Mit Achtsamkeit durch stürmische Zeiten

Achtsamkeit scheint das neue Modewort zu sein. Doch was steckt hinter diesem Begriff? Und wie kann uns Achtsamkeit helfen, herausfordernde Situationen im beruflichen und privaten Alltag zu meistern?

Sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren – ein zentrales Element der Achtsamkeit.

Unsere Arbeitswelt verändert sich rasant, und spätestens seit Beginn der Pandemie steht eines fest: Viele Aspekte des neuen Arbeitens wie das Flex office, Führen über Distanz und die Zusammenarbeit im virtuellen Team werden bleiben. Sie unterstützen den Wandel in der Arbeitswelt und die Digitalisierung. Dennoch stellen diese Veränderungen die Menschen im Unternehmen vor Herausforderungen. Der Mensch mag Routinen, denn sein Gehirn bevorzugt es primär, die gewohnten Bahnen im neuronalen Netzwerk zu nutzen. Schnelle Veränderungen fordern das menschliche Gehirn heraus, denn neues Denken und Handeln kostet viel Energie.

Achtsamkeit ist eine Möglichkeit, das Gehirn dabei zu unterstützen, Veränderungen zu begegnen und Raum für neues Denken und Handeln zu kultivieren. So kann Achtsamkeit auch die Menschen unterstützen, die sich in Hochgeschwindigkeit auf neue Arbeitsweisen einstellen müssen.

Achtsamkeit – ganz im Hier und Jetzt

Was verstehen wir eigentlich unter Achtsamkeit? Achtsamkeit ist die Präsenz im aktuellen Augenblick, urteilsfrei und mit Mitgefühl. Es ist ein Zustand der Wachheit, des Da-Seins.

Das klingt ganz einfach. Doch schauen wir auf den modernen Alltag: Wie viel Zeit sind wir ganz da? Die meiste Zeit verbringen wir doch damit, die Vergangenheit zu analysieren, um daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Oder wir schmieden Pläne für den nächsten Tag und richten unser Handeln an Strategien aus.

Unser Gehirn denkt bis zu 70 000 Gedanken am Tag. 70% davon sind sich wiederholende Gedanken, 27% sind ängstliche und negative Gedanken und circa 3% sind neue Gedanken. Die wiederholte gedankliche Analyse der Vergangenheit in Verbindung mit Sorgen darüber, dass sich bestimmte Szenarien wiederholen, ist folglich ganz natürlich. Die Gefahr ist jedoch, dass wir uns in den wirbelnden Gedanken verlieren und vergessen, wie es sich anfühlt, im aktuellen Augenblick zu sein.

Achtsamkeitsmethoden wie Meditation, Yoga oder Qigong helfen uns, Präsenz zu schaffen. Insbesondere in herausfordernden Zeiten wie der aktuellen Krise, in welcher das Gehirn ständig Impulse zur Sorge durch Medien und das persönliche Umfeld erhält, können Achtsamkeitsmethoden das mentale Wohlbefinden fördern.

Dem Gedankenwirbel im Homeoffice begegnen

Viele Angestellte befinden sich seit fast einem Jahr im Homeoffice. Manche müssen dort neben den beruflichen Aufgaben auch andere Bälle in der Luft halten wie Homeschooling oder die Versorgung älterer Familienmitglieder. Noch dazu kommen die erheblich angestiegenen Digitalzeiten vor dem Bildschirm und in Videokonferenzen. Während der Ausgleich durch Bewegung sinkt, steigen Stress und Druck. Doch das ist vielen oft gar nicht bewusst.

Sich über die vorherrschenden Gefühle und körperlichen Empfindungen klar zu werden, kann auch im Homeoffice helfen, Anspannungen zu begegnen und sie nicht zu sehr anstauen zu lassen. Hier helfen folgende Übungen:

  1. Blick an den Horizont: Nutzen Sie Pausen, um Ihren Blick am Horizont bzw. in der Ferne ruhen zu lassen. Fokussieren Sie dabei die Augen nicht, sondern lassen Sie den Blick sanft werden. Diese Übung beruhigt das vegetative Nervensystem und schafft so Präsenz und Ruhe. Gleichzeitig entspannen sich die digital beanspruchten Augen.
  2. Atem-Anker: Atmen Sie dreimal tief ein und wieder aus. Zählen Sie bei der Einatmung bis 4 und bei der Ausatmung bis 6 oder 8. Der Atem ist ein wunderbarer Weg, in den aktuellen Augenblick zu kommen und einen Fokus zu schaffen.

Achtsame Führung funktioniert auch über Distanz

Führung wurde lange als ein hierarchischer Auftrag angesehen, der von oben nach unten durchgesetzt werden musste. Auch wenn diese Zeiten längst vorbei sind, erfahren doch viele Führungskräfte eine Art von Machtlosigkeit, wenn sie ihre Mitarbeiter plötzlich nicht mehr im Büro sehen. Sie verlieren scheinbar an Kontrolle. Neues Arbeiten bedeutet auch, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu befähigen und Vertrauen auszudrücken. In einer hoch komplexen Arbeitswelt, in der stetig neues Wissen generiert wird, kann eine einzelne Führungskraft weder alle Zusammenhänge überblicken noch von sich erwarten, stets allein die beste Entscheidung zu treffen.

Achtsamkeit kann der Führung helfen, Kontrolle abzugeben und mehr ins Vertrauen zu gehen:

  1. Die Kraft der Dankbarkeit: Starten Sie das Teammeeting mit einer Runde, in der alle teilen, wofür sie dankbar sind. Machen Sie als Führungskraft den Anfang. Das hebt die Stimmung im Team und drückt Wertschätzung aus.
  2. Retrospektive: Reflektieren Sie am Ende eines Meetings (digital und real) gemeinsam mit der Gruppe, wer welche Redeanteile hatte. Schaffen Sie so Raum für aktive Gesprächsanteile aller. Das ist Enablement!
  3. Blauer Himmel: Gönnen Sie sich als Führungskraft kurze Meditationspausen. Stellen Sie sich 5 Minuten lang vor, dass Ihre Gedanken wie Wolken am Himmel vorüberziehen. Das macht bewusst: Nicht auf jeden Stimulus muss eine Reaktion folgen.

Achtsamkeit im Team schafft Zusammenhalt

Immer öfter hören wir heute von psychologischer Sicherheit. Das Konzept hebt u.a. heraus, wie wichtig es ist, dass wir uns im Team sicher fühlen, um über Fehler zu sprechen, Emotionen zu adressieren und uns so individuell und gemeinsam weiterzuentwickeln. Teams, welche diese Fähigkeiten entwickelt haben, sind leistungsfähiger, kollaborativer und motivierter.

Achtsamkeit schafft eine Grundlage für das Kultivieren dieser Art von Sicherheit im Team. Die gute Nachricht ist: Sie kann sowohl im echten als auch im virtuellen Raum gemeinsam praktiziert werden:

  1. Morgenmeditationen mit Reflexion: Gemeinsame Starts in den Tag – beispielsweise einmal pro Woche – mit einer gemeinsamen Meditation erhöhen das mentale Wohlbefinden, den Fokus und die Konzentrationsfähigkeit. Das klappt auch digital!
  2. Die virtuelle Schnitzeljagd: Nehmen Sie sich im Team einmal im Monat Zeit für ein Teambuilding. Die virtuelle Schnitzeljagd macht Spass und lädt zum Gespräch ein. Hier sammeln alle in zwei Minuten z.B. «etwas Rotes», «etwas Inspirierendes», «etwas Lustiges» und teilen danach, was es mit den Dingen auf sich hat.

Zukunftsfähigkeiten entwickeln heisst achtsam arbeiten und handeln

Der Artikel zeigt: Achtsamkeit ist mehr als Esoterik und Räucherstäbchen. Wenn wir heute von einer neuen Arbeitswelt sprechen, bedeutet das auch: Wir brauchen neue Fähigkeiten, um den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten. Diese Fähigkeiten sind u.a. Resilienz und mentales Wohlbefinden, Empathie, Veränderungsfähigkeit und digitale Fähigkeiten. Achtsamkeit kann ein Weg sein, diese Fähigkeiten als Mitarbeiter und Mitarbeiterin, als Führungskraft, als Team und als Organisation zu entwickeln. So entstehen neue Möglichkeiten der aktiven Mitgestaltung aller im Unternehmen – zukunftsorientiert und nachhaltig. Im Zuge dessen darf sich auch Führung natürlich verändern und zu einem geteilten Prozess werden, der letztlich dem ganzen Unternehmen in seinem Wachstumsprozess dient.

Achtsamkeit

Die Methode der Achtsamkeit geht auf eine fernöstliche Meditationspraxis zurück. Diese zielt darauf ab, sich mit allen Sinnen auf den Moment zu konzentrieren und im Hier und Jetzt zu verbleiben. Inzwischen bieten verschiedene Dienstleister wie z.B. myndway Achtsamkeitstrainings für Unternehmen an, auch digital.

 

Autorin

Dr. Martina Weifenbach ist Vorreiterin in der Verknüpfung von digitaler Innovation, New Work und Achtsamkeit. Sie ist Autorin von «Achtsamkeit und Innovation in integrierten Organisationen», Executive Coach und Gründerin von myndway. Ziel von myndway.com ist es, Achtsamkeit und Agilität in Unternehmen zu bringen.
Weitere Informationen: https://myndway.com

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