Was bedeutet eigentlich… «ScrollyPub»?
Benno Maggi befasst sich in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich…?» mit Begriffen aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich. Dieses Mal behandelt er den Begriff «ScrollyPub».
Was für tolle Blüten die Marketingfachsprache immer wieder hervorbringt.
Neustes Beispiel: ScrollyPub. Klingt so niedlich und süss, dass es einfach – ähnlich einem Neugeborenen – geliebt werden müsste. ScrollyPub ist das Enkelkind von Scrollen und Storytelling, dessen nonbinäres Kind Scrollytelling nun ein neues Wort geboren hat, mit eben dem drolligen Namen ScrollyPub. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber. Und bitte auch so häufig wie möglich anwenden, damit das Gegenüber weiss, dass Sie auf dem neusten Stand sind.
Die Verwandschaftsbezug zeigt: Aber auch der neuste Shit kommt von irgendwo her. Gehen wir deshalb kurz tiefer in die Ahnenforschung des neuen Branchen-Babys. Beginnen wir bei den Grosseltern – auch im richtigen Leben haben Grosseltern das Scrollen schon längst gelernt. Es ist schon so lange her, dass das Wort im Duden Eingang gefunden hat, dass unter «Gebrauch» tatsächlich noch das Akronym EDV aufgeführt wird. Elektronische Daten Verarbeitung. Erinnern Sie sich? Scrollen bedeutet auf Englisch eigentlich «verschieben». Heute meinen wir damit, dass die Darstellung auf dem Bildschirm nicht im Ganzen erfasst werden kann und sie deshalb in Ausschnitten nach und nach auf dem Bildschirm verschiebt werden sollte. Es gibt böse Zungen, die behaupten, je höher jemand in der Hierarchie steigt, desto mehr nimmt die Fähigkeit zum Scrollen ab. Und mit einer solchen Story sind wir schon beim nächsten Ahnenteil, dem Storytelling.
Wenn vor lauter Scrollen der Inhalt verloren geht
Dieser Begriff war lange Zeit nur Literaten und Film- und Theaterschaffenden vorbehalten, bevor er unsere Branche eroberte. Es ging um Dramaturgie, Rhythmus und komplexe Handlungsstränge, die das Publikum oder die Lesenden über längere Zeit fesseln. Aber wenn etwas weder einen Anfang noch ein Ende, weder einen Plot, Startingpoint noch einen Payoff hat, dann ist es keine Geschichte, sondern lediglich eine Aneinanderreihung von Tatsachen, Wünschen und Aufforderungen einer Senderin oder eines Senders an eine Empfängerin oder einen Empfänger. Und die Senderin oder der Sender hofft, es verstehe wer, was vermittelt werden soll. Dass eine Geschichte in wenigen Worten erzählt werden kann, war schon vor TikTok und Snapchat bekannt: «For sale. Baby shoes, never worn.» diese berühmte Geschichte in sechs Worten wird Ernest Hemingway zugeschrieben. Ob das stimmt? Auch das ist Storytelling.
Scrollytelling kombiniert nun «scrollen» und «storytelling» und beschreibt ein journalistisches Format, bei dem Lesende durch Scrollen eine Geschichte erleben, die sich dynamisch aufbaut. Das kann durch Grafiken, Videos oder interaktive Elemente geschehen. Dies alles soll helfen, das Leseerlebnis zu steigern und ermöglicht, komplexe Inhalte visuell ansprechend zu vermitteln. Soweit die Tätigkeit. «ScrollyPub» nun ist der Ort, wo Scrollytelling stattfindet. Nicht in einem schummrigen Wirtshaus, wo lauwarmes Bier ausgeschenkt und Sportübertragungen auf Screens laufen und Pfeile auf eine Scheibe geworfen werden. Nein, es bezieht sich in der Regel auf Veröffentlichungen (oder eben Publikationsformate), die Scrollytelling-Techniken verwenden. In einem ScrollyPub werden Geschichten in Formaten präsentiert, die sich an den neuen Lesegewohnheiten orientieren, insbesondere jenen auf den Screens der mobilen Geräte. Vor lauter multimedialer Spannung und Aufmerksamkeit gehen da leider oft die Inhalte vergessen und ob das wenige, dass an Inhalt noch vorhanden ist, bei so viel Erlebnis auch hängenbleibt, sei in Frage gestellt.
* Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.