Was bedeutet eigentlich… «Verweildauer»?
Benno Maggi befasst sich in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich…?» mit Begriffen aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich. Dieses Mal behandelt er den Begriff «Verweildauer».
Was für ein einladendes Wort! Es beschreibt die Quantifizierung der Zeit des Verweilens oder Verbleibens an einem bestimmten Ort. Das Wort ist so einladend, dass es im Marketing getrost mehr eingesetzt werden sollte: zum Beispiel als Verweildauer, die persönlich mit einem Kunden verbracht wird. Oder als Verweildauer, die beim Beobachten von Menschen oder in der Natur für neue Ideen zum Genuss wird. Oder als Verweildauer, die in einem jobunabhängigen Gespräch mit einer oder einem Mitarbeitenden investiert wird. Kurz: jede Verweildauer, die nicht am Smartphone oder vor dem Screen stattfindet. Denn da ist sie erschreckend hoch.
Wer kennt es nicht, dieses grosse Entsetzen, wenn am Montagmorgen schonungslos aufgezeigt wird, wo wir uns die letzten sieben Tage wieder rumgetrieben haben und wieviel Zeit wir dafür aufgewendet haben. Der Screentime-Report. Er offenbart gnadenlos die Verweildauer in den einzelnen Apps auf den Smartphones.
Kennen Sie nicht? Unbedingt einstellen. Das ist für ihre psychische Gesundheit das, was der Schrittzähler für die Physische ist. Was nützen ihnen die 10’000 Schritte am Tag, wenn sie gleichzeitig Stunden damit verbringen, durch die sozialen Medien zu wandern – ohne Zeitangaben und Zeitgefühl? Aber was heisst hier wandern? Das Scrollen in sozialen Medien gleicht ja eher dem Versuch, an einer aalglatten, leicht gewölbten Steilwand an Mitteilungen hochzuklettern und dabei dauernd runterzurutschen. Immer in der Hoffnung, doch noch eine etwas bessere, lustigere oder relevantere Mitteilung zu entdecken. Die Stunden verfliegen, die wir eigentlich sinnvoller verwenden könnten. Zum Beispiel fürs Wandern. Gerade im Herbst soll das wunderschön sein.
Zeit als Währung
Die Screentime – oder eben die Verweildauer – ist verhasst auf dem Smartphone, jedoch sehr beliebt bei Online-Reportings der Agenturen und internen Reporting-Meetings der Marketing-Abteilungen. Beispiel: Falls Sie jetzt beschliessen sollten, Ihre Verweildauer in dieser Kolumne zu beenden, dann hätte das Konsequenzen. Für mich, nicht für Sie. Denn neben der Anzahl Klicks wird auch die Verweildauer auf einer Website, eines Artikels oder eben einer Kolumne gemessen. Und dafür wird gezahlt. Und wehe, diese Verweildauer ist nicht lange genug. Dann gibt’s Ärger – beziehungsweise kein Geld. Denn die Verweildauer ist nebst den Zugriffs- und Absprungraten das, was in der digitalen Welt wirklich zählt.
Auch wenn die Reportings voll sind von weiteren Zahlen, die meist niemand versteht und nur wenige interessieren. Am Ende geht’s darum, ob das, was Werbetreibende und Medienschaffende produzieren, bei den Zielpersonen auch auf Interesse stösst. Sie sind immer noch da? Das freut mich. Für Sie und für mich. Damit steigern sie nämlich statistisch ihre Zeit für Informationsbeschaffung und senken gleichzeitig hoffentlich jene für Blödsinn. Aber vielleicht ist ja beides beides. Hauptsache Sie zahlen dafür. Wenn nicht mit Geld, dann mit den Daten, die Sie eben auf dieser Website und/oder ihrem Smartphone hinterlassen haben. Und die zu Reportings verarbeitet, analysiert und oft falsch interpretiert werden. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
* Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.