Wirtschaftskrisen können die Dekarbonisierung beschleunigen
Krisen können den Strukturwandel antreiben und eine absolute Entkopplung der CO2-Emissionen vom Wirtschaftswachstum befördern. Als besonders wandlungsfähig haben sich Länder erwiesen, die bereits vorher eine ambitionierte Klimapolitik verfolgten.
„Building back better“ ist ein beliebtes Schlagwort in Zeiten der Krise, aber ist es auch realistisch? Eine neue Studie, die im Februar in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde, hat die Auswirkungen von Wirtschaftskrisen auf die Dekarbonisierung untersucht und gezeigt, dass Krisen zwar nicht automatisch zu strukturellen Veränderungen und langfristiger Dekarbonisierung führen, aber eine wichtige Rolle bei der Einleitung systemischer Veränderungen gespielt haben. „Fast alle Länder, die einen Scheitelpunkt ihrer CO2-Emissionen erreicht haben, taten dies während einer Wirtschaftskrise“, sagt Erstautor Germán Bersalli vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) in Potsdam. Mit Kollegen vom RIFS und der ETH Zürich untersuchte er den Zusammenhang von Emissionsspitzen und Wirtschaftskrisen in den 45 Ländern, die zwischen 1965 und 2019 der OECD und der G20 angehörten.
Dekarbonisierung dank Wirtschaftskrisen?
In den vergangenen 50 Jahren erreichten 28 dieser Länder ihren Emissionshöchststand, 26 davon kurz vor oder während der grossen Wirtschaftskrisen dieses Zeitraums. Dazu zählen die Ölkrisen 1973-75 und 1979-80, der Zusammenbruch der Sowjetunion (1989-91) und die Weltfinanzkrise (2007-09). Auch als die Konjunktur in den Ländern wieder anzog, stiegen die Emissionen nicht wieder auf ihr Vorkrisenniveau an. Diese positive Entwicklung steht im Gegensatz zum globalen Trend: Der weltweite Ausstoss von Kohlenstoffdioxid nahm im Untersuchungszeitraum kontinuierlich zu, mit nur kleinen Einbrüchen während der Krisen.Die Mechanismen hinter tieferen Emissionen
Die Forscher beschreiben drei Mechanismen, die langfristig zu niedrigeren Emissionen geführt haben:- Mit Energieeffizienzmassnahmen reagieren Regierungen und Unternehmen auf höhere Energiepreise oder schlechtere wirtschaftliche Bedingungen. „Dieser Mechanismus ist während der Ölkrisen besonders ausgeprägt. In den Ländern, die in diesem Zeitraum ihren Spitzenwert erreichten – zum Beispiel Grossbritannien, Deutschland und Frankreich –, kam es zu einer erheblichen Verbesserung der Energieintensität. Der Verbrauch teurer importierter Brennstoffe sank, die industrielle Effizienz stieg“, sagt Bersalli. Neben den staatlichen Massnahmen reagierten auch die Unternehmen auf Krisen und lösten neue Markttrends aus, wie eine Umstellung auf kleinere und effizientere Autos während der Ölkrisen.
- Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur umfassen einen Rückgang der CO2-intensiven Industrien und einen Aufschwung für weniger energieintensive Industrien nach der Krise. Diese Veränderung wird durch wirtschaftliche und manchmal auch politische Kräfte angetrieben. Wenn sich die Wirtschaft erholt, setzen Unternehmen verstärkt auf weniger energie- oder kohlenstoffintensive Anlagen. Es ist aber auch eine Verschiebung vom Waren produzierenden zum Dienstleistungssektor zu verzeichnen. Bersalli führt Spanien als eindrucksvolles Beispiel für dieses Phänomen an: „In Spanien, das während der globalen Finanzkrise und der darauf folgenden Eurokrise zu den am stärksten betroffenen Ländern gehörte, litt die Industrie besonders stark. Ihr Anteil am BIP fiel von 26 Prozent im Jahr 2007 auf 20 Prozent im Jahr 2015. Die Bauindustrie brach zusammen und erreichte nie wieder auf das Vorkrisenniveau. Die spanische Rückkehr zum Wachstum fand in anderen, weniger kohlenstoff- und energieintensiven Sektoren statt.“
- Neue Marktbedingungen oder politische Veränderungen haben Veränderungen im Energiemix begünstigt, die die CO2-Emissionen sinken liessen. Die erste Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre wirkte sich besonders in Westeuropa nachhaltig auf den Energiemix aus: Die Kernenergie wurde ausgebaut und das Interesse an den aufkommenden Technologien für erneuerbare Energien stieg.