Boundary Management: Dem persönlichen Bedürfnis entsprechende Grenzen zwischen Arbeit und privat setzen

Wie Sie anhand Boundary Management sich und Ihre Mitarbeitenden zu einer gesunden Work-Life-Balance in einer von Entgrenzung bedrohten Arbeitswelt anleiten können.

Wenn immer alle Rädchen drehen: Ein hohes Mass an Selbstmanagement ist gefordert.
Wenn immer alle Rädchen drehen: Ein hohes Mass an Selbstmanagement ist gefordert. (Bild: Gerd Altmann / Pixabay.com)

Digitalisierung, Globalisierung und nicht zuletzt die starke Zunahme der Wissensarbeit ermöglichen uns heute, eine Vielzahl von Arbeitsaufgaben unabhängig von Zeit und Ort zu erbringen. Dieser Umstand führt nicht zuletzt durch die ­Verbreitung von Home-Office und flexiblen Arbeitszeiten unweigerlich zu einer partiellen Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben. Für Organisationen wie auch Führungskräfte wird es somit zunehmend schwierig, direkt auf das Gesundheitsverhalten ihrer mobil-flexiblen Mitarbeitenden ein­zuwirken. Dieser Wandel der Arbeitskultur – weg vom weisungsgebundenen Arbeitsnehmenden hin zum weitgehend autonomen Arbeitskraftunternehmertum – hat in den letzten Jahren zu einer beträchtlichen Zunahme psychischer Be­lastungen geführt (u.a. Überforderungsgefühle, nicht von der Arbeit abschalten können und Schlafprobleme). Studien weisen darauf hin, dass die Chancen dieser neu gewonnenen ­Autonomie zu mehr Selbstverwirklichung zu finden, im selben Ausmass auch verheerende Gefahren darstellen. Es sind von Führungskräften wie auch Mitarbeitenden neue Kom­petenzen gefordert um sich in diesem neuen/digitalisierten Arbeitskontext behaupten zu können. Es ist insbesondere ein hohes Mass an Selbstmanagement gefordert und somit auch die Fähigkeit selbstbestimmt gesundheitsförderliche und produktivitätssteigernde Grenzen zwischen unterschied­lichen Lebensbereichen, wie es die Arbeit und das Privatleben sind, setzen zu können. Führungskräfte sind in ­ihrer Funk­tion überdies gefordert, als gutes Beispiel voranzugehen und ihre Mitarbeitenden bei diesem Übergang in eine neue Arbeitskultur stützend zu begleiten. Auf organisationaler Ebene muss ein innovativer Arbeitskontext geschaffen werden, welcher es den Organisationsmitgliedern ermöglicht, den Anforderungen der neuen Arbeitswelt ressourcener­haltend begegnen zu können. Der bisherige Arbeitskontext, dass von 8 bis 17 Uhr und dies von Montag bis Freitag vor Ort ge­arbeitet wird, verliert als Bezugsrahmen zunehmend an Bedeutung und muss neu gedacht werden.

Herausforderung Boundary Management

In­di­viduen unterscheiden sich laut der Boundary ­Theory (Nippert-Eng, 1996) in der Art und Weise, wie sie unterschiedliche Lebenswelten (Arbeit, Privat, Hobby, Freunde) voneinander abgrenzen oder ineinander integrieren und vermischen. Während stark segmentierende Menschen es beispielsweise bevorzugen, klare und undurchlässige Grenzen zwischen Arbeit und privat zu setzen, haben stark inte­grierende Menschen das Bedürfnis diese Lebenswelten möglichst optimal ineinander fliessen zu lassen. Zwischen diesen ­beiden Polen befindet sich eine bunte Welt an «Mischtypen» welche identitätsgetrieben integrieren resp. segmentieren. Dies drückt sich unter an­derem dadurch aus, dass als wichtig wahrgenommene Auf­gaben und Sachverhalte, die der eigenen Identität entsprechen, integrativ behandelt werden, ­wohingegen als unwichtig wahrgenommene Aufgaben und Sachverhalte, die der eigenen Identität weniger entsprechen, gerne klar abgegrenzt werden. So treffen in einem mobil-­flexibel arbeitenden Team meist sehr unterschiedliche Bedürfnisse und somit Ansichten aufeinander, was die Regeln der optimalen Zusammenarbeit betrifft. Dieser Umstand führt zu einem erhöhten Stresserleben aller Beteiligten. Es gilt, dem Team entsprechende Regeln und dazu passende individuelle Boundary-Taktiken zu entwickeln, damit allen ermöglicht wird, ihrem individuellen Abgrenzungsbedürfnis nachgehen zu können, und somit gesundheits- und produk­tivitätsförderliche Grenzkongruenz entstehen kann. Mit individuellen Boundary-Taktiken sind sodann die persönlichen Strategien gemeint, die grundsätzlich oder situativ zum ­Einsatz kommen, um die typengerechte Work-Life-Balance ­sicherzustellen. So ziehen es segmentierende Menschen ­beispielsweise vor, nicht am selben Ort zu arbeiten, wo sie wohnen. Diese räumliche Trennung hilft, die Lebenswelten möglichst getrennt zu halten und die Pendelzeit dazu zu nutzen, von der Arbeitsrolle in die Privatrolle zu wechseln (oder umgekehrt). Stark integrierende Personen hingegen können teilweise kaum zwischen Arbeit und Privat unterscheiden und verbinden diese auch gerne, indem sie zum Beispiel eine Besprechung mit einem befreundeten Arbeitskollegen mit ­einem gemütlichen Feierabendbier verknüpfen.

Kommunikation als erster Schritt in die richtige Richtung

An der Hochschule Luzern wurden im letzten Jahr mehrere Workshops und Vorträge zum Thema Boundary Management durchgeführt und die ersten Ergebnisse und Feedbacks sind erfreulich. Gerade das niederschwellige Ansprechen ­resp. Aufzeigen von Boundary Management und der darauf aufbauende Austausch zu persönlichen Boundary-Mana­ge­ment-Präferenzen zeigt grosse Wirkung. Indem sich Team­ange­hörige darüber austauschen können, warum und wann sie es vorziehen zwischen Arbeit und Privat zu segmentieren resp. zu integrieren, kann ein gemeinsames Verständnis darüber geschaffen werden, wo es Regelungen bedarf, um un­nötige Reibungsverluste und daraus erwachsendes Stress­erleben zu reduzieren. Nicht selten lösen sich vermeintliche Boundary-Konflikte alleine durch den Austausch und die Bewusstwerdung der unterschiedlichen Standpunkte auf. So hat sich in einem Team beispielsweise ergeben, dass einige Teamangehörige einen Teil ihrer Arbeit am Wochenende erbringen und dadurch E-Mail-Verkehr entsteht, welcher für ­jene Teamangehörigen, welche es bevorzugen, ihre Arbeitsleistung während der regulären Arbeitswoche (Mo.–Fr.) zu erbringen wiederum als stressvoll erlebt wurde. Der Klärungsbedarf bestand darin, dass die segmentierenden Teamangehörigen den unausgesprochenen Druck verspürten, ebenfalls an den Wochenenden erreichbar sein zu müssen. Wie sich gezeigt hat, wurde von keiner der integrierenden Personen im Team erwartet, an Wochenenden Antworten auf ihre E-Mails zu erhalten. Daraus resultierte die Teamregel, dass an Wochenenden weiterhin E-Mails verschickt werden dürfen, es aber nicht die Erwartung ist, dass diese vor dem nächsten regulären ­Arbeitstag beantwortet oder bearbeitet werden. So hat das Team in diesem spezifischen Fall sicher­gestellt, dass alle ihrem Bedürfnis entsprechend arbeiten können und ein gemein­sames Verständnis dafür haben, wie mit E-Mail-Verkehr am Wochenende umgegangen wird.

Machen Sie Boundary Management zum Thema

Wo setzen Sie Ihre Grenzen? Wie korrespondieren Ihre Boundary-Bedürfnisse mit jenen Ihrer Stakeholder? Anhand welcher Boundary-Taktiken können Sie bei unterschiedlicher Bedürfnislage Grenzkongruenz schaffen? Handlungsempfehlungen für die Einführung von Boundary Management in der betrieblichen Gesundheitsförderung:

  • Lernen Sie sich selber kennen: Wie wichtig ist mir die Abgrenzung von Beruf und Privatleben? Konkret: Wo ist es mir besonders wichtig, klar abgrenzen zu können? Dann: Was kann ich tun, damit diese Grenzen respektiert werden? Entwickeln Sie dementsprechend passende Boun­dary-Taktiken (z.B. Telefonzeiten resp. Erreichbar­keiten in der E-Mail-Signatur festhalten)
  • Boundary Management im Team thematisieren: Finden Sie heraus, was die Boundary-Management-Präferenzen Ihrer Mitarbeitenden und/oder Teamangehörigen sind. Wo gehen die Bedürfnisse auseinander und/oder besteht Klärungsbedarf? Ein Boundary-Typ-Schnelltest wird von der Hochschule Luzern kostenfrei als Diskussionsgrund­lage zur Verfügung gestellt: https://www.hslu.ch/de-ch/hochschule-luzern/ueber-uns/medien/magazin/archiv/2018/10/10/gesunde-grenzen-setzen/ (Druckversion) oder https://rcc.hslu.ch/?id=168 (Onlineversion).
  • Unterstützung suchen: Boundary Management ist lernbar. Ein persönliches Coaching oder ein Team-Workshop helfen durch Wissensvermittlung und Anleitung zum indi­vi­duellen Boundary Management Grenzkongruenz und somit eine positiv erlebte Work-Life-Balance zu schaffen.

Autorin:
Leila Gisin ist Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR der Hochschule Luzern – Wirtschaft. www.hslu.ch

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