Schutz vor Naturgefahren: Netzbarrieren statt Beton

Leicht, flexibel und hochbelastbar: Netzbarrieren gegen Murgänge und Hangmuren gibt es erst seit wenigen Jahren. Wo eignet sich ihr Einsatz und wie werden sie geplant und dimensioniert? Ein neuer von den Bundesämtern für Umwelt und Strassen finanzierter WSL-Bericht diskutiert die Erfahrungen mit den neuartigen Schutznetzen und soll Behörden, Projektverantwortliche sowie Ingenieurbüros bei Entscheidungen unterstützen.

Gefüllte Schutznetze im Illgraben nahe Leuk-Susten im Wallis im Juni 2014. Bild: Christoph Graf, WSL

Nach starkem Regen können sich in Wildbächen plötzlich gewaltige Schlammlawinen mit Felsbrocken – sogenannte Murgänge – zu Tal wälzen. Im steilen Gelände können sich ganze Hänge verflüssigen und in Bewegung kommen, als so genannte Hangmuren. Beide Prozesse können Geschwindigkeiten von über 50 Kilometer pro Stunde erreichen und Häuser, Strassen oder Bahnlinien unter sich begraben. Im Alpenland Schweiz reduzieren, neben anderen Massnahmen, an vielen Orten Schutzbauten das Risiko für Schäden durch diese plötzlich auftretenden und sehr zerstörerischen Naturereignisse. Meistens sind das massive Mauern oder Dämme aus Stahlbeton oder Erdmaterial.

Schutznetze sind vielseitig einsetzbar

Doch seit rund zehn Jahren gibt es eine Alternative auf dem Markt: flexible Schutznetze aus Stahlseilen oder hochfestem Stahldraht. Sie sind günstiger zu errichten, brauchen weniger Platz, fügen sich besser ins Landschaftsbild ein und könnten so manche starre Betonbarriere ersetzen oder ergänzen. Ein Autorenteam der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), dem Kanton Appenzell Ausserrhoden und Ingenieurbüros gibt nun in einer neuen Praxishilfe eine Übersicht und Empfehlungen zu ihrem Einsatz und zur Wartung.

Flexible Schutznetze als Steinschlagbarrieren oder Schneenetze sind weltweit bereits seit Jahrzehnten etabliert. Die Leistungsfähigkeit der Netzkonstruktionen konnte seither deutlich verbessert werden, was nahelegte, dass sie auch den gewaltigen Kräften von Murgängen und Hangmuren standhalten können. Durch ihre Flexibilität und die Netzstruktur sind Schutznetze besonders geeignet, um diese Naturgefahren zu bändigen. Zunächst fangen die Verformung des Netzes und eingebaute Bremselemente die Wucht der Geschiebemassen ab, dann fliesst das Wasser durch die Maschen, was das zurückbleibende Material verdichtet. Zusammen erhöht dies die Brems- und Rückhaltewirkung.

Gemeinsam mit der WSL optimierte ein Entwicklungsteam der Firma Geobrugg AG aus Romanshorn (TG) im Rahmen eines vom Bund mitfinanzierten Projekts zwischen 2005 und 2011 bestehende Steinschlagschutzsysteme auf die speziellen Belastungen von Murgängen und Hangmuren. Sie testeten die neu entwickelten Schutznetze in einem Grossversuch im Illgraben bei Leuk-Susten (VS), wo Murgänge besonders häufig sind. Es folgten weitere Projekte mit künstlich ausgelösten Hangmuren. Andere Anbieter entwickelten im selben Zeitraum ähnliche Produkte, teilweise ebenfalls in Zusammenarbeit mit Hochschulen oder Forschungsinstituten.

Seit 2007 wurden in der Schweiz rund 80 Murgang- und 30 Hangmurenschutznetze installiert. In der Praxis erwies sich deren relativ schnelle und einfache Installation als einer der grössten Vorteile gegenüber starren Betonbauwerken. Per Helikopter können Bauteile und Equipment auch in schwer zugängliche Gebiete transportiert werden. Die Bauzeit beschränkt sich meist auf wenige Wochen, was sie auch als Sofortmassnahme attraktiv macht. Mehrere Netzbarrieren können hintereinander aufgebaut werden, um das Rückhaltevolumen zu vergrössern.

Die bisherigen Installationen lieferten wertvolle Erfahrungen für den Betrieb und Unterhalt solcher Konstruktionen. Vereinzelt kam es an den Netzbarrieren zu Schäden, was Hinweise darauf gibt, mit welchen Massnahmen diese vermieden werden können und was in Zukunft optimiert werden könnte.

Starkregen wird häufiger

Wenn in Folge der Klimaerwärmung Permafrostböden auftauen und Starkniederschläge zunehmen, dürften Murgänge und Hangmuren häufiger und intensiver werden. Deshalb könnte der Einsatz von Schutznetzen öfter sinnvoll sein. «Als Sofortmassnahme oder auch als Schutz für eine einzelne Strasse oder ein Gebäude sind Schutznetze innert kurzer Zeit installiert», sagt Christoph Graf, Geomorphologe an der WSL und Mitautor der Praxishilfe. Ausserdem könnten Schutznetze bestehende Schutzbauten ergänzen oder als Sonderbauwerke auch Schwemmholz zurückzuhalten. «Durch ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten sind Schutznetze im Vergleich zu starren Betonbauten oft eine attraktive Variante; darum sollte diese Technologie in einem gefährdeten Gebiet bei der lokalen Massnahmenplanung unbedingt mitevaluiert werden.»

Die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) war mitbeteiligt am Auftrag vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) und dem Bundesamt für Strassen (Astra), das Potenzial der neuen Schutznetze aus technischer, wirtschaftlicher und ökologischer Sicht zu beurteilen. Dabei ging es hauptsächlich um die konkrete Anwendung und Dimensionierung sowie Chancen und Grenzen der Netzbarrieren. Die Resultate sind im neuen WSL-Bericht «Praxishilfe Murgang- und Hangmurenschutznetze» veröffentlicht.

 

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