Geschäftsmodell verändern? 10 Praxistipps für KMUs in der Corona-Krise
Viele KMU stehen voll im Krisenmanagement - und sie müssen ihr Geschäftsmodell verändern. Doch wie gelingt das? Die Studiengangsleiterin CAS Business Creation & Marketing Strategy an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich gibt 10 Tipps.

KMU bilden die überwältigende Mehrheit der Unternehmen und stellen zwei Drittel der Arbeitsplätze in der Schweiz. Gemäss SECO musste jedes fünfte Schweizer KMU im Zuge der aktuellen Pandemie einen COVID19-Kredit beantragen. Bei der KMU-Studie der Credit Suisse wurden 1001 Schweizer KMU zwischen September und Oktober 2020 befragt. Über die Hälfte der KMU lag im Herbst 2020 noch unterhalb des Vorkrisenniveaus oder befand sich sogar in akutem Krisenmanagement. Aus diesem Grund hat fast die Hälfte der KMU das Geschäftsmodell angepasst. Bei Unternehmen, die sich im Herbst 2020 in akutem Krisenmanagement befanden, waren es sogar vier von fünf.
Doch wie kann man in so kurzer Zeit erfolgreich ein Geschäftsmodell verändern?
1. Mitarbeitende motivieren, unterstützen und schulen
Das wichtigste zuerst: Ohne Mitarbeitende geht nichts, nie. Diese sind genauso in der Krise gefordert wie die Geschäftsleitung. Video-Calls jeden Morgen mit dem Team für den kurzen informellen Austausch, helfen allen eine Tagesstruktur zu geben. So wissen alle, dass sie am Morgen angezogen vor dem PC sitzen müssen. Das Bereitstellen von adäquater Infrastruktur für zuhause in Form von Laptops, Monitoren, Tastaturen, Mäusen und Smartphones sowie eine neue Spesenpauschale für die Handy- und Internetgebühren stellen sicher, dass alle haben, was sie für ihre Arbeit täglich brauchen.
Schulungen für die Mitarbeitenden im Umgang mit den Video-Conferencing-Tools sowie das Einführen von einfachen Projekt-Management-Tools wie Asana oder Trello (bis 14 Personen kostenlos und sehr intuitiv), unterstützen die Führungskräfte beim Führen des Team aus der Ferne.
Kleine Aufmerksamkeiten wie ein Überraschungspäckli oder kostenlose Online-Sportklassen für die Mitarbeitenden setzten zudem ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung.
2. Finanzen mit frischem Blick durchleuchten
Mit den sich ständig ändernden Bedingungen, Fristen, Kreditmöglichkeiten und Sicherheitskonzepten, sind alle Betriebe ausserordentlich gefordert. Über den Verband oder mit Hilfe von externen Fachpersonen kann schnell abgeklärt werden, auf welche Unterstützung man Anrecht hat und wie man vorgehen muss. Ein frischer Blick auf die Kostenstruktur kann ebenfalls helfen gute Entscheidungen zu treffen und zu sehen, wo es (noch) Sparpotential gibt, welches die Qualität des Kerngeschäfts nicht angreift.
Was kann vermietet, gekündigt (Räumlichkeiten, Leasing-Verträge), verschoben oder unterbrochen, und bei Wiederaufnahme der vollen Geschäftstätigkeit schnell reaktiviert werden?
3. Lieferketten anpassen und neue Synergien nutzen
Lange und komplexe Lieferketten haben aufgrund geschlossener Grenzen und Produktionsstopps vielen Unternehmen zu schaffen gemacht. Bereits beim ersten Lockdown sind deshalb viele KMU auf lokale Lieferanten ausgewichen. Der Ausbau des Lieferantennetzwerks bietet die Möglichkeit, auch in Zukunft schneller – da geografisch näher – operieren zu können und Dank der verbindenden Lage neue Synergien aufzubauen. Durch das kombinierte Knowhow beider Parteien können so Produkte entstehen, die den neuen Kundenbedürfnissen Rechnung tragen.
4. Direkter Zugang zu neuen Kundengruppen dank Social Media
Social-Media-Kanäle haben in und durch die Krise stark zugelegt. Allen voran YouTube, Instagram, Pinterest und TikTok. Da Personen verstärkt nach Informationen und Produkten gesucht haben, hat auch Suchmaschinenwerbung wie Google Ads stark von der Krise profitiert. Die generelle Online-Zeit ist gestiegen, was Digital Advertising Möglichkeiten befeuert.
Alle diese Plattformen bieten den Unternehmen die Möglichkeit in Echtzeit mit (potentiellen) Kundinnen und Kunden zu kommunizieren, Dienstleistungen und Produkte direkt darüber anzubieten und bereits mit sehr geringen Budgets zielgerichtet (potentielle) Kund*innen zu erreichen.
Eine neue, überarbeitete Social Media Strategie öffnet so die Türen zu neuem Business. Wenn das Wissen in der Unternehmung noch nicht vorhanden ist, lohnt es sich eine Fachperson für einen digitalen Workshop einzuladen. So kann innert Wochenfrist eine neue Strategie ausgerollt werden.
5. Online-Shops und Lieferservices auf- und ausbauen
Viele Geschäfte dürfen die Kundschaft nicht mehr im Ladengeschäft bedienen. Entsprechend schnell musste bereits beim vergangenen März auf einen eigenen Webshop oder einen Lieferdienst umgerüstet werden. Viele einfache Website-Tools wie Jimdo oder Wix bieten intuitive Onlineshop-Lösungen mit Lizenzgebühren von wenigen hundert Franken an, die innerhalb weniger Tage selbst aufgesetzt werden können. Auch die Bezahloptionen sind damit abgedeckt, so dass man nur noch die Bankverbindung angeben muss. Um alles andere kümmert sich das System.
6. Onlinepräsenzen optimieren
Um Ware über den eigenen Shop zu verkaufen, braucht es zunächst genügend Besucher auf der eigenen Website. Um diese Zahlen zu optimieren, sollte man entsprechende SEO-Massnahmen (Suchmaschinenoptimierung) treffen, indem unter anderem Webseitexte überarbeitet und Ladezeiten optimiert werden. Zusätzliche Google-Text-Ads, Textanzeigen auf der Google-Seite, für ein besseres Ranking bei relevanten Suchanfragen tun ihr weiteres dazu. Für den Start ist das Geld gut investiert, wenn hier ein Profi mit ein bis zwei Tagen Arbeit das wichtigste aufsetzt und danach in regelmässigen Abständen optimiert. Hier sind die meisten Unternehmen je nach Thema mit ein paar hundert Franken Werbebudget pro Monat schon dabei.
7. Partnerschaften mit grossen Portalen für mehr Sichtbarkeit im Markt
Ist die Marke oder das Unternehmen noch zu unbekannt, um bereits eine kritische Menge an Websitebesuchern auszuweisen, kann eine Partnerschaft mit einem bekannten Portal wie Amazon, Galaxus, Brack oder Eat.ch der effizientere Weg sein. Dabei geht immer ein Prozentsatz des Verkaufspreises (Achtung bis zu 30%) an das Portal. Dies muss beim Pricing unbedingt eingerechnet werden. Natürlich kann man die Strategien auch parallel fahren und durch das Portal neue Kundschaft gewinnen, die von selbst noch nicht auf die eigene Website gekommen wären. Mit einer gut umgesetzten Kundenbindungsstrategie, sorgt man dafür, dass sie das nächste Mal direkt über die eigene Site buchen.
8. Clevere Nutzung von Messenger-Apps und (Video-)Chat in der Kundenberatung
Da Filialbesuche aktuell nicht möglich sind und auch in den nächsten Monaten ungewiss bleiben, braucht es andere Wege, um Kundinnen und Kunden punktgenau beraten und betreuen zu können. Statt umständlicher Kontaktformulare, kann hier mit einfachen Mitteln auf der Website ein Live-Chat oder sogar Whats-App integriert werden. Mitarbeitende können die Kundschaft via Video-Chat durch die Prozesse führen. Für den Einstieg kann mit kostenlosen Tools wie Google Hangouts gearbeitet werden oder man geht gleich zum aktuellen Marktführer Zoom. Auch hier können die Mitarbeitenden innerhalb eines Tages geschult werden und so eine professionelle Betreuung der Kundinnen und Kunden sicherstellen.
9. Wertvolle Alternativen zu Events & Networking schaffen
Grosse Anlässe wie Konferenzen und Messen werden noch länger auf sich warten lassen. Aufgrund dieser Einschätzung sollte man sich auf die Suche nach Alternativen machen. Sicher ist: Gar keine Beziehungspflege und kein Wissensaustausch mit (potentiellen) Kundinnen und Kunden bzw. Partnerinnen und Partnern haben auf Dauer zusätzliche Umsatzeinbussen zur Folge. Spannende Online Master Classes mit Fachpersonen aus der Branche, die kurze interaktive Sessions für bestehende oder neue Kundinnen und Kunden anbieten, sind hier eine gangbare Alternative. Exklusivere Anlässe im kleinen Rahmen für die wichtigsten Partnerinnen und Partner im Sommer und mit entsprechendem Sicherheitskonzept können Abhilfe schaffen.
10. Sicherheit bieten
Sollten die genannten Massnahmen greifen, heisst es noch nicht, dass die Kundinnen und Kunden kaufen. Denn Krisen führen generell zu einem erhöhten Bedürfnis nach Sicherheit. Es gilt also, sich zu überlegen, wie man den Kundinnen und Kunden nicht nur etwas verkauft, sondern wie man ihnen, entweder mit dem Produkt oder der Dienstleistung, selbst oder mit der Entscheidung ein Stück Sicherheit vermitteln kann. Dies kann in Form von Gütesiegeln, ausgewiesenen Sicherheitskonzepten, Geld-Zurück-Garantien oder Probeabos gelingen.
Die Zeit der Narrenfreiheit – Nutzen wir sie!
In jeder Krise werden die Karten auf unterschiedlichen Ebenen neu gemischt. Das ist anstrengend, meist unfair und dabei wird es immer Gewinner und Verlierer geben. Alle Unternehmen, welche über genügend Ressourcen verfügen, werden die aktuellen Umbrüche auf der strategischen Ebene prüfen, Chancen erkennen und Prioritäten setzen müssen.
- Was ist die tatsächliche Kernkompetenz und wo und wie wird diese in der neuen Realität gebraucht?
- Welche neuen Geschäftsmodelle zeichnen sich dank dem veränderten Konsumverhalten ab (beispielsweise Fokus auf Online-Shop mit Show-Room oder Abo-Service für Heimlieferungen), welche neuen Standorte braucht es in welcher Grösse (Verkaufsfläche, Büros, etc.) und welche neuen (digitalen) Prozesse bringen weitere Fortschritte und neue Synergien mit sich?
Es ist der perfekte Zeitpunkt, um neue Ideen anzugehen, da Menschen sich für den Moment daran gewöhnt haben, dass noch nicht alles reibungslos funktioniert. Es herrscht eine Zeit der „Narrenfreiheit“, denn alles ist neu. Prozesse laufen noch nicht rund, Verzögerungen treten an unerwarteten Stellen auf und der Umgang mit Ungewissheit könnte zur eigenen Olympia-Disziplin werden. Wer jetzt loslegt, kann noch alle Fehler machen und mit optimierten Abläufen, schnellen Ergebnissen und flexiblen Modellen punkten, bis die Welt wieder in ihre (neuen) Strukturen fällt.
«Die geschickte Nutzung unternehmerischer Gelegenheiten, knapper Ressourcen und die Gestaltung innovativer Kundenlösungen angesichts grosser Unsicherheit mit möglichst viel Kreativität», was klingt wie eine passende Zusammenfassung der letzten zehn Monate, ist die wissenschaftliche Definition des Entrepreneurial Marketings.
Autorin:
Tanja Herrmann ist Studiengangsleiterin CAS Business Creation & Marketing Strategy an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.