100 Jahre SNV: Die Ölkrise in den 1970er-Jahren als Geburtsstunde der Nachhaltigkeit

Die fruchtbaren Jahrzehnte nach dem Krieg lassen den Energiebedarf auch in der Schweiz in die Höhe schnellen. Es werden neue Atomkraftwerke geplant und gleichzeitig verändert sich auch die Struktur des Energieverbrauchs. Der Anteil fossiler Brenn- und Treibstoffe am Gesamtenergieverbrauch steigt zwischen 1950 und 1970 von rund 24 auf 77 Prozent. Während die Schweizer Regierung über die Energiepolitik der Zukunft debattiert, werden das Land und die ganze westliche Welt von der globalen Erdölkrise überrascht.

Sinnbild für die Ölkrise: Leere Autobahnen, Haupt- und Nebenstrassen prägten die Schweiz an drei autofreien Sonntagen im Jahr 1973. (Symbolbild; Heike / pixelio.de)

Ägypten, Syrien und weitere Länder stehen im Krieg gegen Israel, als die erdölexportierenden arabischen Staaten bewusst ihre Produktion drosseln, um den Westen hinsichtlich der Unterstützung Israels unter Druck zu setzen. Der Erdölpreis steigt rasant an. Der Bundesrat reagiert auf den Schock mit Sparapellen an Wirtschaft und Bevölkerung, reduziert die Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn auf 100 km/h und legt eine Treibstoff- und Brennstoffkontingentierung fest. Zudem werden drei auto- und flugfreie Sonntage ausgerufen. Man arbeitet nun zielorientiert an einer langfristigen Gesamtenergiekonzeption mit dem Ziel, eine möglichst günstige, sichere und unabhängige Energieversorgung zu erreichen, die auch umweltpolitische Anliegen berücksichtigt.

Entwicklungsländer ohne Zugang zu Elektrizität

Von der Ölkrise besonders stark betroffen sind auch die Entwicklungsländer. Noch heute haben weltweit 1,6 Mrd. Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. Die UNO-Mitgliedstaaten verabschieden 2015 die Sustainable Development Goals (SDG; Ziele für nachhaltige Entwicklung) (www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/), die 17 verschiedene Ziele definieren. Mit Ziel 7 soll bis 2030 der Zugang zu bezahlbaren, verlässlichen und modernen Energiedienstleistungen umgesetzt werden. Damit sollen nicht nur energiepolitische Ziele erreicht werden. Der vereinfachte Zugang zu Energie soll weitere positive Resultate bringen: Überwindung von Armut, Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion, Bereitstellung von sauberem Wasser, Verbesserung der öffentlichen Gesundheit, Ausbau des Bildungswesens, Wirtschaftsförderung und Förderung der Frauen.

Die 17 UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung.

Welchen Beitrag leisten Normen zu den SDGs der Vereinten Nationen?

Die International Organization for Standardization (ISO) hat über 200 Normen definiert, die im Zusammenhang mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien stehen https://www.iso.org/sdgs.html. Welche Normen direkt zur Erreichung von Ziel 7 der SDGs beitragen, erfahren Sie in der übersichtlichen Liste von ISO (www.iso.org/sdg07.html). ISO 50001 unterstützt Organisationen dabei, sich mit einem Energiemanagement optimal auszurichten, sodass die Energiekosten und der Energieverbrauch reduziert und die Energieeffizienz gesteigert wird.

Die Ölkrise als Wendepunkt für technische Fortschritte

Seit dem Ölschock von 1973 ist vieles passiert. Weltweit wird nach nachhaltigen und sicheren Technologien geforscht. In der Schweiz arbeitet man auch bei der Empa an Lösungen für die Mobilität der Zukunft. Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme, untersucht die Möglichkeiten zur Reduktion der Umwelt- und Klimabelastung der Strassenmobilität. Im folgenden Interview zeigt er auf, was wir insbesondere von Wasserstoff erwarten dürfen. Christian Bach war zudem bereits in die Entwicklung der Norm SN 277206 (Schweizer Norm zur Prüfung von Partikelfiltersystemen) involviert.

Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme EMPA

In den 1970er-Jahren wurde mit der Erdölkrise klar, dass fossile Brennstoffe nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Welche alternativen Antriebsressourcen testen Sie derzeit an der Empa?
Grundsätzlich stehen als einzige Alternative zu fossilen Quellen nur erneuerbare biogene Energieträger sowie nukleare und erneuerbare Elektrizität zur Verfügung. Da auch die nukleare Elektrizität abgebaut werden soll und biogene Energieträger nur ein begrenztes Mengengerüst aufweisen, verbleibt nur noch die erneuerbare elektrische Energie. An der Empa fokussieren wir uns deshalb darauf.

Sie testen eine Wasserstoffanlage zur Betankung. Liegt darin die Zukunft?
An Wasserstoff wird man nicht vorbeikommen, deshalb sollte man auch die direkte Nutzung von Wasserstoff ernsthaft untersuchen. Es spricht vieles dafür, dass die Wasserstoffmobilität eine Zukunft hat. Wir sehen die Erstanwendung allerdings nicht im Personenwagenbereich, sondern im Lkw-Verteilverkehr wie auch bei lokalen Fahrzeugen (Kommunalfahrzeuge, Busse), da diese bereits mit einem eingeschränkten Infrastrukturausbau sinnvoll betrieben werden können.

Seit wann läuft dieser Test und wie ist das Forschungsteam zusammengestellt?
Die Anlage wurde in zwei Stufen realisiert. Die 350-Bar-Betankung wurde 2014 und die 700-Bar-Betankung 2016 in Betrieb genommen. Parallel zur Realisierung der Betankungsstufen wurden im Rahmen von Projekten energetische und technologische Fragestellungen untersucht. Zentral in diesem Zusammenhang waren Abklärungen mit der Suva und den kantonalen Feuerversicherungen im Bereich der Sicherheit und mit dem METAS im Zusammenhang mit der Eichfähigkeit. Parallel dazu wurden detaillierte Untersuchungen und Simulationen zur Befüllung der H2-Tanks im Fahrzeug durchgeführt.

Ist Wasserstoff ohne Limiten verfügbar?
Wasserstoff kommt in ungebundener Form in der Natur nicht vor, sondern muss erzeugt werden. Während «Industriewasserstoff» aus Kostengründen heute noch primär mittels Dampfreformierung aus einem fossilen Energieträger (Erdgas) hergestellt wird, wird «Energiewasserstoff» elektrolytisch aus erneuerbarer Elektrizität hergestellt. Nur so erreicht man in Fahrzeugen eine CO2-Reduktion. Die zentrale Frage ist deshalb, ob erneuerbare Elektrizität ohne Limiten verfügbar ist, und genau dort sehen wir den hohen Reiz dieser Technologie: Physikalisch gibt es eigentlich keine Limiten für erneuerbare Elektrizität. Die Sonne schickt viel mehr Energie zur Erde, als die Menschheit jemals brauchen wird. Die Schwierigkeit besteht in der «Ernte» dieser Sonnenenergie sowie im Transport und der Verteilung.

Wer ist der Lieferant von Wasserstoff? Kann man Wasserstoff in der Schweiz produzieren?
Im Rahmen einer vom BAFU finanzierten Studie haben wir die Potenziale für die Produktion von Energiewasserstoff in der Schweiz untersucht, wenn der Abbau der Nuklearenergie im Umfang von 25 TWh und der Zubau von 50 Prozent des Potenzials der Fotovoltaik (FV) der Schweiz (ca. 25 TWh) umgesetzt sind. Dabei wurde erstmals eine hohe zeitliche und geografische Auflösung angewandt. Interessant dabei ist, dass von den 25 TWh FV-Strom selbst beim Ausgleich über ganze Wochen rund 10 TWh im Strommarkt nicht nutzbar sind, weil die Stromnachfrage bereits weitgehend durch die Wasserkraft abgedeckt werden kann. Ein Export (wie heute) ist ebenfalls unwahrscheinlich, da die Nachbarregionen auch massiv in FV investieren und deshalb zu gleichen Zeiten wie wir Stromüberschüsse haben werden. Als einzige realistische Alternative stellt sich die Wasserstofferzeugung dar. Damit wird der Stromsektor mit dem Mobilitätssektor gekoppelt – wie das geht, untersuchen wir bei uns im Mobilitätsdemonstrator namens «move». https://www.empa.ch/de/web/empa/move

Future Mobility Demonstrator «move» mit stationärem Batteriespeicher und Ladesäule für Elektrofahrzeuge, einer Wasserstofferzeugungs-, Speicher und Betankungsanlage für Brennstoffzellenfahrzeuge und einer geplanten Methanisierungsanlage mit atmosphärischer CO2-Versorgung für Gasfahrzeuge.

Worum geht es bei diesen Tests genau?
Wir untersuchen die Glättung der FV-Peaks mit Batterien und der Strombereitstellung für die Elektromobilität sowie mit Wasserstofferzeugung für die Brennstoffzellenmobilität. Dazu haben wir Anlagen aufgebaut, die mit vielen Sensoren ausgerüstet sind, um beispielsweise den intermittierenden und dynamischen Betrieb hinsichtlich Alterung/Verschleiss oder die Wirkungsgrade im dynamischen Betrieb zu untersuchen. Zurzeit planen wir, die Anlage mit einer Methanisierungsanlage zu erweitern, um aus Wasserstoff und CO2 aus der Atmosphäre synthetisches Methan für Gasfahrzeuge zu erzeugen.

Welches sind aktuell die grössten Herausforderungen bei dieser Methode?
Die grösste Herausforderung ist die Wirtschaftlichkeit. Durch blosses Aneinanderreihen von Technologien wird sich keine Wirtschaftlichkeit erarbeiten lassen. Es braucht optimal ausgelegte und betriebene Systeme. Diese müssen zudem für die Netzstabilisierung eingesetzt werden können. Aufgrund der geringen Energiekostenanteile bei den Gesamtkosten im Bereich der Strassenmobilität ist diese als Erstanwendung prädestiniert. Längerfristig könnten dann andere Bereiche folgen.

In Dübendorf wird ein wasserstoffbetriebenes Kehrfahrzeug im Alltag erprobt. Wie sind die aktuellen Erfahrungen damit?
Die Erfahrungen waren sehr positiv. Insgesamt konnte der energetische Verbrauch gegenüber diesel-hydraulischen Maschinen um deutlich über 50 Prozent gesenkt werden, insbesondere aufgrund des Wechsels von der hydraulischen auf eine elektrische Leistungsverteilung. Es zeigt sich aber auch, dass die Investitionskosten für solche Fahrzeuge noch zu hoch sind. Die Brennstoffzellen-Systemkosten müssen für eine Anwendung in solchen Fahrzeugen noch deutlich vermindert werden können.

Wo sehen Sie derzeit das grösste Potenzial für einen massentauglichen Kraftstoff?
Als Erstanwendungsgebiet von Wasserstoff als Treibstoff sehen wir den Lkw-Verteilverkehr, da Elektro- und Brennstoffzellen-Lkw von der LSVA und der Mineralölsteuer befreit sind. Diese machen gegen 50 Prozent der Gesamtkosten aus.

Wird ein einziger Kraftstoff Benzin und Diesel ersetzen? Oder ist mit verschiedenen Alternativen zu rechnen?
Nein, davon gehen wir nicht aus. Wir denken, dass die Kurz- und Mittelstreckenanwendungen im Personenwagen-, Lieferwagen- und Lkw-Bereich elektrisch und die Mittel- und Langstrecken­anwendungen mit synthetischen Treibstoffen in verbrennungsmotorischen Fahrzeugen abgedeckt werden. Diese Konzepte weisen alle ähnlich niedrige CO2-Gesamtemissionen auf. Im Personenwagenbereich wird die Elektromobilität vermutlich hauptsächlich batterieelektrisch sein, während sie im Lieferwagen- und Lkw-Bereich voraussichtlich brennstoffzellenelektrisch sein wird.

Gibt es bereits Pläne, was als Nächstes getestet werden soll?
Wie bereits erwähnt, planen wir zurzeit die Erweiterung mit einer Methanisierungsanlage. Damit kopieren wir die Energieversorgung der Natur (die Photosynthese): Das Chlorophyll (Blattgrün) spaltet Wasser mit Hilfe von Sonnenlicht in Sauerstoff und Wasserstoff, und der Wasserstoff wird mit CO2 aus der Atmosphäre in Kohlenhydrate umgewandelt. In unserer Anlage werden diese Schritte technisch vollzogen, und wir erzeugen nicht Kohlenhydrate, sondern einen Kohlenwasserstoff. Der Kohlenstoffkreislauf ist aber genau wie in der Natur geschlossen.

Gibt es an der Empa besondere Anstrengungen für die Reduktion von CO2-Emissionen in Bezug auf die Arbeitsplätze und -Prozesse?
Die Empa hat aufgrund der vielen Labors und Geräte mit speziellen Anforderungen (Vakuum, Hoch- oder Niedertemperatur, Klimatisierung usw.) einen hohen energetischen Verbrauch. Deshalb wurde vor einiger Zeit ein ambitioniertes, CO2-armes Energiekonzept entwickelt, das einerseits auf bekannten und erprobten Elementen (zum Beispiel energetische Sanierungen, Niedertemperaturheizungen, FV, Wärme-Kraft-Koppelung (WKK)) sowie auch auf neuen Technologien (zum Beispiel Anergienetz, saisonale Wärmespeicherung, Abwärmenutzung) basiert und das nun schrittweise umgesetzt wird. Eine grosse CO2-Quelle sind die Flüge an Konferenzen und internationale Projektsitzungen. Diese sollen nach Möglichkeit reduziert werden, indem Reisen mit dem Zug oder im Auto absolviert werden. Zudem prüfen wir den vermehrten Einsatz virtueller Meetings und beteiligen uns an Aktionen, um Pendlerinnen und Pendler zum Umstieg auf den ÖV oder das Velo zu bewegen.

Christian Bach, herzlichen Dank für das Interview.

———————————————————————————————————————————————-

Folge der Ölkrise: 20 Jahre Schweizer Energiegesetz

Am 1. Januar 1999 trat das erste Schweizer Energiegesetz in Kraft, 26 Jahre nach der Ölkrise. Zum 20-Jahr-Jubiläum publiziert das Bundesamt für Energie (BFE) 2019 in einer fünfteiligen Blogserie einen umfassenden Rückblick auf ein spannendes Stück Schweizer Politgeschichte.

www.energeiaplus.com/2019/04/10/20-jahre-schweizerisches-energiegesetz-teil-1/

Leere Autobahnen, Haupt- und Nebenstrassen prägten die Schweiz am 25. November 1973. «Perlen aus dem Archiv» des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) zeigt die historischen Filmaufnahmen: https://www.srf.ch/play/tv/doku-plus/video/autofreier-sonntag-perlen-aus-dem-archiv?id=84a4818a-f9a1-41c9-bf3d-4ee627c61bf3

Wer auf den geliebten Sonntagsausflug nicht verzichten wollte, musste ihn ohne das damals so verehrte Auto machen. Das erste Sonntagsfahrverbot in der Schweiz entpuppte sich als wahres Happening: Alte Velos wurden aus dem Keller geholt und wieder fahrtüchtig gemacht, die Strassen wurden zur Rollschuhbahn, Spaziergänger flanierten auf grossen Verkehrsachsen. Die Schweizer nahmen das erste Sonntagsfahrverbot mit viel Humor, auch wenn der Hintergrund äusserst ernst war.

———————————————————————————————————————————————–

Quellen für den gesamten Beitrag: Bundesamt für Energie (www.energeiaplus.ch), Wikipedia, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik.

(Visited 139 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema