Auch «Einfacharbeit» ist zentral
Bewährte ältere Beschäftigte im Betrieb zu halten, ist nicht nur unter dem Stichwort des Fachkräftemangels ein Gebot der Stunde, sondern auch dort, wo formale Qualifikation nicht erforderlich ist: in der Einfacharbeit.
Viele Unternehmen bemühen sich, das Potenzial älterer Beschäftigter in Einfacharbeit zu erhalten und zu fördern, um bewährte Mitarbeitende und ihre Kompetenzen im Unternehmen zu halten. Als grösstes Risiko – für die Mitarbeitenden wie für den Betrieb – sehen die Unternehmen die Gesundheit der älteren Mitarbeitenden. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Die Studie leistet einen Beitrag, die mit alternden Belegschaften und Personalmangel einhergehenden Produktivitäts- und Qualifikationslücken zu schliessen.
Einfach, aber nicht anspruchslos
Wenn eine Arbeit als «einfach» gilt, bedeutet das nicht, dass sie anspruchslos wäre. Als «Einfacharbeit» bezeichnet man Tätigkeiten, für die keine formale Qualifikation erforderlich ist. Beschäftigte erlernen diese Tätigkeiten im Rahmen einer Einarbeitung. In der Einfacharbeit sind vorwiegend Personen ohne Berufsabschluss tätig, aber auch Personen, deren Qualifikationen hierzulande nicht anerkannt werden oder die mit ihrer Qualifikation keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Auffallend ist der hohe Anteil an Frauen sowie an Migrantinnen und Migranten in der Einfacharbeit. In zahlreichen Branchen ist Einfacharbeit mit einem relativ hohen Durchschnittsalter verbunden.
Für die Schweiz liegen keine Daten zum Gesamtumfang der Einfacharbeit vor. In vergleichbaren Volkswirtschaften wie der deutschen liegt der Anteil im verarbeitenden Gewerbe bei rund 25 Prozent. Je nach Branche ist der Anteil sehr unterschiedlich, in der Schweiz rechnet man zum Beispiel in der Fleischverarbeitung mit 50 Prozent Beschäftigten in Einfacharbeit.
«Einfacharbeit ist zentral»
«Beschäftigte in Einfacharbeit galten lange als flexible Arbeitskraftressource, als leicht austauschbar und ersetzbar, das hat sich inzwischen geändert», sagt Thomas Geisen von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, der zusammen mit Kolleginnen der Hochschule für Wirtschaft FHNW und der Pädagogischen Hochschule FHNW die Studie leitet. Die Studie zeigt, dass Einfacharbeit von vielen Unternehmen als zentraler produktiver Faktor angesehen wird. «Für uns ist die Einfacharbeit zentral», sagen übereinstimmend Verantwortliche der Gastronomie-Gruppe SV Schweiz und des Fleischverarbeiters Bell-Gruppe. Und ein Manager der Planet GDZ, Fertigung und Vertrieb von Absenkdichtungen für Türen, hält fest: «Das sind die Mitarbeitenden, die bei uns die Wertschöpfung realisieren.»
Einfacharbeit wird nicht verschwinden
Die verbreitete Annahme, dass Einfacharbeit durch Rationalisierung und Automatisierung so gut wie verschwinden wird, dürfte sich kaum bestätigen. Vielmehr verändert sich Einfacharbeit durch technologischen Wandel und es finden Verschiebungen in den Produktionsketten oder zwischen Branchen statt, zum Beispiel durch Outsourcing. So steht der Abnahme von Einfacharbeit in der industriellen Produktion ein Anstieg in den personenbezogenen Dienstleistungen gegenüber.
Viel Routine, gefährdete Gesundheit, wenig Weiterbildung
Das Risiko gesundheitlicher Probleme wird von den Betrieben als die zentrale Herausforderung der Personalbindung im Alter gesehen. In Einfacharbeit tätige ältere Personen haben oft über Jahre hinweg routinierte und meist körperlich belastende Tätigkeiten unter schwierigen Bedingungen bei tiefem Lohn ausgeübt. Solche Belastungen, aber auch fehlende Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten können eine negative Wirkung auf die Bindung der Beschäftigten ans Unternehmen haben. «Ein Blick in die Weiterbildungsstatistik zeigt, dass gerade Personen ohne Berufsabschluss kaum formale Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote nutzen», erläutert Koprojektleiterin Nathalie Amstutz von der Hochschule für Wirtschaft FHNW.
Strategien, die bewährten Mitarbeitenden zu halten
Unternehmen, welche die Herausforderungen der Einfacharbeit aktiv angehen, suchen nach Antworten in den Bereichen Gesundheitsförderung, Weiterbildung und Personalführung. Mehrere der befragten Unternehmen haben Jobrotation eingeführt, um einseitigen Belastungen sowie übermässiger Monotonie entgegenzuwirken. Weiter werden finanzielle Anreize und Vergünstigungen angeboten. Und die Personalverantwortlichen haben schon bei der Einstellung von Personal für einfache Tätigkeiten ein Auge auf den längeren Verbleib der neuen Mitarbeitenden: Das Rekrutieren von in der Region wohnhaftem Personal oder das Nachziehen ehemaliger temporär Beschäftigter sind hier gängige Strategien.
Das Thema ist bisher kaum erforscht
Die FHNW-Studie «Alternde Belegschaften und Einfacharbeit» ist die erste Untersuchung zu diesem Thema in der Schweiz, auch international ist das Thema erst punktuell erforscht. An der Studie beteiligt haben sich zwanzig Unternehmen aus der produzierenden Industrie, dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie dem Sozial- und Gesundheitsbereich. Neben den genannten Unternehmen Planet GDZ, SV Schweiz und Bell-Gruppe haben auch Syngenta, ABB und das Basler Fünf-Sterne-Hotel Les Trois Rois mitgemacht. Zudem wurden zehn Interviews mit Expertinnen und Experten aus Verbänden, Sozialversicherungen und Gewerkschaften geführt.
Das Projekt «Alternde Belegschaften und Einfacharbeit» ist Teil des Forschungs- und Entwicklungsprogramms «Alternde Gesellschaft». Dieses Programm ist eine von vier Strategischen Initiativen, mit denen die FHNW gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit anpackt. Die übrigen drei aktuellen Themenfelder: Es fehlen naturwissenschaftlich-technische Fachkräfte (Strategische Initiative «EduNaT»), ein nachhaltiger Umgang mit Energie tut not (Initiative «Energy Chance»), die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft muss gestärkt werden (Initiative «Unternehmertum»).
Quelle: Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Wirtschaft