MEM-Industrie: Gute Geschäftslage – aber wie lange noch?

Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) konnte im ersten Halbjahr 2022 ihren Wachstumskurs fortsetzen. Die Auftragseingänge stiegen gegenüber dem Vorjahressemester um +10,1 Prozent, die Umsätze um +12,1 Prozent und die Exporte um +9,0 Prozent. Trotzdem gibt es wenig Grund zur Euphorie. Lieferkettenprobleme und massiv steigende Energie- und Rohstoffpreise haben die Produktionskosten teils deutlich erhöht. Und auch der tiefe Eurokurs trägt dazu bei, dass die Margen zusehends weggefressen werden.

Die Auftragslage der Schweizer MEM-Industrie ist gut, doch es drohen dunkle Wolken am Horizont. (Bild: Pixabay.com)

Gemäss Swissmem nahmen im ersten Halbjahr 2022 die Auftragseingänge in der Schweizer MEM-Industrie gegenüber der Vorjahresperiode um 10,1 Prozent zu. Das Auftragsvolumen liege nach sechs Quartalen mit positiven Wachstumsraten nun 30 Prozent über dem Vorkrisenniveau (Q4/2019), teilt der Branchen-Dachverband mit. Die Wachstumsdynamik hat laut Swissmem jedoch im zweiten Quartal 2022 abgenommen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Umsätzen. Diese stiegen gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 um 12,1 Prozent. Aufgrund des hohen Auftragsbestandes dürften die Umsätze auch im zweiten Halbjahr weiter zulegen. Sowohl KMU wie auch Grossfirmen profitieren von dieser positiven Geschäftsentwicklung.

MEM-Industrie mit wachsenden Exporten und hoher Kapazitätsauslastung

Die Halbjahresbilanz der MEM-Industrie verzeichnet zudem auch eine hohe Kapazitätsauslastung in den Betrieben: Sie erreichte im zweiten Quartal 2022 hohe 90,3 Prozent. Gemäss der jüngsten KOF-Umfrage sank sie im Juli auf 89,5 Prozent. Sie liegt aber nach wie vor deutlich über dem langjährigen Mittel von 86,2 Prozent. Bei der Beschäftigung liegen noch keine Halbjahreszahlen vor. Im ersten Quartal 2022 arbeiteten 320’900 Personen in der MEM-Branche. Das sind 2,4 Prozent mehr als im Vorjahresquartal. Zudem ist die Anzahl offener Stellen in Swissmem-Mitgliedfirmen innerhalb eines Jahres um 32 Prozent gestiegen.

Die Güterausfuhren der MEM-Industrie erreichten im ersten Halbjahr 2022 einen Wert von 36,5 Milliarden Franken. Dieser Wert liegt um +9,0 Prozent höher als in der Vorjahresperiode. Die MEM-Branche hat dabei in alle Hauptmärkte mehr exportiert (Asien +14,1%, EU +8,5% / USA +7,5%). Sämtliche Warengruppen legten bei den Exporten zu. Die Ausfuhren bei den Metallen stiegen um +13,3 Prozent, in der Elektrotechnik/Elektronik um +8,9 Prozent, bei den Präzisionsinstrumenten um +7,6 Prozent und im Maschinenbau um +7,4 Prozent.

Dunkle Wolken am Horizont

Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem, sagt: «Die Auftrags- und Umsatzentwicklung in unserer Branche ist erfreulich. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Lieferprobleme und vor allem die stark steigenden Energie- und Rohstoffpreise haben die Produktionskosten deutlich erhöht. Bei weitem nicht alle Firmen können die höheren Kosten rasch auf ihre Kunden überwälzen. Insbesondere die explodierenden Energiekosten bedrohen manche Firmen in ihrer Existenz.».

Die Stimmung in den Swissmem-Mitgliedfirmen hat sich generell eingetrübt. Für die kommenden zwölf Monate gehen 30 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer von sinkenden Aufträgen aus dem Ausland aus. Das sind 12 Prozentpunkte mehr als in der Umfrage des ersten Quartals 2022. Der Anteil jener, die höhere Aufträge erwarten, hat sich von 35 Prozent auf 29 Prozent verringert. Der Stand des Einkaufsmanagerindex (PMI) der Industrie widerspiegelt diese Eintrübung. In der Eurozone, dem wichtigsten Markt der Schweizer Industrie, sank der PMI im Juli 2022 erstmals seit Mitte 2020 unter die Wachstumsschwelle.

Grosse Verunsicherung bei der Energieversorgung

Sorge bereitet der MEM-Industrie die drohende Energie-Mangellage. Die Industrie ist für ihre Produktionsprozesse existenziell auf eine unterbruchsfreie Energieversorgung angewiesen. Nur ein Teil der MEM-Firmen ist in der Lage, mit einer flexiblen Produktionsplanung allfällige Unterbrüche aufzufangen. Betriebe, deren Produktionsprozesse hohe Temperaturen erfordern, sind hingegen zwingend auf eine unterbruchsfreie Versorgung angewiesen. Falls diese wegfällt, müssten sie ihre Produktion vollständig einstellen. Martin Hirzel, Präsident Swissmem, warnt: «Eine Strom- oder Gasmangellage muss unbedingt verhindert werden. Sie würde in der Industrie Unternehmen und deren Arbeitsplätze gefährden.» Deshalb müssen Industriefirmen, die technisch auf eine unterbruchfreie Energieversorgung angewiesen sind, von einer allfälligen Gas-/Strom-Rationierung ausgenommen werden.

Dass der Bund versucht, bereits für diesen Winter namhafte Reservekapazitäten für die Stromproduktion zu erschliessen, wird von der Swissmem positiv zur Kenntnis genommen. Der Verband glaubt allerdings, dass dies nicht ausreichen dürfte und schlägt deshalb folgende Massnahmen vor:

  1. Ab sofort Energie sparen. Hier braucht es einen nationalen Schulterschluss zwischen Unternehmen, Verwaltung und der Bevölkerung. Die Temperatur in Wohnungen, Büros, Produktionshallen, Museen und Einkaufszentren darf in der Heizperiode nur noch maximal 19 Grad betragen. Die damit zusammenhängende Komforteinbusse ist vertretbar, wenn dadurch Firmen und deren Arbeitsplätze erhalten werden können.
  2. Lösungen für bedrohte Firmen: Die explodierenden Strompreise sind für viele Produktionsbetriebe eine existenzielle Bedrohung. Die Firmen sind unverschuldet in diese ausserordentliche Lage geraten. Stromproduzenten resp. die Öffentliche Hand als deren Eigentümer und industrielle Verbraucher müssen deshalb gemeinsam nach Lösungen suchen, um die Situation zu entschärfen.
  3. Betrieb von Zweistoffanlagen von Gas auf Heizöl wechseln. Swissmem schätzt, dass dadurch bis zu 20 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs eingespart werden könnte. Firmen, die deswegen ihre Zielvereinbarungen zur Reduktion der CO2-Emissionen nicht erfüllen können, sollen gemäss der Absicht des Bundesrates keine Nachteile erfahren. Dies muss rasch umgesetzt werden. Allerdings kann der Betrieb mit Heizöl Zusatzkosten verursachen. Es braucht deshalb weitere Massnahmen, um das gesamte Einsparpotenzial ausschöpfen zu können.
  4. Gezielte Anreize schaffen. Um die Stromproduktion kurzfristig erhöhen zu können, braucht es Anreize für Besitzer von Reservekraftwerken und Notstromaggregaten. Genauso wichtig sind Anreize, welche energieintensive Firmen motivieren, auf ihren Stromverbrauch temporär zu verzichten.
  5. Produktion nachts oder am Wochenende. Bei einer Mangellage müssen beim Strom und Gas die Verbrauchsspitzen gebrochen werden. Die Industrie kann einen Beitrag leisten, indem sie die Produktion in die Nacht oder auf den Sonntag verlegt. Dafür braucht es eine einfache und unbürokratische Bewilligungspraxis seitens der Behörden.

Darüber hinaus dürfe es laut Swissmem die Schweiz nicht verpassen, für eine mittel- und langfristig sichere und nachhaltige Energieversorgung zu sorgen. Der Dachverband der Schweizer MEM-Industrie fordert deshalb eine Anpassung der Energiestrategie 2050. «Die aktuelle Lage zeigt deutlich, dass man nicht gleichzeitig aus nuklearen und fossilen Energieträgern aussteigen kann. Die Absicht des Bundes, bis 2025 zwei bis drei Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von bis zu 1000 Megawatt zu bauen, ist ein Schritt in die richtige Richtung», schreibt Swissmem dazu. Zudem brauche es eine Straffung der Bewilligungsverfahren. Martin Hirzel, Präsident Swissmem, fordert: «Die 15 Wasserkraftprojekte, welche der Runde Tisch im vergangenen Dezember bezeichnet hat, müssen so rasch wie möglich realisiert werden. Jahrelange Verzögerungen bei Kraftwerksprojekten kann sich die Schweiz nicht mehr leisten.» Mit einer Gesetzesvorlage, welche die Einsprachemöglichkeiten für diese Projekte einschränkt und die Verfahren strafft, könnte das Volk bereits Ende 2023 in einem allfälligen Referendum darüber abstimmen.

Quelle: Swissmem

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