Marken haben die Verantwortung, uns in eine nachhaltigere Welt zu führen
Marken haben die Kraft, uns Menschen emotional zu bewegen. Und das ist ein entscheidender Hebel für Veränderung. Sustainable Branding bedeutet daher vor allem eines: Verantwortung.
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Das Jahr 2023 markiert die Halbzeit in der Erreichung der 17 global formulierten Nachhaltigkeitsziele, die 2015 von allen 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Dass die Halbzeitbilanz ernüchternd ausfällt, verwundert wohl kaum jemanden. Jetzt kann man Richtung Politik oder Wirtschaftstreibenden schauen. Aber wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, wissen wir auch, dass ein jeder von uns mehr tun könnte – jeden Tag. Mehr Fahrrad und ÖV anstatt Auto fahren, beim Einkaufen ein wiederverwertbares Gemüsenetz mitnehmen, umweltfreundliche Reinigungsmittel verwenden, kürzer und kälter Duschen und Fisch und Fleisch auf dem Teller reduzieren. Um nur einige Beispiele für einen ressourcenschonenderen Alltag zu nennen. Wer sich bei dieser Aufzählung nun schon leicht gestresst fühlt oder wer in sich ein leises Stöhnen vernimmt, hat eine gute Entschuldigung dafür: Wir Menschen sind nicht für Veränderungen gemacht. Schon gar nicht, wenn es um unsere alltäglichen Routinen geht.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier
Warum fällt es uns so schwer, Verhalten zu verändern? Warum reicht es nicht aus, fest entschlossen zu sein oder sich die Konsequenzen bewusst zu machen?
Vereinfacht ausgedrückt müssen wir, um Gewohnheiten zu durchbrechen, in die tiefsten Schichten unseres Gehirns vordringen, das limbische System. Dort sind all unsere langjährig eingeübten und erlernten Abläufe gespeichert. Hier finden wir sozusagen den morgendlichen Griff zum Autoschlüssel oder das Rezept, was Fleisch oder Fisch als Hauptdarsteller hat. Diese Gewohnheiten sind so tief verankert, damit wir ab und an in den Autopiloten schalten können. So sparen wir Energie ein und schützen uns vor einer Entscheidungsüberlastung oder Reizüberflutung. Der Autopilot hat also erst mal eine gute Funktion, ist aber hinderlich, wenn wir unsere alltäglichen Routinen verändern wollen.
Wo können wir also Anreize, Inspiration, Trigger oder sogar Versuchungen finden, die uns auf emotionaler und impliziter Ebene erreichen? Wo können wir Ansatzpunkte finden, um es weniger anstrengend zu machen, unseren nachhaltigen Willen auch wirklich in nachhaltiges Verhalten zu übersetzen?
Jetzt kommen Marken ins Spiel
Jeden Tag treffen wir Entscheidungen mit Hilfe von Marken. Beim Griff ins Supermarktregal oder Füllen des digitalen Warenkorbs, bei der Mobilitätswahl genauso wie bei der täglichen Pflegeroutine. Womit identifiziere ich mich? Wie möchte ich gerne sein? Mit welchem Gefühl möchte ich mich verbinden? Diese alltäglichen Entscheidungen sind meist keine Momente des grossen Abwägens oder Faktencheckens. Sie sind schnell getroffen, können aber eine grosse Wirkung haben. Marken haben die Kraft, Menschen zu nachhaltigeren Entscheidungen zu bewegen – jeden Tag. Und damit haben sie eine besondere Verantwortung auf dem Weg in eine nachhaltigere Welt.
Wir könnten viel schneller in einem nachhaltigen Alltag ankommen
Ein wunderbares Beispiel für eine Marke, die Verantwortung übernimmt, ist Einhorn. Einhorn stellt im tabu-behafteten Periodenprodukte-Regal durch die Art des Brandings eine ganze Produkt-Kategorie in den Schatten und spricht eine nicht zu übersehende Einladung zu einer unterhaltsamen, nachhaltigeren Welt aus.
Tampons aus 100 Prozent Bio-Baumwolle, auf denen «Ich geh da jetzt rein! Over.» oder «Fleckenlos durch die Nacht» steht, lassen einen definitiv neugierig auf weitere Einhorn-Produkte werden und sind vielleicht der erste Schritt zu einer noch nachhaltigeren Menstruationstasse (erwähnenswertes Einhorn-Produktnaming: Papperlacup).
Leider gibt es auch Marken, die vorgeben oder besser gesagt «claimen», nachhaltig, natürlich, klima- wahlweise CO2-neutral oder gut für die Umwelt zu sein. Zum Beispiel werben manche mit dem Hinweis «Kein festes Mikroplastik» auf ihren Pflegeprodukten. Doch auch wenn diese Produkte kein festes, können sie dennoch flüssiges Mikroplastik enthalten, das genauso schädlich für die Umwelt ist. Das ist doch absurd, riecht verdächtig nach bewusster Täuschung und schwächt das Vertrauen in Marken insgesamt.
Spannend wird es, wenn der Richtlinienentwurf «Green Claim Directive» der EU-Kommission in Kraft tritt. Denn in dieser Richtlinie werden genaue Anforderungen an umweltbezogene Produktaussagen, sowie ein Überprüfungs- und Sanktionssystem festgehalten. Ist dann endlich Schluss mit Verschleierung, fehlenden wissenschaftlichen Nachweisen und unklaren oder nicht näher definierten Begriffen wie «umweltfreundlich»?
Jetzt ist die Chance für eine neue Rolle
Genau jetzt haben Marken, Markenmanger:innen und Markenmacher:innen die Chance, ihre Daseinsberechtigung, ihre Relevanz und ihre Wirkung zu demonstrieren. Jetzt können Marken dafür sorgen, dass Sustainable Branding nicht mehr nur als grünes Anmalen, kommunizieren von Absichten oder ressourcenschonendes Brand Management verstanden wird – sondern als eine fundierte und wirkungsorientierte Nachhaltigkeitsstrategie in der konkret definiert ist, wie Marken zu nachhaltigeren Entscheidungen beitragen. Jetzt können Marken in die Vorreiter:in-Rolle gehen und uns in einen nachhaltigeren Alltag führen.
Eine Rolle, die Marken gut stehen würde, aber für die nicht nur die Marken und die Unternehmen und Menschen dahinter allein verantwortlich sind. Sondern gleichermaßen auch wir Markenberater:innen, -strateg:innen und -designer:innen. Unsere Aufgabe ist es, Marken und Unternehmen bei dem Schritt in diese Rolle mit all unseren Fähigkeiten zu begleiten. Indem wir unsere Kreativität als Visionsfähigkeit nutzen. Indem wir den entscheidenden Insight im Alltag der Menschen finden. Indem wir Marken und Produkte unwiderstehlich inszenieren. Indem wir Wandel für Unternehmen und für Menschen anfassbar und zugänglich machen. Gemeinsam schaffen wir das.
*Zur Autorin: Marle-Maria Janßen ist bei MUTABOR als Executive Strategy Director und Associated Partner für die Strategiekompetenz der Agentur verantwortlich. Nach ihrem Dualen Studium der Medien- und Kommunikationswirtschaft an der DHBW Ravensburg mit dem ZDF als Partnerunternehmen startete sie ihre Karriere bei Ogilvy und MetaDesign bevor sie 2016 zu MUTABOR wechselte. Sie ist der festen Überzeugung, dass Marken und Unternehmensidentitäten die entscheidenden Hebel für Transformation sind – sowohl innerhalb einer Organisation als auch in der Gesellschaft.