Zweite Säule: Bedeutung wird unterschätzt
Eine neue repräsentative Befragung des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag von den Vita Sammelstiftungen und Zurich Schweiz zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung die Bedeutung des BVG für die finanzielle Absicherung im Alter im Vergleich zur AHV systematisch unterschätzt.

Das BVG bzw. die zweite Säule steht in der Debatte rund um die Altersvorsorge oft im Hintergrund. Auch dass Milliarden von Schweizer Franken aus den Anlageerträgen der aktiven Erwerbstätigen für laufende Renten verwendet werden, führt kaum zu Widerstand. Dies zeigte eine zum zweiten Mal durchgeführte Studie im Auftrag von Vita und Zurich zum Thema «Fairplay in der beruflichen Vorsorge». Ausgangslage dieser Studie bildet eine Haupterkenntnis aus der ersten Fairplay-Studie von 2021. Diese hatte gezeigt, dass 56% der Erwerbsbevölkerung das BVG-Vorsorgekapital nicht zum eigenen Vermögen zählen. Die aktuelle Studie hat nun die Gründe für dieses mangelnde Bewusstsein untersucht und zeigt, dass die Bindung zum eigenen Altersguthaben gestärkt werden könnte, wenn dessen Sichtbarkeit erhöht würde und/oder wenn die Bevölkerung bei BVG-Anlagen mehr mitbestimmen könnte.
BVG-Ersparnisse – Bedeutung wird systematisch unterschätzt
«Die Bevölkerung ist sich der Bedeutung der beruflichen Vorsorge für ihr Einkommen im Alter nicht bewusst», stellt Studienleiter Michael Hermann fest. Heute trägt die zweite Säule (BVG) für Durchschnittsverdienende, die in Rente gehen, einen grösseren Anteil zum Alterseinkommen bei als die erste Säule (AHV). Dennoch schätzen die Befragten im Erwerbsalter die Bedeutung der AHV für ihre finanzielle Absicherung im Alter als deutlich grösser ein als die des BVG. Sie gehen von einer Aufteilung von 44 Prozent (AHV), 33 Prozent (BVG) und 22 Prozent (freiwilliges Sparen) aus. «Zu dieser verzerrten Wahrnehmung passt, dass nur 18 Prozent der Erwerbsbevölkerung die Summe des eigenen BVG-Vorsorgekapitals überhaupt kennen», sagt Hermann.
BVG-Beiträge – die Hälfte nimmt sie als Gebühr oder Steuer wahr
Obwohl die BVG-Lohnabzüge direkt ins persönliche Vorsorgekonto einbezahlt werden, nehmen nur 47 Prozent der Erwerbstätigen diese als Investition ins eigene Alterskapital wahr. 28 Prozent sehen darin eine Art Steuer («Beitrag zur Sicherung der Renten in der Schweiz») und 21 Prozent halten die Beiträge für eine Gebühr, die bezahlt werden muss. Die Ausgestaltung und Benennung der BVG-Beiträge als «Lohnabzug» analog zu den AHV-Beiträgen tragen dazu bei, dass nur 43 Prozent das eigene Vorsorgekapital überhaupt als Teil des Vermögens wahrnehmen. «Haben die Lohnbeiträge der beruflichen Vorsorge für die Versicherten den Charakter einer Gebühr oder Steuer, schwächt dies die Grundidee der beruflichen Vorsorge als Sparen für das eigene Alter», erklärt Hermann.
Zweite Säule ist meist kein Thema bei Anstellung
Obwohl sich die Ausgestaltung der Pensionskasse von Unternehmung zu Unternehmung deutlich unterscheiden und es dabei um grosse Geldsummen geht, ist das BVG meist kein Thema bei Anstellungen. «Nur bei 22 Prozent spielte die Ausgestaltung der beruflichen Vorsorge bei der Anstellung eine Rolle», sagt Hermann. Nur gerade 18 Prozent thematisierten diese im Lauf des Bewerbungsprozesses. Das BVG ist auch hier für die grosse Mehrheit unsichtbar.
Auffallend ist gemäss der Studie, dass junge Erwachsene wesentlich seltener Bescheid über das BVG wissen als ältere Personen. Dabei sind es gerade die Jüngeren, deren Vermögensaufbau aufgrund der Verwendung eines grossen Teils ihrer Kapitalerträge für die aktuellen Renten langfristig am stärksten betroffen ist. Insgesamt wisse nur ein Drittel der Bevölkerung, dass ein Teil der Kapitalerträge der Erwerbstätigen heute für die Finanzierung der aktuellen Renten verwendet werden.
BVG – mehr Sichtbarkeit und Mitbestimmung
Wo liegen die Lösungsansätze für die aufgezeigte Problematik? «Soll das Bewusstsein für und die Bedeutung des BVG in der Bevölkerung gestärkt werden, muss dieses sichtbarer werden und es braucht mehr Mitbestimmung», erklärt Hermann. Dies sei die Einschätzung der Bevölkerung: 72 Prozent der aktiv Versicherten würden die Möglichkeit begrüssen, mit Hilfe einer App jederzeit und überall Überblick über die Vorsorgesituation zu erhalten. Ebenso viele sprechen sich für die Möglichkeit aus, die Pensionskasse (72 %) oder die Anlagestrategie selbst zu wählen (71 %). Neben solchen Massnahmen würde insbesondere auch die generelle Verbesserung des Anlagewissens zu einem besseren Verständnis für das BVG beitragen. Wer sich mit Kapitalanlagen auskennt, hat meist ein sehr gutes Verständnis für die Mechanismen des BVG.
Umverteilung im BVG gilt als unfair
Nur ein Drittel der Befragten ist sich bewusst, dass heute rund die Hälfte der Kapitalerträge der Erwerbstätigen für die Finanzierung der aktuellen Renten verwendet werden. Werden Personen im Erwerbsalter, die Beiträge ins BVG leisten, jedoch über diese Umverteilung ihrer Kapitalerträge informiert, erachten 63 Prozent dies als unfair. Noch mehr, nämlich 78 Prozent der Befragten würden es unfair finden, wenn ein Teil der Erträge ihres Vorsorgekontos der Säule 3a für aktuelle Renten verwendet würde. «Dies zeigt, dass die persönliche Bindung zum Vorsorgekapital entscheidend dafür ist, dass die Verwendung von Erträgen für andere als unfair und systemfremd wahrgenommen wird », stellt Hermann fest.
Quelle: Vita Sammelstiftungen