Neue Vertriebsmitarbeiter: 5 Tipps für ihre richtige Einarbeitung
GASTARTIKEL Viele Unternehmen haben auch während der Corona-Pandemie neue Vertriebsmitarbeiter eingestellt. Diese haben womöglich ihren "richtigen" Arbeitsplatz wegen der Homeoffice-Pflicht noch gar nie kennenlernen dürfen. Höchste Zeit, an "analoge" Tugenden für die richtige Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden zu erinnern.
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Es soll nicht wenige Menschen geben, die den Arbeitsplatzwechsel schon am ersten Tag bereut haben. Der Computer war nicht eingerichtet. Der Bürostuhl war defekt. Die Zugangskarte fehlte. Die IT hatte vergessen, ein Email-Konto einzurichten und der Vorgesetzte war überrascht über den neuen Mitarbeiter. Das sind die Klassiker des ersten Tags. Dabei beschreibt es nur das Pflichtprogramm, an dem aber schon viele Unternehmen scheitern. In diesem Artikel soll es um die Kür gehen, die danach beginnt, und von der abhängt, wie schnell z.B. neue Vertriebsmitarbeiter in das neue Arbeitsumfeld integriert werden und wie produktiv sie sich künftig einbringen können.
Sorgfalt statt Eile
Unternehmen streben nach Optimierung und Effizienz und das schlägt sich auch häufig auf den Einarbeitungsprozess neuer Mitarbeiter nieder. Der oder die Neue soll möglichst schnell produktiv werden. Der kürzeste Weg führt dann nicht selten durch das eiskalte Wasser, in das neue Mitarbeiter geschubst werden, aus Gedankenlosigkeit, aus organisatorischem Unvermögen, oder aus der irrigen Vorstellung heraus, dass das der erste Bewehrungstest ist. Am ersten Tag ein Becher mit dem Firmenlogo, ein Prozesshandbuch, eine kurze Einführung in das hochkomplexe CRM-System und eng getaktete Vorstellungsgespräche bei Kollegen und wichtigen Ansprechpartnern in anderen Abteilungen. Am zweiten Tag Produktschulungen und am dritten Tag ein erster Überblick über das Vertriebsgebiet. Am vierten Tag zwei Kundentermine mit einem Kollegen. Die Woche endet mit einem Team-Meeting und der Frage des Teamleiter, ob man gut angekommen sein sowie einem herzlichen „Wir freuen uns, Sie an Bord zu haben. Viel Erfolg.“ Wie nah ist diese Beschreibung an der Praxis in vielen Unternehmen?
Unternehmen sind hochkomplexe Organismen. Vertrieb ist eine hochkomplexe Tätigkeit. Kundenbeziehungen sind ebenfalls meistens komplex. Um in diesen drei Bereichen das erforderliche Verständnis zu entwickeln, braucht es Zeit und Unterstützung, Sorgfalt statt Eile. Onboarding ist kein Aufgabenkatalog, der in einer Woche abgearbeitet werden muss, sondern ein längerer und aufwendiger Prozess, der allerdings ein Investment darstellt, das sich auszahlt, weil neue Mitarbeiter enger an das Unternehmen gebunden werden, besser vernetzt sind und über die Informationen verfügen, also die Voraussetzungen erfüllt werden, damit sie ihre Fähigkeiten wirklich für das Unternehmen und deren Kunden wirksam werden lassen können.
Neue Vertriebsmitarbeiter: Erstmal nicht an den Arbeitsplatz
Es gibt sie noch, die Einzelkämpferorganisationen, mit individuellen Zielen, Rennlisten und anderen Wettbewerbselementen, in denen jeder einzelne auf seine Weise sein Glück sucht. Mein Vertriebsgebiet, mein Kunde, meine Provision. Vertrieb in B2B-Märkten wird aber immer mehr eine interdisziplinäre Teamaufgabe. Um Kunden an den verschiedenen Kontaktpunkten mit dem Unternehmen zufriedenstellend unterstützen zu können, erfordert es Arbeitsteilung und Kooperation. Das bedeutet für einen neuen Mitarbeiter, dass er zunächst einmal nicht an seinen Arbeitsplatz gehört, sondern in die verschiedenen Fachbereiche, mit denen er künftig zusammenarbeiten wird. Vertriebsmitarbeiter sind interne Kundenprojektmanager, die darauf angewiesen sind, nicht nur zu wissen, wer helfen kann, sondern auch die benötigte Unterstützung zu mobilisieren und zu koordinieren. Er muss die Arbeitsweise seiner Teamkollegen kennenlernen, die Mechanismen bereichsübergreifender Zusammenarbeit verstehen, persönliche Kontakte aufbauen und sich vernetzen. Damit später der kleine Dienstweg funktioniert, die Mithilfe auf Zuruf, und schnell der richtige Ansprechpartner gefunden wird, um ein Problem für einen Kunden zu lösen.
Viele Unternehmen pflegen eine Team-Rhetorik, predigen Kooperation und fordern ein Denken über Fachbereichsgrenzen hinaus. Aber die Formen der internen Zusammenarbeit sind immer ein Produkt aktiver Gestaltung und sorgsam entwickelter Unternehmenskultur. Der beste Weg dahin ist, zunächst einmal das gegenseitige Verständnis zu vergrößern. Wer macht was und wie, mit welchem Selbstverständnis und mit welchen Zielen? Wo bekomme ich was und wie kann ich anderen helfen, ihren Beitrag zum Gesamtprozess zu verbessern? Das lernt man am besten, wenn man einmal in einem anderen Bereich mitgearbeitet hat. Ganz im Sinne des Hinweises des Managementvordenkers Peter Drucker: „Um Wissen produktiv zu machen, müssen wir lernen, sowohl den Wald als auch den einzelnen Baum zu sehen. Wir müssen lernen, Zusammenhänge zu sehen.“
Diese Art der Vernetzung hat nicht nur den Vorteil, dass neue Mitarbeiter schnell einen Überblick erhalten, ihre Selbstorganisationsfähigkeit verbessert wird, und sie stärker eigenverantwortlich arbeiten, sondern auch die Bindung an das Unternehmen nimmt zu, weil dadurch natürlich auch vielfältige persönliche Beziehungen innerhalb des Unternehmens entstehen. Das erfordert natürlich Zeit, aber der Weg zu einer Kultur der Kooperation und einer Struktur des reibungslosen Wissenstransfers kennt keine Abkürzung.
Kunden wirklich kennen lernen
Die Reise durch die Fachbereiche hat noch einen weiteren gravierenden Vorteil: Der neue Vertriebsmitarbeiter lernt verschiedene Perspektiven kennen, aus denen auf Kunden geschaut wird. Denn die Kunden sind nach dem Unternehmen der zweite große Themenblock der Einarbeitung: Wer sind die Kunden? Was sind die Kunden für uns? Und was sind wir für unsere Kunden? Was sind die Merkmale unserer loyalsten Kunden?
Dabei geht es weniger darum, zu vermitteln, was die eigenen Produkte technisch auszeichnet, sondern deren Nutzen für den Kunden aufzuzeigen und den Mehrwert im Vergleich zu Wettbewerbsprodukten. Es geht weniger um die Darstellung des eigenen mehr oder weniger standardisierten Vertriebsprozess, als zu erklären, wie Kunden bei ihrem Einkaufsprozess vorgehen, welche Fragen sich Kunden stellen, die der Vertrieb beantworten muss, und auf welche Weise der Entscheidung- und Kaufprozess erleichtert werden kann. Es geht weniger um Kundensegmente, in die Kunden zur besseren Strukturierung der Betreuung eingeteilt werden, als um die Vorstellung von möglichst greifbaren Personas mit ihren Problem, Interessen und Arbeitskontexten, denen die Vertriebsmitarbeiter bei Kunden begegnen.
Die wichtigste Perspektive ist natürlich die der Kunden selbst, weshalb in die Einarbeitungsphase auch möglichst viele Kontakte und Gespräche mit Kunden gehören. Dabei ist gerade die Möglichkeit zum Austausch mit langjährigen Kunden wichtig, weil diese am besten erklären können, warum sie die Produkte oder Dienstleistungen beim eigenen Unternehmen kaufen und nicht bei anderen. Selbst wenn neue Mitarbeiter aus der gleichen Branche oder sogar von einem direkten Wettbewerber kommen, bedeutet dies nicht, dass sie deshalb über präzises Verständnis zum speziellen Zusammenspiel von Produktnutzen und Kundenbedürfnis bei ihrem neuen Arbeitgeber verfügen.
Das Tandem für neue Vertriebsmitarbeiter
In einem neuen Unternehmen Fuß zu fassen ist grundsätzlich nicht leicht. Dabei sollte ein Mitarbeiter nicht allein gelassen werden, sondern idealerweise einen Mentor zu Seite gestellt bekommen. Der Mentor muss nicht zwangsläufig bereits sein 10jähriges Firmenjubiläum gefeiert haben, um ausreichend Erfahrung, die tiefe Kenntnis informeller Strukturen und ein weitverzweigtes Netzwerk mitzubringen. Es kann auch sinnvoll sein, für diese Aufgabe Mitarbeiter zu gewinnen, deren eigene Einarbeitung noch nicht so lange zurückliegt und die daher noch recht frisch und aus eigener Erfahrung wissen, worauf es ankommt, welche Probleme und Herausforderungen sich ergeben können. Noch wichtiger sind jedoch dessen Einstellungen und kommunikative Fähigkeiten. Als Mentoren sollten Menschen gewählt werden, die das, was an Unternehmenskultur vermittelt werden soll auch verkörpern, die Interesse haben, ihre Erfahrungen zu teilen, ihr Wissen weiterzugeben, sich Zeit zu nehmen, zuzuhören und vielleicht sogar die Rolle eines Coaches übernehmen können. Ein Mentor ist Wegweiser, Ratgeber, Vertrauter und Sparringspartner. Aber er sollte kein Vorgesetzter sein. In gewisser Hinsicht, erfüllt er die gleichen Aufgaben wie als Vertriebler bei der Begleitung von Kunden auf deren Einkaufsreise.
Onboarding als gegenseitiger Lernprozess
Ein Onboarding-Prozess braucht also eine Struktur, Zeit und definierte Rollen, wie einen Mentor und Bereichsleiter, die neue Mitarbeiter für eine Zeitlang aufnehmen, sowie den eigentlichen Vorgesetzten, die einen regelmäßigen Austausch mit den Neuen suchen und den Verlauf und die Entwicklung während der Einarbeitung aufmerksam verfolgen. Es fehlt jedoch noch ein wichtiger Aspekt und der bezieht sich auf die mit dem Einarbeitungsprozess verbundenen Erwartungen und Zielen. Es macht einen Unterschied, ob der Einarbeitungsprozess hauptsächlich als unproduktive Übergangszeit und als Kostenfaktor gesehen, bei dem es entsprechend darum geht, neue Mitarbeiter so schnell wie möglich produktiv zu machen – was immer auch darunter genau verstanden wird. Meistens bedeutet dies, dass man den Eindruck, ihnen konkrete Aufgaben übertragen und Ziele auferlegen zu können.
Im Kontrast dazu kann man den Einarbeitungsprozess auch als parallelen Mitarbeiter- und Unternehmensentwicklungsprozess betrachten. Der Ausgangspunkt wäre dann nicht die Frage: Was kann diese Person noch nicht und welche Informationen müssen noch bereitgestellt werden? Auch wenn das sicherlich eine Komponente des Onboarding-Prozesses ist. Interessanter wird es jedoch, wenn die Frage auch umgedreht wird: Was kann ich von neuen Mitarbeitern lernen? Ein Onboarding-Prozess ist immer auch ein Test für ein Unternehmen, mit neuen Mitarbeitern als Testern. Wie überzeugend ist die Vertriebsstrategie? Wie gut sind die Prozesse? Gibt es ausgearbeitete Personas? Gibt es ein klares und einheitliches Verständnis zum Kundennutzen von Produkten? Wie offen und teamfähig sind andere Fachbereiche? Wie kundenorientiert ist man aus Sicht eines Externen? Ein neuer Mitarbeiter ist daher vom ersten Tag eine wichtige Informationsquelle, sofern Unternehmen in der Lage sind, diese zu nutzen, von Beginn an zu Kritikfähigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Kundenorientierung ermuntern und nach ihrem Feedback befragen. Den Anfang kann man gleich beim Onboarding selbst machen, der wie jeder andere erfolgskritische Prozess, kontinuierlich verbessert werden sollte.
Autor:
Dr. Udo Kords ist Dozent für Vertriebsmanagement an der FOM – Hochschule für Oekonomie und Management, Hamburg.