Babyboomer ade: Doch wer kommt danach?
Eine Langzeitstudie stellt in der DACH-Region eine "betriebsgefährdende Stagnation" bei der internen Suche nach künftigen Top-Führungskräften fest. Unternehmen ignorieren demnach noch immer das strategische Talent- und Nachfolge-Management. Die Folge: Nach dem Ausscheiden der Babyboomer entstehen Lücken.
Die weltweite Covid-19 Pandemie und der daraus resultierende rasante Digitalisierungsschub beeinflussen unsere Arbeitswelt in ungeahntem Ausmass. Um weiter erfolgreich am Markt bestehen zu können, müssen Unternehmen sowohl ihre Geschäftsmodelle überdenken als auch alternative Arbeitsformen etablieren. Das hat direkte Folgen für die Personalrekrutierung und das Talent Management. Missstände, die in den vergangenen Jahren durch wirtschaftliche Erfolge verdeckt wurden, kommen nun unbarmherzig ans Tageslicht: Das Nachfolgemanagement von Führungskräften wird sträflich vernachlässigt, lautet das Ergebnis einer Langzeitstudie der Transformation Management AG aus St. Gallen. Und das, obwohl sich gerade viele Millionen gut ausgebildeter Babyboomer aus dem Berufsleben verabschieden.
Vier Reifegrade
Schon in der ersten Stufe der Untersuchung, bei der sich seit 2009 rund 300 Firmen aus der gesamten DACH-Region beteiligten, gab es nur für sehr wenigen Unternehmen halbwegs brauchbare Zeugnisse. Bei den 60 Firmen, die in einer Folgestudie erneut befragt wurden, sind aber kaum Veränderungen feststellbar. Dabei wurden auch zahlreiche Namen aus der ersten Reihe untersucht wie beispielsweise Voestalpine, Deutsche Börse, Migros, EnBW oder Bosch. Alle neuerlich befragten Unternehmen zusammen beschäftigen 1,4 Mio. Mitarbeiter und erreichen einen Umsatz von insgesamt 373 Mrd. Euro. Aber seit zehn Jahren verharrt ihre durchschnittliche Einstufung im Talent Management auf dem zweituntersten Reifegrad.
Vier Reifegrade wären möglich auf der von der Transformation Management AG entwickelten Benchmark zur Messung eines erfolgreichen Talent Management. Beginnend von einer Ad-hoc-Besetzung der Stellen bis hin zum zukunftsorientierten, strategischen Handeln. Den besten Reifegrad erreicht jedoch nach wie vor kein einziges Unternehmen. Wenige halten zumindest ihre Stellung in der Spitzengruppe. Dr. Petra Reindl, bei der Munich Re global für die Personalentwicklung verantwortlich, befindet sich mit ihrem Unternehmen unter den Top-25 Prozent. Durch die Studie konnte sie konkrete Schritte für das Talent Management ableiten, um „interne Potentialträger sichtbar zu machen und mit individuellen attraktiven Fördermaßnahmen an das Unternehmen zu binden.“
Wenn die Babyboomer fehlen, droht böses Erwachen
Eine systematische Identifizierung und Entwicklung von High Potentials wird laut Studienleiter Prof. Gerhard Graf in den Unternehmen jedoch nur sehr selten als vordringliche Aufgabe gesehen, selbst wenn die Personalabteilungen entsprechende Maßnahmenpakte als sehr wichtig einstufen: „Das Thema steht seit zehn Jahren auf dem gleichen Fleck!“ Bei 80 Prozent der befragten Organisationen wird weder mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen gearbeitet, noch wird der Return on Investment gemessen. Arbeitgeber sind heute viel stärker in der Pflicht, attraktiv zu sein für künftige Arbeitnehmer. Jedoch fehlen Initiativen, die steigenden Ansprüche der Nachfolgegeneration zu erfüllen.
Statt systematische Nachwuchsarbeit zu betreiben, die eng an den strategischen Zielen der Organisation ausgerichtet ist, sehen die Verantwortlichen die notwendigen Prozesse meist nur als mühselige Pflichtübungen an. „Spätestens in drei bis fünf Jahren werden Unternehmen ohne Initiativen im strategischen Talent- und Nachfolge Management ein böses Erwachen erleben“, befürchtet Graf. Er sieht einen dringenden Handlungsbedarf für das Talent Management, völlig unabhängig von der Grösse eines Unternehmens oder der Branche, aus der es kommt.
Systematische Talentsuche tut not
Allein der Vergleich von drei Werten, jeweils für das untere und das obere Viertel aller untersuchten Firmen, macht die Relevanz einer systematischen Talentsuche und -pflege sichtbar:
- Unternehmen mit professionellem Talent Management weisen eine um 15 Prozent höhere Arbeitgeberattraktivität aus (KUNUNU-Werte, 2021).
- Sie sind außerdem unternehmerisch erfolgreicher. Der Umsatz pro Mitarbeiter liegt bei den Betrieben des Top-Quartils um 40 Prozent höher als bei den Unternehmen des Bottom-Quartils.
- An der Spitze werden nur 25 Prozent der zu besetzenden Positionen von extern eingekauft. Im unteren Viertel ist es bei einer Quote von 61 Prozent fast genau umgekehrt. Wobei man davon ausgehen kann, dass eine interne Besetzung finanziell deutlich günstiger, weniger risikobehaftet und passgenauer ist und ganz sicher mit einer höheren Bindung an das Unternehmen einhergeht.
Lücken der Babyboomer füllen
Im Verhältnis der Geschlechter im Pool der künftigen Führungskräfte kommt seit zehn Jahren unverändert nur eine Frau auf drei Männer.
Die Unternehmen haben in den letzten Jahren den Schwerpunkt zu sehr primär auf Employer Branding gelegt und dort viel Geld investiert, erläutert Graf. Das lockt fähige und interessante Leute an. Den Versprechungen von Ausbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten folgen jedoch selten systematische und einforderbare Initiativen. Kaum richtig eingearbeitet, verlassen diese hoffnungsvollen Talente das Unternehmen bereits nach zwei bis drei Jahren wieder. Oder wie es Frau Dr. Reindl von der Munich Re formuliert: „Employer Branding funktioniert nur, wenn das Talent- und Nachfolge Management zielgerichtet die Investition in die persönliche Weiterentwicklung berücksichtigt. Einfaches ‚Window Dressing‘ erzeugt keine nachhaltigen Effekte.“ Und das wiegt schwer, weil jetzt die scheidenden starken Jahrgänge der Babyboomer schwer zu füllende Lücken hinterlassen. Im Augenblick herrscht zwar Waffenruhe im „War for Talents“. Aber das ist trügerisch. Nach der Covid-19 Krise wird der Kampf mit ungeahnter Schärfe wieder entbrennen. Und dann werden sich die gut vorbereiteten Organisationen am Markt durchsetzen.
Software allein bietet keine Lösung
Viele Unternehmen versuchen das auf sie zurollende Talentproblem mit dem Einsatz von Personal-Software zu bewältigen. Für Graf ist das der falsche Ansatz: „Der Handlungsbedarf kann nicht durch den Einkauf von Software ersetzt werden. Ohne individuelle Einbindung in die Firmenstrategie wird ein IT-Einsatz mit gleichgeschalteten und tendenziell unflexiblen Softwarelösungen nur zu einer technischen Zementierung der bisherigen Managementfehler führen.“
Wie das Nachfolgemanagement systematisch geht, zeigt die Energie Steiermark AG. „Bis zum Jahr 2030 werden rund 30 Prozent unserer 1.800 MitarbeiterInnen in Pension gehen. Nicht nur deshalb ist das Thema ‚Strategisches Talentmanagement‘ Schwerpunkt unserer Personalentwicklung“, betonen die Vorstände Christian Purrer und Martin Graf: „Aus einer ersten Statuserhebung des Talent Management Index konnten wir wertvolle Massnahmen ableiten: Von neuen internen Personalentwicklungs-Programmen, der fokussierten Förderung von Frauen-Karrieren über die Errichtung unseres E-Campus bis hin zur Neugestaltung unseres Employer Branding. Talentmanagement ist fest in unserer Unternehmensstrategie verankert.“
Quelle und weitere Informationen: Transformation Management AG