistleblowing Hotline oder Massnahmen zur Verankerung der Risikokultur an der Unternehmens-spitze sind elementar, damit Unternehmen ein aktives Risikomanagement betreiben, Schwachstellen identifizieren und so zum Schutz ihrer Reputation wie auch des Wirtschaftsstandorts Schweiz beitragen können. Beim Risikomanagement ist weitsichtiges Denken zentral. Dadurch können Verwaltungsrat und Geschäftsleitung vorbereitet und pragmatisch agieren, statt nur zu reagieren», erklärt Alessandro Miolo weiter.

Quelle: Deloitte

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