China wird als Werkbank der Welt abgelöst

China wandelt sich von der „Werkbank der Welt“ zur Innovationswirtschaft. Globale Unternehmen sind bestrebt, in ihren Lieferketten weniger abhängig von der Volksrepublik zu werden. Zugleich öffnen sich die Schwellenländer der nächsten Generation für ausländische Direktinvestitionen. Zu dieser Einschätzung kommt James Johnstone, Portfoliomanager beim Investmentmanager Redwheel.

Skyline von Shanghai: China ist nicht mehr die Werkbank der Welt. Diese Rolle übernehmen mehr und mehr andere Schwellenländer. (Bild: Pixabay.com)

Zur wirksamen Entwicklung einer urbanisierten Erwerbsbevölkerung muss ein Land seine internen Ressourcen entwickeln und sein langfristiges Potenzial ausschöpfen. Dies erfordert Investitionen in die Fertigungskapazitäten, um die Arbeitskräfte von ihren agrarischen Wurzeln weg und hin zu einer entwickelten, angestellten Existenz zu bewegen. Die Verstädterung treibt den Konsum an, da die lokale Wirtschaft wächst und die Verbraucher ihre Ausgaben für Immobilien und langlebige Güter wie Autos und Haushaltsgeräte erhöhen wollen. China ist dafür eines der eindrucksvollsten Beispiele: Die Produktionskapazitäten des Landes sind in den letzten 25 Jahren exponentiell gewachsen und haben genug Arbeitsplätze geschaffen, um 750 Millionen Menschen aus der Armut in die Städte zu bringen. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil an der weltweiten Produktion von vier Prozent im Jahr 2000 auf heute aussergewöhnliche 24 Prozent gestiegen (Quelle: Weltbank und Statistiken der Vereinten Nationen).

China gibt den Staffelstab weiter

Chinas wirtschaftlicher Erfolg hat dazu geführt, dass die Arbeitspreise im Laufe der Zeit erheblich gestiegen sind, und das Land auf globaler Ebene nicht mehr der billigste Produktionsstandort ist. Inzwischen hat die Einführung von Handelszöllen die Wettbewerbsfähigkeit Chinas beeinträchtigt, und die Pandemie hat die Probleme aufgezeigt, die sich aus einer zu starken Konzentration der Lieferketten auf einen Standort ergeben. Infolgedessen beginnt die Welt nun, ihre Abhängigkeit von China zu überwinden und neue Fabriken in anderen Schwellenländern zu errichten. Viele Unternehmen suchen nach neuen Wirtschaftsräumen, in denen sie Produktionszentren für die nächsten zwei Jahrzehnte ausbauen können. Die Länder, die am ehesten von dieser Diversifizierung profitieren können, sind die Schwellenländer der nächsten Generation, auch bekannt als Frontier Markets.

Frontier Markets als neue Investitionsziele

Diese Länder, die ein günstiges politisches Umfeld, eine attraktive Demografie und eine gute Infrastruktur vorweisen können, gelten als attraktive Investitionsziele. Dies hat dazu geführt, dass Frontier Markets in Südostasien zu beliebten Alternativen für Investitionen im verarbeitenden Gewerbe geworden sind, wie auch Länder in Osteuropa und Nordafrika – etwa Rumänien und Marokko.

Wichtig ist, dass nicht nur westliche Unternehmen diesem Trend folgen. Investoren dieser neuen Produktionsstandorte sind oft chinesische Firmen, da sie bestrebt sind, auf der internationalen Bühne kostenmässig wettbewerbsfähig zu bleiben und in der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette aufsteigen wollen. So haben die chinesischen Investitionen in Vietnam in den letzten Jahren deutlich zugenommen und China ist auch einer der grössten Investoren in der Textilindustrie von Bangladesch.

Dem bekannten Pfad folgen

Vietnam ist ein hervorragendes Beispiel für eine Volkswirtschaft, die derzeit dem bekannten Pfad des Wachstums im verarbeitenden Gewerbe beschreitet. Dank steuerlicher Anreize, preiswerter und junger Arbeitskräfte und einer wirksamen Strategie zur Bekämpfung der Pandemie hat das Land erhebliche Investitionen in arbeitsintensive Fertigungsindustrien angezogen. In den letzten zehn Jahren hat etwa der Elektronikriese Samsung einen grossen Teil seiner Produktion von Südkorea und China nach Vietnam verlagert. Das Unternehmen hat fast 20 Milliarden Dollar in Vietnam investiert und betreibt derzeit dort sechs Fabriken sowie ein Forschungs- und Entwicklungszentrum. Heute entfällt fast die Hälfte der weltweiten Mobiltelefonproduktion von Samsung auf Vietnam und auf Samsung wiederum entfällt fast ein Fünftel der gesamten vietnamesischen Exporte (Quelle: Samsung Company Reports, Redwheel; Stand vom: 31.03.2022).

Vietnam dürfte über das Potenzial verfügen, um einen ähnlichen Weg einzuschlagen und den Erfolg zu wiederholen, den wir vor 20 Jahren in China gesehen haben. Teilhaben an diesem langfristigen Trend lässt sich etwa durch direkte Investitionen in Infrastruktur- und Produktionsunternehmen oder indirekt über Unternehmen, die vom steigenden Konsum, der finanziellen Integration und der Immobilienentwicklung profitieren. Die Hoa Phat Group etwa ist mit einem Marktanteil von 30 Prozent der grösste Stahlhersteller in Vietnam. Das Unternehmen verzeichnete ein robustes Umsatzwachstum, seit es seine Dung Quat-Erweiterungsanlage hochgefahren hat. Dies schlägt sich nun in steigendem Cashflow für das Unternehmen nieder. Das Unternehmen kann als ein Hauptnutzniesser der anhaltenden Auslandsinvestitionen in die Produktionsinfrastruktur gesehen werden (Quelle: Hoa Phat Group Company Reports und Bloomberg; Stand vom: 31.03.2022).

Ein weiteres Beispiel für die fortschreitende Verlagerung des verarbeitenden Gewerbes in die Schwellenländer der nächsten Generation findet sich in der Automobilproduktion: In Rumänien, der Tschechischen Republik und Marokko werden heute mehr Personenkraftwagen hergestellt als in entwickelten Volkswirtschaften wie etwa Italien. Unternehmen wie Peugeot, Renault und Jaguar Land Rover haben ihre Produktion an kostengünstigere Standorte verlagert und wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.

Kettenreaktion

Starke Auslandsinvestitionen in das verarbeitende Gewerbe haben eindeutige unmittelbare Vorteile. Sie können einen positiven Kreislauf in Gang setzen, indem sie die Handelsbilanz und die Staatsfinanzen verbessern, was wiederum weitere Auslandsinvestitionen und Beschäftigung anregen kann.

Da die Arbeitnehmer höhere Löhne erhalten und die Unternehmen ihre Gewinne steigern, wird der Inlandsverbrauch zunehmen, was zu einer stärkeren Inanspruchnahme von Finanzprodukten führt. Dies sind sehr starke indirekte Vorteile, die den wirtschaftlichen Wert jeden Dollars aus Auslandsinvestitionen vervielfachen.

Dieser Multiplikatoreffekt führt zu breiteren Investitionsmöglichkeiten innerhalb dieser Volkswirtschaften. Vincom Retail etwa ist der grösste Entwickler von Einkaufszentren in Vietnam und wir glauben, dass das Unternehmen ausserordentlich gut positioniert ist, um weiter von den steigenden Einkommen und der exponentiellen Zunahme der Marktdurchdringung bei Verbrauchermärkten im Land zu profitieren.

Zurück in die Zukunft

Die asiatischen „Tiger-Staaten“ Hongkong, Singapur, Südkorea und Thailand erlebten in den 1980er und 90er Jahren ein rasantes Wachstum, als sie die ausgelagerte Fertigung entwickelten und die Beschäftigung erhöhten. China übernahm dann das Ruder als weltweiter Billigproduzent und durchlief einen ähnlichen industriellen Wandel, indem es seine Produktionskapazitäten seit Anfang der 2000er Jahre exponentiell ausbaute.

Aus diesem Grund bezeichnen wir die Entwicklung einer verarbeitenden Wirtschaft und einer urbanisierten Erwerbsbevölkerung als einen ausgetretenen, bekannten Pfad. Wir haben dies schon einmal erlebt und werden dies wieder sehen. Da die Welt ihre Lieferketten nicht nur auf der Suche nach einer kostengünstigeren Produktion diversifizieren will, sondern auch versucht, ihre Abhängigkeit von China zu verringern, sind die Frontier Markets in einer guten Position, davon zu profitieren.

Vietnam steht dabei in erste Reihe, aber auch andere Volkswirtschaften Asiens wie Bangladesch, Indonesien und die Philippinen dürften gut positioniert sein, um weiter Investitionen aus dem Ausland anzuziehen, da sie eine starke Produktionsbasis und weitere Arbeitsplätze schaffen. Länder wie Marokko, Kenia, Peru, Kolumbien, Rumänien und Ungarn sind ähnlich gut aufgestellt. Die Tatsache, dass viele dieser Volkswirtschaften kaum untersucht, oft missverstanden und von vielen Anlegern ignoriert werden, macht sie für uns als langfristige Anleger noch attraktiver.

Autor:
James Johnstone ist Portfoliomanager Redwheel Next Generation Emerging Markets Equity Fonds. Redwheel ist ein spezialisierter, unabhängiger Investmentmanager. Das Unternehmen wurde im Jahr 2000 mit dem Ziel gegründet, ein Umfeld zu schaffen, in dem Fondsmanager mit einem hohen Mass an Investitionsautonomie arbeiten und die Vorteile ihrer Fähigkeiten langfristig maximieren können. 

 

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