Zielkonflikte im Unternehmen: Einigkeit durch Mehrdeutigkeit?

Nicht immer sind eindeutige, klare Zielformulierungen und Leitbilder der einzige Weg zum Unternehmenserfolg. Besonders in sehr diversen Teams, mit Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft, können auch andere Strategien sinnvoll sein. Das zeigt eine aktuelle Studie der Wirtschaftsuniversität Wien in Zusammenarbeit mit der University of Oxford.

Nicht immer garantieren eindeutige Zielformulieren auch Volltreffer. Zielkonflikte in kulturell gemischten Organisationen etwa können vermieden werden, indem man etwa auf Mehrdeutigkeiten von Begriffen setzt. (Bild: Fotolia.com)

Traditionell betonen Führungstheorien die Wichtigkeit einer klaren, zentralen und starken Vision sowie einem einheitlichen Ziel für die Angestellten. Neben reinen Umsatzzielen werden allerdings auch immer öfter Ziele formuliert, die zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen sollen – die Gefahr, dass innerhalb des Unternehmens Zielkonflikte entstehen, ist groß. Um unterschiedlichen Zielen gerecht zu werden, wird in der Literatur bisher empfohlen, entweder diese zu separieren (z.B. durch Gründung einer neuen Abteilung), oder eine gemeinsame Identität innerhalb des Unternehmens zu entwickeln. Nur was, wenn das nicht möglich ist, weil sie zu gegensätzlich oder zu viele sind? Genau dies untersuchten die Wissenschaftler Ali Aslan Gümüsay von der Wirtschaftsuniversität Wien und seine Kollegen mit einer 2-jährigen Fallstudie anhand der Gründung der ersten islamischen Bank in Deutschland und finden im gerade erschienenen Artikel im Academy of Management Journal eine Antwort.

Eine Frage der Auslegung

Wie die Studienautoren in ihrem Paper „God at work: engaging central and incompatible institutional logics through elastic hybridity“ deutlich machen, wirkt die Unvereinbarkeit von Religion, den Lehren des Islams und westlichen, konventionellen Formen des Bankwesens im Falle des islamischen Bank im ersten Augenblick besonders groß. „Eine große Herausforderung für eine islamische Bank ist sicherlich der multikulturelle und unterschiedlich religiöse Hintergrund der Angestellten. Die Vor- und Einstellungen, wie sich eine islamische Bank zu positionieren hat, können sehr unterschiedlich ausfallen“, so Studienautor Gümüsay. Um Zielkonflikte zu vermeiden wurden neue Wege gesucht und gefunden. Die Studie zeigt auf, dass die Führung für Zielformulierungen, strategische Positionierung und Leitbilder, aber auch in der internen und externen Kommunikation Mehrdeutigkeit und Ambiguität nutzen. „Mehrdeutigkeit wird dabei nicht nur sprachlich eingesetzt, sondern betrifft die gesamte Identität“, so Gümüsay. Dadurch sollte Angestellten die Flexibilität gegeben werden, sich durch entsprechende persönliche Auslegung mit der Bank besser identifizieren zu können. Anstelle einer klaren Balance zwischen Religion und Marktlogik, ermöglichte die Bank den Angestellten eine persönliche Balance zu entwickeln und mit ihr zu arbeiten.

Zeichen setzen

Gümüsay und seine Kollegen benennen hierfür zwei Mechanismen, die sich die Bank zunutze machte. Polysemie, wörtlich „mehrere Zeichen“, beschreibt, wie Führungskräfte ganz bewusst Mehrdeutigkeit um das Organisationsziel kultivierten und auch mehrdeutige visuelle und wörtliche Zeichen nutzen – seien es Symbole, Bilder oder Begriffe. Slogans wie „Islamisch. Sinnvoll. Handeln.“ arbeiteten gezielt mit der Doppelbedeutung des Wortes ‚handeln’ für ‚tun’ einerseits sowie ‚Handel treiben’ anderseits. Letzteres ist aufgrund des Zinsverbotes ein Kernelement des islamischen Bankwesens.

Der zweite Mechanismus ist Polyphonie, wörtliche „mehrere Stimmen“, der es erlaubte, dass Angestellte sich durch die Nutzung von verschiedenen physischen Orten, flexiblen Arbeitszeiten und Mehrsprachigkeit, individuell mehr oder weniger religiös verhalten konnten und damit die Bank unterschiedlich religiös und profitfokussiert erlebten.

Biegen ohne Brechen

„Das Zusammenspiel dieser beiden Mechanismen ermöglicht es, dass in der Bank ganz unterschiedliche Einstellungen, Meinungen, Werte und Praktiken zugleich gelebt werden können, die Bank aber trotzdem eine Einheit in Vielfalt herstellen kann“, erklärt Gümüsay. Diese dynamische Balance nennen die Autoren elastische Hybridität. Die Organisation stellt ein Hybrid mit verschiedenen Zielen dar, erreicht so Resilienz und kann sich in ihrer Vision und Praxis „biegen ohne zu brechen“ und damit Einigkeit durch Mehrdeutigkeit herstellen. „Die Studie weist auch politische Implikationen auf, inwiefern Gesellschaften Einheit in Vielfalt erstellen und erhalten können. Wenn weder eine Zerstückelung der Gesellschaft in ‘Abteilungen’ noch eine homogene Identität möglich sind, bieten Polysemie und Polyphonie die Möglichkeit, Vielfalt zu inkludieren. Gesellschaften werden so elastisch und können besser mit Vielfalt umgehen, ohne ihre Einheit aufzugeben“, so die Autoren.

Die Ergebnisse der Studie basieren auf einer über 24-monatigen Studie, für welche die Autoren 60 Tage ethnographische Beobachtungen, 73 Interviews und 1350 Dokumente ausgewertet haben.

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

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