Weshalb Siedlungen zu Biotopen werden sollten
Nachhaltiges Bauen nimmt den Artenschwund ernst und bezieht die Natur deshalb bereits in der Planungsphase mit ein. So kann jede Grünfläche, Schule, Wohnsiedlung und jedes Firmenareal zu einem vielfältigen Lebensraum werden. Das Raumplanungsgesetz will einerseits, dass in bereits bebauten Zonen eine Verdichtung gegen innen stattfindet. Andererseits sollen grüne Freiräume zugunsten der Artenvielfalt geschont werden. Wo stehen wir heute?
Der Trend der Raumentwicklung in der Schweiz ist klar: Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) empfiehlt seit dem revidierten Raumplanungsgesetz (RPG) von 2014 das Bauen von kompakten Siedlungen. So könne die Zersiedelung gestoppt und wertvolle grüne Freiräume sowie landwirtschaftliche Gebiete vor der Zerstückelung bewahrt werden. Das ist das wichtigste Anliegen für nachhaltige Raumplanung. Ohne naturnahe Teiche keine Geburtshelferkröte, ohne Feuchtwiesen keine Ringelnatter und ohne Trockenmauern keine Zauneidechse. Klingt also nach einer zielführenden Konsequenz: der Natur die Grünflächen und den Menschen die Siedlungsgebiete. Doch wo stehen wir heute, sieben Jahre nach dem Paradigmenwechsel in der schweizerischen Raumplanung?
Dringender Handlungsbedarf
Das Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz hat vor einigen Jahren eine alarmierende Bilanz gezogen: Die Qualität, Grösse und Vernetzung von vielen Lebensräumen reicht nicht aus, um das Artensterben in der Schweiz zu stoppen. So ernüchternd diese Nachricht auch klingen mag, überrascht sie uns kaum mehr. Auch das Bundesamt für Umwelt hat 2017 mit einer Studie erwiesen, dass rund die Hälfte der untersuchten Lebensräume sowie über ein Drittel der Tier- und Pflanzenwelt bedroht sind. Umweltverbände haben im selben Jahr prophezeit, dass die Schweiz schlappe 5 von 49 Biodiversitätszielen erreichen wird, denen sie sich 2002 als Vertragspartei des Abkommens zur Förderung biologischer Vielfalt verschrieben hatte. Von den Zielen, die sich die Schweiz im Rahmen der Biodiversitätsstrategie 2012 selbst gesetzt hatte, wird sie nur eines von 18 erreichen. Um die Schweizer Biodiversität steht es schlecht.
Klar für alle ist: Der Handlungsbedarf ist dringend. So lautet auch die erste der 26 dringenden Massnahmen, welche Naturschutzorganisationen 2017 vom Bundesrat einforderten, dass Biodiversität durch Raumplanung gefördert werden soll.
Gesetzliche Richtlinien und politische Massnahmen sind wichtig. Doch um darauf zu warten, fehlt die Zeit. Die Fakten sind eindeutig und gehandelt werden kann und muss schon heute – mit oder ohne Gesetze und Verordnungen.
Wie packt man dieses Unterfangen als Immobilienbesitzerin, Bauherr oder als Hauswart also pragmatisch an? Heute präsentieren sich die Siedlungsraume noch oft mit einer konventionellen Aussenraumgestaltung, die das Ordentliche und Saubere betont und die aus den 60er-Jahren stammt. Dabei geht vergessen, dass solche ordentlichen Elemente oft naturfremd sind. Ein intensiv gedüngter, grüner Rasen wirkt auf Insekten und Kleintiere wie eine Todeszone. Exotische Zierpflanzen sind für heimische Vogel und Bienen relativ neue Erscheinungen und bieten kaum Nahrung. Rasenroboter sind Artenvernichtungsmaschinen und machen Igeln und Amphibien das Überleben unmöglich. Beton versiegelt Böden, speichert im Sommer zu viel Wärme und bietet Kleintieren weder Schutz noch Nahrung. Versiegelte Oberflächen lassen Regenwasser direkt in Kanale abfliessen und entkoppeln es so vom Erdreich. Doch all diese Strukturen sind Hauptbestandteil der Siedlungen.
Keine Trennung
Um die Biodiversität zu fördern, braucht es mehr spezifische Lebensraume, auch in Siedlungsgebieten. Zum einen reicht es schlicht nicht aus, die Biodiversität nur in unbebauten Zonen zu fördern, wie es das RPG vorsieht. Zum anderen müssen wir überdenken, ob wir Siedlungsräume und Naturräume voneinander abgrenzen wollen. Diese Trennung sollte man sich im Hinblick auf das Artensterben schlicht nicht mehr leisten. Die Aufteilung in Natur- und Kulturräume ist nicht nur veraltet, sie macht es auch unmöglich, dem wechselseitigen Einfluss von Natur und Kultur Rechnung zu tragen. Auch wenn durch die Raumplanung diese Tatsache gerne verschleiert wird: Siedlungsgebiete und Naturflächen sind stark verwoben und können nachhaltig nicht isoliert nebeneinander bestehen. Wir müssen es zu einer Selbstverständlichkeit machen, Firmenareale und Wohnsiedlungen als natürliche Biotope von Menschen, Tieren und Pflanzen zu betrachten.
Blumenwiesen in der Landwirtschaft sind in den letzten zehn Jahren stark zurückgegangen, doch bieten sie ein farbenfrohes Paradies für Wildbienen und Insekten. Bringen wir sie zurück – in die Siedlungen und auch in die Landwirtschaftsflächen.
Wildstauden sind mehrjährige Wildblumen und ermöglichen das Überleben von Kleintieren. An trockenen Standorten bringen Blutweiderich und die gelb blühende Nachtkerze Leben ins Spiel und locken Taubenschwänzchen und Zitronenfalter an. Die seltenen und dynamischen Standortbedingungen auf Ruderalflächen sind mit kiesigen Parkplatzen und Bahngleisen vereinbar und beherbergen Wilde Möhren und Schwalbenschwanzraupen. Bereits kleine Elemente verhelfen jeder Siedlung zu einem artenreichen Lebensraum.
Lekture:
- Guntern J., Lachat T., Pauli D., Fischer M. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Forum Biodiversität Schweiz der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT), Bern.
- BAFU (Hrsg.) 2017: Biodiversitat in der Schweiz: Zustand und Entwicklung. Ergebnisse des Überwachungssystems im Bereich Biodiversität, Stand 2016. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Zustand Nr. 1630: 60 S.
Infos zu naturnaher Gestaltung
Die Stiftung Natur und Wirtschaft fördert seit über zwanzig Jahren Natur im Siedlungsraum. Sie zeichnet naturnahe Bauprojekte und Umgebungsgestaltungen mit ihrem national anerkannten Label aus und unterstützt und begleitet Interessierte bei der Planung und Umsetzung ihres naturnahen Aussenraumes. Konventionellen Gärtnereien fehlt oft das Know-how und durch mangelnde Nachfrage bieten sie kaum Auswahl an einheimischen Pflanzen an. Die Stiftung berät und vernetzt Interessierte mit Experten in Sachen Biodiversität und naturnahe Arealgestaltung.
Immer wichtiger für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Bauweise wird auch der Umgang mit dem Klimawandel. Deshalb bietet die Stiftung seit Kurzem auch das Zertifikat mit dem Arbeitstitel «Certificate for urban nature and climate» an. Dieses Label betont die Wichtigkeit von strukturreichen und grünen Flächen, die Oberflächenwasser speichern und sich weniger stark aufheizen. Vieles kann und muss gemacht werden. Die Stiftung Natur und Wirtschaft berät kostenlos. Nehmen Sie zuerst das Telefon und dann die Schaufel in die Hand!
Infos: www.naturundwirtschaft.ch
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