Professionelle Beratung rund um den Arbeitsplatz
Gabriela Leemann ist diplomierte Shiatsu-Therapeutin und im Ergonomie-Fachgeschäft ErgoPoint Zürich-Oerlikon zuständig für Arbeitsplatzberatungen. Sie geht direkt in die Firmen und hält dort Informationsveranstaltungen ab. Durch ihr therapeutisches Wissen und ihre umfassende Produktkenntnis kann sie eine ganzheitliche Beratung bieten. Insbesondere dann, wenn ein Arbeitsplatz den Bedürfnissen eines Nutzers angepasst werden soll.
Frau Leemann, was führt Menschen zu Ihnen in die Beratung?
Gabriela Leemann: Meistens stehen Gesundheitsprobleme im Vordergrund. Wenn ich eine Kundin mit Rückenproblemen habe, müssen nicht unbedingt körperliche Ursachen zugrunde liegen. Ich gehe gerne auf Menschen zu. Mit gezielten Fragen erhalte ich Hinweise, wo es «drückt».
Was erhält der Kunde bei Ihnen, was er andernorts nicht bekommt?
Ich möchte, dass der Kunde nicht einfach ein ergonomisches Produkt kauft, sondern auch gezielte Informationen erhält, wie er seine Arbeitsplatzsituation verbessern kann. Falls gesundheitliche Anliegen ein Thema sind, beispielsweise Muskelverspannungen, muss man bei der Ursache ansetzen. Das Bewusstsein, dass Probleme vielleicht nicht nur mit dem Kauf eines guten Stuhls gelöst werden, muss gefördert werden. Es sind verschiedene Faktoren, die einen Einfluss auf eine gesündere und bessere körperliche Situation und Zufriedenheit am Arbeitsplatz haben.
Sie beraten nicht nur Kunden im Geschäft in Oerlikon, sondern besuchen Firmen und schauen sich die Arbeitsplatzsituation vor Ort an. Welche Verhältnisse treffen Sie da am häufigsten an?
Regelmässig sehe ich unpassend eingestelltes Mobiliar, zu hoch eingestellte Monitore und schlecht platzierte Tastaturen. Häufig liegen Dokumente und Vorlagen ungünstig, so dass die Körperhaltung negativ beeinflusst wird. Und Unwissenheit bezüglich der Stuhleinstellungen treffe ich häufig an. Ich sage immer: Der Arbeitsstuhl ist dein bester Kollege, nirgends sonst sitzt du länger als auf deinem Bürostuhl. Oft wissen die Leute nicht, dass man Rückenlehne, Sitzneigung und Sitztiefe verstellen kann, und zeigen sich nach einer Anpassung überrascht, wie komfortabel sie sitzen können.
Und welche gesundheitlichen Probleme stellen Sie besonders oft fest?
Rückenprobleme. Es beginnt im Halswirbelbereich mit Schulter-Nacken-Verspannungen, die extrem hartnäckig sind. Die Leute leiden unter Kopfschmerzen, Augenbeschwerden, Bandscheibenvorfällen und diffusen Rückenproblemen, die nicht genau benannt werden können. Dann gibt es Taubheitsgefühle in den Händen, motorische Störungen, wiederkehrende Tennisellbogen oder Sehnenscheidenentzündungen – ich sehe und höre viele Leidensgeschichten!
Wie läuft eine Beratung vor Ort konkret ab?
Zuerst schaue ich mir die Situation an: Wie passt die Person in den Arbeitsplatz, wie nutzt sie ihn, wo sind allenfalls bereits schädliche Körperhaltungsmuster vorhanden? Dann kümmere ich mich um die korrekte Einstellung des Stuhls und schaue, ob diese mit der Tischhöhe kompatibel ist. In einem dritten Schritt schaue ich gemeinsam mit dem Kunden die Arbeitswerkzeuge an: Maus, Tastatur, Höhe des Monitors, Laptop, Computer. Ist der Arbeitsplatz papierlastig, schaue ich, wo die Dokumente abgelegt werden. Ein Vorlagenhalter kann diesbezüglich eine grosse Hilfe sein. Denn sind die Unterlagen richtig platziert, ist der Blick gerade und man sieht sofort, wie sich die Person aufrichtet und entspannt, also insgesamt eine bessere Körperhaltung einnimmt. Alles, was man in die natürliche, körpereigene Bauweise bringen kann, entlastet. Und was entlastet, entspannt.
Welchen Minimalanforderungen sollte modernes Büromaterial genügen?
Heute sind viele Stühle bereits gut einstellbar. Bei den Tischen sind die Möglichkeiten zur Höhenanpassung begrenzt. Das Mobiliar muss leicht und unkompliziert anpassbar sein, denn es gibt unterschiedlich grosse Menschen mit unterschiedlichen Proportionen. Und auch gleich grosse Menschen können unterschiedliche Bein- und Armlängen haben, müssen den Arbeitsplatz also unterschiedlich einrichten.
Nun setzen immer mehr Unternehmen auf Desk Sharing. Mitarbeitende haben also jeden Tag einen anderen Arbeitsplatz und damit keinen «persönlichen» Bürostuhl mehr. Was halten Sie von diesem Trend?
Diese Entwicklung ist vor allem in Firmen üblich, in denen die Mitarbeiter nicht täglich im Büro sind, sondern zuhause arbeiten oder oft unterwegs sind. Diese geteilten Plätze sind sehr rudimentär und einheitlich eingerichtet, damit es ins Gesamtbild der Grossraumbüros passt. Die Angestellten haben kein persönliches Mobiliar mehr, können also auch keine individuellen Einstellungen am Material vornehmen. Man nimmt das Mobiliar, wie es ist, und verstellt nichts. Das liegt an der Unwissenheit und dem fehlenden Bewusstsein der Personen für die ergonomischen Zusammenhänge beim Arbeiten. Für die Mitarbeiter selbst finde ich das Desk Sharing keine positive Entwicklung. Es gibt keine Ruhe, man kommt nicht richtig am Arbeitsplatz an. Der Mitarbeitende ist dauernd auf dem Sprung. Das birgt ein beachtliches Stresspotenzial.
Was raten Sie also jenen Betrieben, bei denen Desk Sharing unvermeidlich ist?
Ich empfehle, bei Neuanschaffungen von Mobiliar darauf zu achten, dass ein Tisch höhenanpassbar ist. Auch am Stuhl sollten genügend Anpassungen möglich sein, so, dass ihn kleinere und grössere Mitarbeiter benutzen und bedienen können. Zu guter Letzt setze ich darauf, dass in einem Betrieb die Gesundheitsförderung umgesetzt wird und die Mitarbeiter dementsprechend geschult werden.
Immer mehr Personen arbeiten auch von zu Hause aus oder unterwegs an Laptops. Was muss man dabei besonders beachten?
Wer viel am Laptop arbeitet, nimmt häufig eine ungünstige Körperhaltung an. Vor allem, wenn man den ganzen Tag so arbeitet, ist die Bildschirmfläche eigentlich zu klein. Denn die Fokussierung auf eine kleine Fläche belastet längerfristig die Körperhaltung und hauptsächlich auch die Augen. Meist ist der Bildschirm zu tief und Bildschirm und Tastatur sind vor allem für grosse Menschen zu nahe beieinander. Die Distanzen stimmen nicht. Deshalb rate ich zu häufigen, kurzen Pausen und bewusstem Bewegen. Auch Augentraining hilft, wie beispielsweise Dinge weit weg fokussieren, die Augen befeuchten. Denn der starre, statische Blick auf die kleine Bildschirmfläche belastet die Augen extrem, man blinzelt fast nicht mehr, der Augenradius nimmt ab, was längerfristig zu Sehschwächen führen kann. Dagegen hilft ein Seh- oder Augentraining. Als Prävention lohnt es sich, einen Ophthalmologen, also einen Augenspezialisten, zu konsultieren.
Alles Massnahmen, die nicht nur Nutzern von Laptops gut tun.
Ja, ganz sicher. Wenn man hauptsächlich sitzend arbeitet, kommt die Bewegung zu kurz. Der Mensch ist in seinen Körperfunktionen bis in die kleinste Zelle von Bewegung abhängig. Durch Druckaufbau und Druckabbau mobilisieren wir beispielsweise die Gelenkflüssigkeit, den Blutfluss und den Wasserhaushalt. Unsere «Maschine» läuft nur optimal, wenn wir uns genügend bewegen. Lebensfunktionen werden beim Sitzen ausgebremst. Wichtig ist also, bewusste Pausen zu machen, sich bewusst zu bewegen, Nacken und Schultern mit kreisenden Bewegungen zu lösen und zu dehnen. Ansonsten entwickeln sich Fehlhaltungen.
Zum Schluss: Was raten Sie Arbeitgebern ganz allgemein?
Firmen, die gesundheitsbewusste Arbeitsplätze anbieten, schaffen dadurch Motivation, Absenzen können im besten Fall verringert werden. Wichtig ist, dass alle angemessen Verantwortung tragen: Der Arbeitgeber hat zwar die Verpflichtung, einen Platz zur Verfügung zu stellen, der nicht gesundheitsschädigend ist, andererseits liegt es aber auch am Arbeitnehmer, sich seinen Platz bewusst einzurichten und Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen.