Windenergiedaten sind verzerrt

Ein ETH-Forscher hat gemeinsam mit einem Britischen Kollegen eine neue Simulation der Windenergieproduktion in Europa entwickelt. Dabei zeigten sie, dass die bisher verwendeten Daten zum Teil stark verzerrt waren.

Windenergie: Bisherige Modelle sind oftmals nicht genügend genau.
Windenergie: Bisherige Modelle sind oftmals nicht genügend genau.

Windkraft hat in Europa und weltweit enorm zugelegt. Im Jahr 2015 waren rund um den Globus Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 350 Gigawatt installiert, davon 135 Gigawatt in Europa, verteilt auf rund 87’000 Windturbinen. Der Anteil der Windenergie ist mit 13 Prozent mittlerweile grösser als der von Atomkraftwerken. In Ländern wie Spanien, Dänemark oder Deutschland ist bereits genug Windkraft installiert, um unter idealen Bedingungen – maximale Windproduktion und tiefe Stromnachfrage – die jeweilige nationale Stromnachfrage theoretisch zu decken.

Wechselhafte Produktion

Die installierte Leistung sagt jedoch wenig darüber aus, wie viel Strom die Windkraftanlagen eines Landes tatsächlich in das jeweilige nationale Netz eingespeist haben. Denn Windenergie ist nur schwer vorauszusagen. Das macht die Anbindung an bestehende Energiesysteme schwierig.

Betreiber und Energieforscher sind deshalb darauf angewiesen, die Stromproduktion mit zeitlich hoher Auflösung zu simulieren, um einschätzen zu können, wie hoch die Last zu einem gegebenen Zeitpunkt sein könnte.

Erst vor kurzem haben Forschende damit begonnen, solche Simulationen mithilfe von sogenannten Reanalyse-Modellen durchzuführen. Dabei handelt es sich um globale Wettermodelle, die mit echten Messdaten von Wetterstationen und Satelliten gefüttert werden. Diese Reanalysen verarbeiten diese Messungen in kohärente weltweite Simulationen der atmosphärischen Bedingungen.

Modelle kritisch überprüft

Allerdings haben Daten aus Reanalysen einen grossen Haken: Die Wettermodelle vereinfachen die reale Welt. Für die Windkraft wichtige Faktoren wie die Oberflächenbeschaffenheit um eine Windfarm werden dadurch nicht genügend detailliert abgebildet. Werden also solche Daten aus Reanalyse-Modellen ohne Korrekturen für Simulationen der Windstromproduktion verwendet, liefern die Modelle ein systematisch verzerrtes Bild. Dennoch wurden einige Studien zur Windstromproduktion veröffentlicht, die sich auf nicht korrigierte Daten abstützen.

Der Energieforscher Stefan Pfenninger von der ETH Zürich und sein Kollege Iain Staffell vom Imperial College London haben deshalb Daten der gemessenen Stromproduktion von Windfarmen in ganz Europa sowie länderbezogene Produktionsdaten, die durch die Stromnetz-Betreiber erhoben wurden, zusammengetragen. Diese Datensammlung brauchten sie, um daraus Korrekturfaktoren für jedes europäische Land abzuleiten. Schliesslich simulierten sie die Windstromproduktion in Europa über zwanzig Jahre mithilfe des von ihnen entwickelten Virtual Wind Farm Model (VWF).

Unterschätzter Süden

Dank ihres rigorosen Ansatzes haben die beiden Forscher ein realistischeres Bild der Windenergieproduktion in Europa zeichnen können. Ihre Simulationen decken auf, dass die in anderen Studien gebrauchten unkorrigierten Simulationen die Windstromproduktion in Nordwesteuropa um bis zu 50 Prozent überschätzt, die Produktion in Südeuropa hingegen um 30 Prozent unterschätzt haben.

Die Forscher berechneten zudem auch die Nutzungsgrade für Europa neu: So liegt der aktuelle Nutzungsgrad im europäischen Durchschnitt bei 24,2 Prozent; in Grossbritannien liegt er bei 32,4 Prozent und in Deutschland bei 19,5 Prozent. Der europäische Durchschnitt weicht von Jahr zu Jahr um nur wenige Prozent ab. «Diese Abweichung ist viel geringer als diejenige eines einzelnen Landes», sagt Pfenninger. «Je grösser die Windflotte und je grösser die geografische Streuung ist, desto geringer sind Angebotsschwankungen.» Es sei deshalb wichtig, dass die nationalen Stromnetze noch besser miteinander vernetzt würden, um Produktionsausfälle in einer Gegend mit der Mehrproduktion eines anderen Landes auszugleichen.

Die Simulation zeigt auch, dass die Nutzungsgrade am Steigen sind, unter anderem dank besserer Technologie und besserer Standorte auf offener See. Die Windparks Grossbritanniens sind mittlerweile um einen Viertel produktiver als noch vor zehn Jahren.

Nordsee-Staaten legen zu

Beim derzeitigen Planungsstand rechnen Pfenninger und Staffell damit, dass der durchschnittliche Nutzungsgrade für Europa um einen Drittel auf über 31 Prozent steigen könnte. «Insbesondere Nordsee-Anrainer dürften in der nahen Zukunft kräftig zulegen», sagt Pfenninger. Grossbritannien könnte einen Nutzungsgrad von fast 40 Prozent erreichen, Deutschland einen von beinahe 30 Prozent.

Damit Planer, Netz- und Kraftwerksbetreiber aber auch andere Wissenschaftler die von den Energieforschern entwickelten Simulationen weiterverwenden können, haben Pfenninger und Staffell die interaktive Web-Applikation www.renewables.ninja geschaffen, wo die europäischen Datensätze zum Download bereitstehen. Die beiden Forscher haben die Plattform während sechs Monaten getestet. Sie zählt bereits Nutzer von 54 Institutionen aus 22 Ländern, darunter die Internationale Energieagentur.

Die Plattform gewährt auch Zugriff auf Daten, die mit einer vergleichbaren Simulation der Photovoltaik-Stromproduktion in Europa entwickelt werden. Die Studie zur Photovoltaik erscheint zeitgleich wie diejenige zur Windstromproduktion und wurde ebenfalls von Pfenninger und Staffell geschrieben.

Text: Peter Rüegg, ETH Zürich

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