Schweizer Arbeitsmarktstudie 2024: «Rekrutierungspraxis im Kontext von Fachkräftemangel und KI»
Von Rundstedt hat mit HR Today zusammen in der diesjährigen Arbeitsmarktstudie die aktuelle Rekrutierungspraxis der Schweizer Arbeitgeber unter die Lupe genommen. Die Rekrutierung steht aktuell stark im Spannungsfeld von Fachkräftemangel und KI.
«In Schweizer Firmen ist man sich dem Potenzial und dem Nutzen von KI in der Personalsuche und -auswahl bewusst, trotzdem wird in der Rekrutierung noch kaum systematisch KI eingesetzt», meint von Rundstedt CEO Pascal Scheiwiller. Die Studie stützt sich auf eine ausführliche Umfrage, an der 936 HR Manager und Führungskräfte in der ganzen Schweiz teilgenommen haben. Die Ergebnisse liegen differenziert nach Branchen, Regionen und Unternehmensgrössen vor.
Die Haupterkenntnisse, welche die Studie hervorbringt:
- In der Schweiz wird konservativ und konventionell rekrutiert
Trotz Fachkräftemangel gibt es in der Rekrutierung noch wenig Innovation. Die Personalsuche verläuft konventionell über firmeneigene Websites und Stellenportale. Stellen werden zwar vermehrt auf Social Media veröffentlicht. Reverse Recruiting oder informelle Initiativen über Business Communities oder eigene Mitarbeiter sind noch selten. Auch Bewerbungen müssen konsequent über Bewerberplattformen (ATS) oder Emails eingereicht werden. Soziale Medien und moderne Kommunikationskanäle werden kaum dafür genutzt. Ohne ordentlichen und formellen Lebenslauf ist eine Bewerbung meistens nicht möglich.
- Von wegen Future Skills – Firmen suchen nach harten Faktoren wie Branchenerfahrung und Fachwissen
Alle reden von Future Skills. Durch Veränderungsdynamik, Technologie und KI sind nicht mehr primär Fachwissen gefragt, sondern vielmehr transversale Kompetenzen, Lernfähigkeit, Agilität, Veränderungsfähigkeit, Problemlösung und soziale Fähigkeiten. Trotzdem fokussieren Schweizer Firmen bei der Suche und Bewertung von Bewerbern praktisch ausschliesslich und häufig mit Nulltoleranz auf Fachwissen und Branchenerfahrung. Das greift zu kurz und erhöht den Druck auf die interne Personalentwicklung.
- Der Lebenslauf als Mass aller Dinge
Der formale Lebenslauf ist nach wie vor das Herzstück einer Bewerbung. Obwohl Motivationsschreiben häufig mehr Persönliches über einen Bewerber aussagen, konzentrieren sich Recruiter primär auf die harten und historischen Fakten in einem Lebenslauf, anstatt sich mit den Beweggründen und zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Obwohl CVs häufig optimiert sind, vertraut man diesen Informationen weit mehr als öffentlichen Informationen auf Linkedin/Xing.
- Neben- und ausserberufliches Engagement weitgehend ausser Acht gelassen
Der starke Fokus auf den funktionalen Hintergrund und die Branchenerfahrung führt dazu, dass neben- und ausserberufliche Engagements weitgehend ausser Acht gelassen werden. Militärische Führungserfahrungen, nebenberufliche Tätigkeiten und Sabbaticals haben häufig weder einen positiven noch negativen Einfluss auf die Bewertung eines Bewerberprofils.
- Alle reden von Weiterbildung – in der Rekrutierung interessiert das nur beschränkt
Weiterbildung gilt als zentrales Element, um in der heutigen Veränderungsdynamik arbeitsmarktfähig zu bleiben. Spezifische Weiterbildungen sind bei den zwingenden Anforderungskriterien aber viel weniger stark vertreten als Altersvorgaben, Sprachkenntnisse oder Branchenjahre. Auch die Qualität und Reputation der Bildungsinstitutionen interessiert nicht gross. Es ist also weitgehend egal, wo jemand einen Bachelor oder ein CAS absolviert hat. Das weist alles darauf hin, dass der Substanz der Weiterbildungsaktivitäten eines Bewerbers keine grosse Wichtigkeit beigemessen wird.
- Blindbewerbungen sind besser und effektiver als ihr Ruf
Blindbewerbungen werden in Firmen sehr ernst genommen. Sie werden systematisch und sorgfältig geprüft und intern gezielt weitergeleitet. Sie werden weiterverfolgt, sofern sie inhaltlich Sinn machen. Wichtig ist bei der Spontanbewerbung, dass sauber aufgezeigt wird, warum sie erfolgt und sinnvoll ist. Die inhaltliche und emotionale Verbindung zum Zielunternehmen muss plausibel aufgezeigt werden. Mit einem überzeugenden Motivationsschreiben haben Spontanbewerbungen realistische Erfolgschancen.
- Referenzen statt Arbeitszeugnisse – informelle Referenzanfragen auf dem Vormarsch
Arbeitszeugnisse haben zwar bei vielen Firmen inhaltlich ausgedient. Sie sind aber nach wie vor eine formale Notwendigkeit. Nicht ordnungsgemässe oder negative Arbeitszeugnisse können Bewerber a priori vom Prozess ausschliessen, sie tragen aber schlussendlich kaum zum Bewerbungs- und Stellenerfolg bei. Viel wichtiger sind in der Schweiz persönliche Referenzen. Dabei setzen bereits über die Hälfte der Recruiter und Firmen auf informelle Referenzen von persönlichen Kontakten, obwohl solche Anfragen rechtlich unzulässig sind.
- Potenzial von Social Media noch zu wenig genutzt
Auf Social Media wird zwar fleissig Employer Branding betrieben und offene Vakanzen veröffentlicht. Bewerben können sich Interessenten aber nicht direkt über die sozialen Plattformen. Man wird sofort auf die regulären Bewerbungskanäle verwiesen. Die Informationsfülle der sozialen Medien wird auch kaum zur Einschätzung und Bewertung von Kandidaten benutzt. Obwohl öffentliche Informationen auf sozialen Plattformen in der Regel stärker abgesichert sind als in optimierten Lebensläufen, werden die Daten und Bewertungen auf Linkedin/Xing kaum berücksichtigt.
- Grosser Aufholbedarf bei der Nutzung von KI
Alle sind sich einig, dass vor allem bei der Personalsuche, dem Bewerbermanagement und der Bewertung von Bewerberprofilen ein grosses Nutzungspotenzial von KI besteht. Trotzdem setzen heute die wenigsten Recruiter und Firmen gezielt und systematisch KI-unterstützte Tools in der Rekrutierung ein. Stattdessen wird stark auf die Gefahren von KI hingewiesen. Es scheint nach wie vor ein grosses Unbehagen im Umgang mit KI und Unsicherheit gegenüber dem Datenschutz und einer bald erwarteten KI-Regulierung zu bestehen.
- Gefährliche Trends auf dem Arbeitsmarkt
Bereits bekannte Trends auf dem Schweizer Arbeitsmarkt haben sich klar bestätigt. Die Altersdiskriminierung reisst trotz Fachkräftemangel und zunehmender Sensibilisierung nicht ab. Die Nulltoleranz der Firmen gegenüber den Wunschanforderungen bei Fachwissen, Funktion und Branche erschwert eine Quereinsteigerkultur. Wichtige berufliche Neurorientierungen werden dadurch beeinträchtigt. Vor allem der Branchenkult vieler Firmen macht vielen Bewerbern zu schaffen.
Quelle: www.rundstedt.ch / research.hrtoday.ch