Wenn die Unternehmenskultur die Compliance entlarvt
Stichworte wie „Paradise Papers“, Wikileaks, „Panama Papers“, Mobbing an der ETH, das UBS Factsheet Conduct Jan 2016, VW-Abgaskandal, Fipronilskandal (Eier) 2017: Die beiden Autoren Hans R. Hässig und Roland F. Stoff wollen im folgenden Artikel einen Beitrag leisten, wie diese Themen aus der Perspektive der Unternehmenskultur betrachtet werden können.
Wird die Compliance durch die Unternehmenskultur entlarvt, waren bereits „Whistleblower“ am Werk, das Engagement der Mitarbeitenden merklich geschwunden und die Glaubwürdigkeit der Firma in Frage gestellt. Solche Prozesse werden in Gang gesetzt, weil die Meinung besteht, schriftliche Verhaltensregeln ersetzten die Führungsverantwortung, monetäre Anreize wirkten selbstregulierend und Kontrollen seien deshalb unwichtig. Als Resultat entsteht die Haltung eines selbstzufriedenen und selbstbezogenen Verständnisses von Verantwortung. Diese Verantwortung wird schlussendlich von der Unternehmenskultur schmerzhaft aufgedeckt. Es ist eine Folge von schwammig verfassten Compliance-Grundsätzen, die Schlupflöcher zulassen, Verbindlichkeiten nicht einfordern und dadurch keine Rechenschaften ermöglichen. Es zeigt eine Kultur, ein Verhalten, dass Führungskräfte und vor allem die „Stakeholder“ rasch bemerken sollten.
Was Unternehmenskultur und Compliance bedeuten
Eine Unternehmenskultur zeigt sich in der Art und Weise, wie Geschäftsziele verfolgt werden und wie miteinander umgegangen wird. Unternehmenskultur beinhaltet das gesamte gewachsene Meinungs-, Norm- und Wertegefüge, sowie die ungeschriebenen Regeln, welche das Verhalten der Führungskräfte und der Mitarbeitenden prägen. Compliance bzw. Regeltreue, auch Regelkonformität ist die betriebswirtschaftliche Umschreibung für die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien, aber auch von freiwilligen Kodizes, in Unternehmen.
Die Herkunft des Begriffes „Whistleblower“ im eingangs erwähnten Zusammenhang ist nicht eindeutig belegt. Es besteht eventuell eine semantische Beziehung zu dem deutschen Begriff „verpfeifen“. Man nimmt an, dass sowohl englische Polizisten, die mittels einer Trillerpfeife andere Polizisten auf einen Verbrecher aufmerksam machten, als auch Schiedsrichter beim Fußball, die durch Pfeifen das Spiel nach Regelverstößen unterbrechen, sinngebend waren. Demnach braucht es in einer Unternehmung keine Whistleblower, weil in der Hierarchie solcher Organisationen die Vorgesetzten diese Aufgaben wahrnehmen sollten – oder etwa nicht?
Whistleblowing „outsourcen“
Wäre es besser diesen Führungsanspruch zu delegieren?
Etwa an Firmen wie: „SAFE CHANNEL – das digitale und effiziente Hinweisgebersystem„? Geben Sie Ihren Stakeholdern die Gewissheit, dass Compliance in Ihrem Unternehmen ernst genommen wird. Mit einem geschlossenen Hinweisgeber-system können Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften innerhalb des Unternehmens anonym, sicher und unbürokratisch melden.
Oder an eine INTEGRITY LINE GMBH – wir lösen Ihre Probleme der Integrität?
Oder soll innerhalb eines Konzerns eine anonyme „integrityplatform.org“ gebildet werden, welche Mitarbeitende regelrecht auffordert, auch anonym, Meldung zu erstatten, wenn sich jemand nicht integer verhält und versprechen, dass den Mitarbeitenden selbst keine Nachteile daraus entstehen und sie eine Antwort erhalten auf ihre bereits platzierte Meldung über ihre Vorfallnummer und ihrem Passwort?
Firmen schreiben in ihren Leitbildern: „Wir pflegen eine offene, transparente und vertrauensvolle Kommunikation.“ „Wir nehmen unsere Mitarbeitenden ernst – sie sind unsere „Know-How-Träger“ der Zukunft, unser Humankapital ist uns wichtig.“ Dies sind Anzeichen, dass Juristen zu stark über Interpretationen und langatmige Formulierungen, Sicherheit über Distanz und Unverbindlichkeit Vertrauen einfordern wollen. Vor allem Grossfirmen und Konzerne, welche über Zukäufe und Fusionen gewachsen sind, haben verlernt, ihre Unternehmenskultur über Beziehungen statt über Vorschriften zu formen. Gemäss dem Spruch: „Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand“ (Lucius Annaeus Seneca).
Punkte, die eine Unternehmenskultur verhindern
Wie sind solche Entwicklungen frühzeitig erkennbar? Grundsätzlich gilt es zu bedenken, dass Systeme nicht einfach deshalb funktionieren, weil es die Freiheit des Marktes oder die Freiheit der Rede et cetera gibt; sie funktionieren, weil es Kontrolle, also „checks and balances“ gibt. Vor allem der Umgang untereinander ist es, welcher Vertrauen oder Misstrauen sät. Respekt und Anerkennung werden einem als Chef nicht einfach vor die Füße gelegt. Mit Wertschätzung, Vertrauen, Verständnis und der Fähigkeit zur Motivation, müssen sie erst einmal erarbeitet werden. Das Gegenteil davon sind Verhaltensformen, die in keiner Compliance zu finden sind, doch leicht beobachtbar und messbar sein können.
- Mangelhafte Kommunikation – Gemeint ist damit die selbstgewählte Isolation an der Spitze und das Verschanzen hinter dicken Chefzimmertüren, überwiegende Kommunikation per E-Mail statt von Angesicht zu Angesicht sowie Kritikunfähigkeit.
- Unfaire Bezahlung – Kollegen, die mit Prämien überschüttet werden, obwohl andere die Arbeit für sie machten, sind Leistungsbremsen für jeden Betrieb.
- Jobunsicherheit-„Outsourcing, Downsizen, Change Management“ sind nicht nur hässliche Anglizismen. Sie verunsichern Mitarbeitende auch. Fakt ist: wer ständig um seine Existenz fürchten muss, kann nicht kreativ sein.
- Vetternwirtschaft – Vetternwirtschaft hat die wohl destruktivste Wirkung auf die Moral der Belegschaft. Sie bedeutet: Es ist egal, was du leistest, was zählt, ist einzig die Gunst des Chefs.
- Überlastung – Dauerstress kann Fehlzeiten der Mitarbeiter aber auch Produktionsfehler und Fluktuationsrate erhöhen.
- Inkompetenz – Es ist nicht nur ein Bonmot: A-Leute umgeben sich mit A-Leuten, B-Leute mit C-Leuten.
Was man von Chefs mehr hören sollte
Eine Unternehmenskultur, die Nahbarkeit zulässt ist lebendig. Ein Chef, der danach lebt, signalisiert: Ich bin ansprechbar, erreichbar, offen – und ich nehme mir für dich Zeit, wenn es nötig ist. Wer flache Hierarchien installiert, der muss sie auch leben. Ein Organigramm und Gesetzesabschriften motivieren noch niemanden. Was Chefs viel häufiger sagen sollten, um Vertrauen zu zeigen, sind Sätze, wie: Was denken Sie darüber? Ich vertraue Ihnen da völlig. Ich bin froh, Sie bei mir im Team zu haben. Bitte / Danke, Da lag ich wohl falsch. Sie haben Recht! Ich entschuldige mich dafür. Wenn Sie Hilfe benötigen, melden Sie sich bitte. Ohne Sie geht es nicht – wir brauchen Sie.
Der berühmteste aller Whistleblower, Edward Snowden, sagte einst über seine Motive: „Whistleblower sind ein Ergebnis der Umstände. Sie sind die Folge von Fehlverhalten, nicht die Ursache“. Wenn die Unternehmenskultur die Compliance entlarvt, ist es nicht zu spät, aber allerhöchste Zeit, Worte in Taten umzusetzen, mit allen machbaren Konsequenzen.
Zu den Autoren:
Hans R. Hässig hat langjährige Erfahrung als Führungskraft auf Geschäftsleitungsebene in KMU und arbeitete in Industriebetrieben im In- und Ausland auf Konzernebene.
Roland F. Stoff hat langjährige Erfahrung als Führungskraft auf Geschäftsleitungsebene in KMU, in der Industrie, der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen.
Sie haben effiziente Instrumentarien entwickelt mit denen Unternehmenskulturen sichtbar gemacht werden können. Über die erfahrene Wertehaltung und deren Authentizität lässt sich die Unternehmenskultur zielorientiert steuern. Es sind Einflussfaktoren, die immer monetäre Wirkungen haben.
Ihr Buch „Unternehmenskultur verstehen“ – die Basis für langfristigen Erfolg ist beim Cosmosverlag erschienen.
www.unternehmenskultur-controlling.ch