Wie verhandeln Schweizer Führungskräfte?
Die Negotiation Academy Potsdam (NAP) hat in Zusammenarbeit mit der BGPartner AG, einer führenden Schweizer Anwaltskanzlei für Wirtschaftsrecht und Verhandlungsführung, die erste, wissenschaftlich fundierte und praxisrelevante Studie zum Verhandlungsverhalten von Schweizer Führungskräften durchgeführt. Sie kommt zum Schluss, dass das Verhandeln vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der zunehmenden Komplexität von Geschäftsbeziehungen zunehmend zu einer Schlüsselressource für Schweizer Unternehmen wird.
Schweizer Führungskräfte sind mehrheitlich selbstbewusste Verhandlerinnen und Verhandler, zumindest wenn es um die Einschätzung der eigenen Verhandlungsleistung geht. So lassen sich die Ergebnisse der Studie «Wie verhandeln Schweizer Führungskräfte?» zusammenfassen, die am Donnerstag, 25. Mai 2023, im Rahmen einer Veranstaltung im Kongresshaus Zürich vor rund 100 geladenen Gästen präsentiert wurde.
Sorgfältige Verhandlungsvorbereitung in Szenarien entscheidend
Im Rahmen der erstmals durchgeführten Studie wurden im Herbst 2022 rund 360 Schweizer Managerinnen und Manager mittels einer Online-Umfrage befragt. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass Verhandeln ein wesentlicher Teil des beruflichen Aufgabenbereichs ist. Die Befragten kommen aus unterschiedlichen Branchen und verfügen im Durchschnitt über mehr als 13 Jahre Verhandlungserfahrung. Die repräsentative Studie bietet erstmals einen umfassenden Einblick in die Verhandlungspraxis in der Schweiz und liefert eine empirische Grundlage für weitere Forschungen und Initiativen im Bereich Recht und Verhandlungsführung.
Die Ergebnisse zeigen, dass aus Sicht der Schweizer Managerinnen und Manager gute Verhandlungsergebnisse eine intensive Verhandlungsvorbereitung voraussetzen. Über 90 Prozent der Befragten geben an, dass Verhandlungsgeschick für ihre Karriere wichtig ist. Mehr als die Hälfte der Befragten sind allerdings auch der Ansicht, dass viele Verhandlungsführer ihre Verhandlungsfähigkeiten überschätzen. Zudem wurde auch nur etwa die Hälfte der Schweizer Führungskräfte bereits in Ausbildung oder Studium zum Thema Verhandlungen qualifiziert. Unterschiede lassen sich insbesondere in Bezug auf das Alter und die Branche feststellen: Je jünger die Befragten, desto eher war Verhandeln bereits Teil ihrer Ausbildung. Hinsichtlich des Verhandlungstrainings gibt es zum Teil deutliche Branchenunterschiede.
Mehr Ausbildung und Unterstützung erwünscht
Ein Viertel der Schweizer Führungskräfte ist der Meinung, dass ein systematisches Verhandlungsmanagement nach wie vor nur in Grossunternehmen anzutreffen ist, obwohl Einigkeit darüber besteht, dass Verhandlungskompetenz erlernbar ist. Zudem wird nur ein Drittel der Befragten von ihrem Unternehmen angemessen auf Verhandlungen vorbereitet. Hier wünscht sich die Mehrheit der Schweizer Führungskräfte noch mehr Unterstützung durch die Unternehmen. Vor allem die Beratung durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen, Schulungen zu Verhandlungsstrategien und Verhandlungstrainings mit professionellen Coaches und Mentoren werden als hilfreich für die Vorbereitung auf eine Verhandlung erachtet.
Schweizer Führungskräfte verhandeln lieber persönlich als digital
Die Corona-Pandemie hat zwar dazu geführt, dass Unternehmen vermehrt auch digital verhandeln. Die Befragten geben jedoch an, dass sie Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht besser beherrschen und für erfolgversprechender halten als digitale Verhandlungen. Schweizer Führungskräfte können als selbstbewusste Verhandler charakterisiert werden, die überwiegend gute Verhandlungsergebnisse erzielen, zumindest wenn es um die Einschätzung der eigenen Verhandlungsleistung geht. Gelingt es aus Sicht der Befragten nicht, ein optimales Verhandlungsergebnis zu erzielen, liegt der Hauptgrund auf der eigenen Seite vor allem in zu ambitionierten und damit unrealistischen eigenen Zielen. Auf der Gegenseite machen die Schweizer Verhandlungspraktiker die Machtdominanz und den Verhandlungsstil der Gegenseite dafür verantwortlich.
Verbesserungspotenzial bei Nachbereitung und Kostenkontrolle
Rund 77% der Schweizer Führungskräfte tauschen sich nach einer Verhandlung mit Kollegen und Vorgesetzten über die gemachten Verhandlungserfahrungen und die erzielten Ergebnisse aus. Der Vergleich mit der deutschen Verhandlungspraxis, wo sich rund 87% regelmässig über Verhandlungserfahrungen austauschen, zeigt jedoch, dass hier in der Schweiz noch deutliches Verbesserungspotenzial besteht. Zudem fällt auf, dass ein grosser Teil der Schweizer Verhandlungspraktiker kein wirkliches Bewusstsein für die Höhe der Kosten ihrer Verhandlungen hat. Zukünftig gilt es für Unternehmen, neben der Etablierung eines systematischen Verhandlungscontrollings insbesondere der gestiegenen Bedeutung von Claim-Verhandlungen einen entsprechenden Stellenwert einzuräumen.
Grössere Ergebnisqualität und Effizienz in kleinen Teams
Auch wenn die zunehmende Digitalisierung von Verhandlungen in vielen Unternehmen zu Effizienzgewinnen und neuen Optionen in der Verhandlungsführung geführt hat, verhandeln Schweizer Verhandlungspraktiker weiterhin alleine oder in tendenziell kleineren Teams von durchschnittlich zwei bis drei Personen. Für die Schweizer Verhandlungspraxis gilt es aus Sicht der Studienautoren, die Bedeutung und das Erfolgspotenzial von Teamverhandlungen in Zukunft genauer zu analysieren.
Bedeutung der Verhandlungsführung in der Aus- und Weiterbildung in der Schweiz erkannt
Bei näherer Betrachtung der Ergebnisse fällt auf, dass insbesondere jüngere Führungskräfte deutlich häufiger angeben, dass Verhandlungen Teil ihrer Ausbildung waren. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Bedeutung von Verhandlungsführung in der Aus- und Weiterbildung in der Schweiz erkannt wurde. Aus Sicht der Studienautoren empfiehlt es sich auch für Schweizer Unternehmen, der Aus- und Weiterbildung von qualifizierten Verhandlungspraktikern einen höheren Stellenwert einzuräumen. Der gestiegenen Relevanz der Verhandlungsführung sollte in Zukunft sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch von Seiten der Verhandlungspraxis Rechnung getragen werden.
Quelle: BGPartner AG / Negotiation Academy Potsdam