Reise- und Eventbranchen fordern gemeinsam Soforthilfe und klare Führung durch den Bund
Ein bisher wohl einmaliger Vorgang spielt sich in diesen Tagen ab: Verbandsvertreter der Event-, Schausteller- und Reisebranche wenden sich gemeinsam in einem dramatischen Appell an den Bund. Wenn ihre Mitgliedsunternehmen – fast ausnahmslos KMU – in den nächsten Wochen keine finanzielle Hilfen erhalten, droht ein totaler Kollaps. Reihenweise Konkurse, Know-How-Verlust und bedrohte Existenzen wären die Folge.
Das Wasser stehe höher als nur bis zum Hals: So schildert André Lüthi, VR-Präsident von Globetrotter Travel Service, anlässlich einer gemeinsam von den führenden Verbänden der Event-, Schausteller- und Reisebranche durchgeführten Medienkonferenz am 13. November 2020 die Lage. Diese Branchen repräsentieren wohl derzeit die meisten Härtefälle, jene Härtefälle also, für die das Covid-19-Gesetz eigentlich Hilfe vorgesehen hätte. Doch diese reicht einerseits finanziell nicht aus und anderseits ist das Prozedere zu kompliziert und zu zeitraubend. Das könnte «zur absurden Situation führen, dass Härtefall-Leistungsberechtigte Konkurs anmelden müssen, bevor die – verspäteten – Zahlungen sie erreichen», monierte Max E. Katz, Präsident des Schweizer Reise Verbands.
Reise- und Eventbranchen mit leeren Auftragsbüchern
Deutlich wurde auch Christoph Kamber, Präsident von EXPO EVENT Swiss LiveCom Association. Diese Branche steht komplett still, damit sei der «Super-GAU eingetreten». Die Hilfsgelder müssten deshalb unverzüglich ausbezahlt werden, damit die Hilfe noch rechtzeitig ankomme. «Dies bedarf einer guten Zusammenarbeit der Behörden mit dem Bund im Lead», so Kamber. Gefordert werden A-fond-perdu-Beiträge in der Summe von mindestens 1 Milliarde Franken, welche an sich gesunde Unternehmen für die Zeit nach Corona am Leben am Leben erhalten können. Denn aufgrund abgesagter Veranstaltungen sind auch Catering-Unternehmen sowie Eventtechnik-Zulieferer akut in ihrer Existenz gefährdet. Jörg Gantenbein, Präsident Schweizer Verband technischer Bühnen und Veranstaltungsberufe, beschreibt die Situation ebenfalls dramatisch: «Wir wurden von der 2. Welle nochmals hart erfasst und die Stornierungswelle hat ein Ausmass bis auf null erreicht. In normalen Jahren sind unsere Auftragsbücher jetzt voll, für 2021 ist keine einzige gebuchte Veranstaltung in Planung. Wir haben sicher bis im 1. Quartal 2021 keine Umsätze.» Und weil bereits viele KMU in diesem Bereich Mitarbeitende entlassen mussten, findet auch ein Know-How-Verlust statt. Doch nicht nur dies. «Es geht auch um die Gewährleistung der Ausbildung in unserer Branche», so Gantenbein weiter.
Events sind bedeutender Wirtschaftsfaktor
Der Schulterschluss der Event-, Schausteller- und Reisebranche macht bewusst, wie gross deren Wirtschaftsfaktor ist. Peter Howald, Präsident Schweizerischer Schaustellerverband, etwa machte deutlich, dass jährlich 11,2 Millionen Besucherinnen und Besucher die Jahrmärkte, Chilbis und Messen im Land besuchen und so vielen familiengeführten Betrieben die Existenzen sichern. Dies scheint die Politik derzeit noch nicht im ganzen Ausmass erkannt zu haben. Vielmehr scheinen Bund und Kantone die Härtefall-Angelegenheit wie eine heisse Kartoffel hin- und herzuschieben, so ein ebenfalls an der Medienkonferenz geäussertes Votum. Und gar nicht gelten lässt etwa André Lüthi das Argument, dass es eine gewisse Strukturbereinigung brauche. «Die Reisebranche befindet sich schon seit zehn Jahren in dieser Strukturbereinigung. Die meisten Reiseveranstalter haben in der Zwischenzeit ihre Hausaufgaben gemacht. Es braucht auch die kleinen Reiseunternehmen!»
„Die Betroffenen brauchen jetzt Geld“
Ein offenes Ohr für ihre Anliegen fanden die Vertreter der Reise- und Eventbranchen bei Nationalrätin Regula Rytz. Sie begrüsste es, dass die Härtefall-Branchen mit einer Stimme sprechen und will sich für eine Beschleunigung des Härtefallprogramms einsetzen. Dass dieses, wie z.B. von Max E. Katz gefordert, spätestens am 1. Dezember 2020 operationell greift, hält sie allerdings für wenig realistisch. Wichtig sei es aber, bei Parteien und Kantonsregierungen vehement auf die Dringlichkeit hinzuwirken.
Die Diskussion anlässlich der Medienkonferenz zeigte, dass die politischen Mühlen langsamer mahlen, als es die Dringlichkeit der Sachlage eigentlich erfordert. Trotz aller Kritik schätzen die erwähnten Branchenvertreter im Grundsatz die Härtefall-Regelung im Covid-19-Gesetz, welches an der Herbstsession der Eidgenössischen Räte beschlossen wurde. Es ist für viele Unternehmen ein Rettungsanker – dieser muss einfach nun sehr schnell greifen, mit klarer Führung. André Lüthi: «Die aktuelle Situation hätten wir uns so nie ausmalen können. Der Bund muss jetzt endlich den Lead übernehmen. Es geht nicht, dass die heisse Kartoffel den Kantonen übergeben wird.» Und André Béchir, Senior Advisor Gadget-abc Entertainment Group, erklärte: «Die Schweizer Kulturbranche steht kurz vor dem Kollaps. Unsere 1250 Unternehmen erwirtschaften normalerweise gegen 3 Milliarden Franken pro Jahr und leben heute von ihrem Ersparten. Viele davon können sich ohne schnelle Hilfe Ende Jahr nicht mehr über die Runden bringen und fallen dann den Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ohnehin zur Last. Deshalb appellieren wir alle an Bundesrat, Parlamentarier und Kantone: Die Betroffenen der Branchen brauchen jetzt Geld – schnell und unkompliziert.»
Quellen: EXPO EVENT, Schweizer Reise Verband, Schweizer Verband technischer Bühnen und Veranstaltungsberufe, Schweizerischer Schaustellerverband