Von erschrockenen Goldfischen am Networking-Tag 2017
Jugend ist allgegenwärtig. Auch bei den Älteren. Ist das ein Phänomen des 21. Jahrhunderts? Antworten darauf gab es am Networking-Tag 2017 der Ehemaligen-Organisation der Fachhochschule St.Gallen, FHS Alumni. Eine davon lautete: Das Alter annehmen und sich selbst entfalten. Nicht im plastischen, sondern mentalen Sinne.
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Die heutige Gesellschaft kämpft gegen das alternde Äussere, spritzt sich faltenfrei, korrigiert die vermeintlichen Ungereimtheiten und entledigt sich der Fettpölsterchen. Woher kommt dieser Traum, ewig zu leben? Ewig jung bleiben zu wollen? Das fragt sich nicht nur Sebastian Wörwag, der Rektor der Fachhochschule St.Gallen, am 8. September 2017 in der Olma Halle, sondern auch die rund 700 Teilnehmenden des 13. Networking-Tages der FHS Alumni. Denn das Thema lautet: «Forever Young». «Die Idee dazu entstand letzten Sommer bei einer Wanderung auf die Alp Sigel. Ich kämpfte mich regelrecht hoch und mir wurde bewusst: Der Geist bewegt sich vorwärts, der Körper leider rückwärts. Geholfen hat mir schliesslich das Lied von Alphaville: Forever young», sagt Sigmar Willi, Leiter der FHS Alumni.
Die ewige Jugend trägt ein Einheitsgesicht
«Der heutige Mensch akzeptiert das Schicksal nicht mehr – das Schicksal des Alterns», findet Philipp Tingler, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler. Vielmehr verstünde er sich als Selbstschöpfer, als Homokreator. Man akzeptiere seine grosse Nase nicht mehr, sondern korrigiere sie. Und so nehme das westliche Einheitsgesicht seinen Lauf: kleine Nase, grosser Mund, nach hinten gezogenes Gesicht. «Die sehen alle aus wie erschrockene Goldfische.» Man lasse sich vom Tsunami bearbeiteter Bilder mitreissen, im Sinne von: Ich werde zwar älter, muss aber nicht so aussehen. Dabei scheine die Menschheit zu vergessen: «Auch wenn wir 85 sind und wie 40 aussehen, wir fallen irgendwann tot um», so Tingler. Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, gibt ihm diesbezüglich recht. Sie erzählt von ihrer Freundin, die in den USA lebt. Eine Frau um die 70, die sich entscheidet, fortan kein Botox mehr zu spritzen und die Haare grau zu lassen. Doch sie löst damit in ihrem Umfeld einen Sturm der Entrüstung aus. «Früher war die Jugend nicht überall geschätzt, es kam ganz auf die Umstände an. Erst im 19. Jahrhundert kam das Jungsein zutage, allerdings nur bei den Männern und in höheren Schichten», so die Historikerin. Die ersten Verjüngungsoperationen seien Anfang des 20. Jahrhunderts überliefert worden, jedoch ohne sichtbare Erfolge, schmunzelt sie. «Heute bedeutet Jugend, selbstbestimmend und unabhängig zu sein, geistig wie körperlich.»
Zurückbesinnen: Mehr Sein als Haben
Ehe man sich versieht, kommt die «Midlife-Crisis». Das weiss die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello nur zu gut. «In der Mitte des Lebens sind wir noch nicht alt, aber auch nicht mehr jung. Es ist die Zeit, die am krisenanfälligsten ist.» Man stecke mit seiner Lebenszufriedenheit ganz unten, durchlebe persönliche, familiäre oder berufliche Veränderungen. Oft auch alles auf einmal. Fühle sich überlastet, von Jungen ver- oder bedrängt und stehe an der Schwelle eines wichtigen biografischen Übergangs. Eine grosse Herausforderung, mit der viele nicht klarkommen würden. Doch sie ermuntert die Teilnehmenden im Saal: Ab 49 gehe es wieder aufwärts, das würden zahlreiche Studien belegen. Es sei die beste Zeit, um neue Weichen zu stellen. Sich selbst wieder zu entfalten. Und sich statt übers Haben zu definieren, wieder aufs Sein zu konzentrieren.
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Die Jugendlichkeit im Management
Bleibt noch die Frage: Leiten junge Führungskräfte anders? «Vor 30 Jahren habe ich anders entschieden als heute. Nämlich mit viel mehr Sturm und Drang. Der Vorteil heute: Ich kann Menschen besser einschätzen», sagt Alexander von Witzleben, CEO der Arbonia AG. Caroline Forster von der Forster Rohner Gruppe erinnert sich, wie sie mit 27 Jahren, zusammen mit ihrem Bruder, die Firma des Vaters übernahm. Sie sei damals noch naiv gewesen, habe einfach gemacht, ohne lange zu überlegen. Heute spiele die Erfahrung mit. Experimentierfreudig ist der Dritte in der Talkrunde: Marc Stoffel, CEO der Haufe-umantis AG (siehe auch Interview in Ausgabe 7-8/2017 des ORGANISATOR). In seiner Firma wird jede Führungsperson nach einem Jahr von der gesamten Belegschaft wieder- oder abgewählt, mittels anonymer Abstimmung per App. «Jedes Produkt und Unternehmen hat ein Ablaufdatum. Deshalb müssen wir uns immer wieder hinterfragen und beweglich bleiben.»
Aktivität – für ein langes Leben
Das ist auch das Stichwort von Beat Villiger, dem Arzt und Manager, dem die Spitzensportler über viele Jahre vertrauten. Er imponiert mit unglaublichen Studien, wie beispielsweise, dass mediterranes Essen die beste Ernährung sei und jede Diät übertreffe oder dass etwas Speck am Knochen im Alter ein entscheidender Überlebensfaktor sei. Das effektivste Medikament für ein langes Leben sei jedoch, sich regelmässig zu bewegen. Sein Rat lautet sodann: «Verzichten Sie nicht auf Lifestyle. Trinken Sie jeden Tag 2dl Rotwein, aber nicht mehr. Sie müssen nicht auf das Ungesunde verzichten, solange Sie das Gesunde nicht beiseitelassen. Und denken Sie an die Aktivität.»
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Networking-Tag 2017: Frischenzellenkur für den Geist
Das muss man den Networkern nicht zweimal sagen, schon nippen sie guten Gewissens am Glas Wein, schlemmen am Forever-Young-Buffet und versuchen ihr Glück im Alpha-Casino. Die Jugend zurückzugewinnen, wird schwierig. Doch dank der Referierenden will das vermutlich auch niemand mehr. Stattdessen erinnert man sich: «Mehr Sein als Haben. Das ist mir vom heutigen Tag am meisten geblieben», so Marcel Thoma, Leiter Sportamt der Stadt St.Gallen. Oder wie Wörwag zu sagen pflegt: «Der endliche Moment erfüllt uns viel mehr als ein ewig dauernder Moment. Deshalb sollten wir das Jetzt auskosten. Und wenn eine Frischzellenkur, dann nur für den Geist.»
Weitere Informationen: http://www.networkingtag.ch/