Rückkehrgespräche: Absenzen effektiv reduzieren
Krankheits- oder unfallbedingte Absenzen sind ein organisatorischer und finanzieller Aufwand für Unternehmen. Wer sich jedoch dafür interessiert, warum jemand krank war, reduziert nicht nur die Absenzen, sondern handelt auch präventiv.
Hans ist zum dritten Mal krank innerhalb von zwei Monaten. Wie üblich schreibt er seinem Arbeitskollegen eine SMS mit der Bitte, ihn beim Vorgesetzten krank zu melden. Wenn er nach drei Tagen wieder zur Arbeit erscheint, begrüsst ihn der Chef kurz und jeder geht seinen Pflichten nach. Ähnlich wie in diesem fiktiven Beispiel spielen sich in vielen Firmen Absenzen ab, wie Daniel Angst weiss. Er ist Abteilungsleiter Präventionsmanagement bei der Kranken- und Unfallversicherung Swica und unterstützt Firmen dabei, ein Absenzenmanagement aufzubauen und zu implementieren. Als Erstes sei es wichtig, dass sich jeder persönlich beim Vorgesetzten krank melde. «Das erhöht die Verbindlichkeit», weiss Angst. «Auch wenn es als Detail erscheint, es wirkt sich auf die Abmeldungen aus.» Jede Absenz zieht neben den direkten Kosten wie Lohnausfall auch indirekte Kosten nach sich, etwa die Suche und Einarbeitung temporärer Mitarbeitender. «Diese indirekten Kosten können zweibis dreimal höher sein als die direkten», sagt Angst. Ein erfolgreiches Absenzmanagement könne die Kosten bis zu 20 Prozent reduzieren.
Rückkehrgespräche als Basis
Zum Absenzmanagement gehören laut Angst einerseits die Zahlen und Auswertungen von Absenzerfassungssystemen oder auch bestimmten Tools wie etwa das S-Tool. «Das Online-Befragungsinstrument wurde vom Swica-Partner Gesundheitsförderung Schweiz entwickelt und erfasst Stressoren, Ressourcen und Befinden von Mitarbeitenden wie auch auf Team- und Abteilungsebene», erläutert Angst. «Solche Instrumente machen Problembereiche sichtbar.»
Andererseits sei das Rückkehrgespräch, auch Absenz- oder Fehlzeitengespräch genannt, fundamental. «Ein Vorgesetzter sollte bereits nach einem Fehltag das Gespräch mit dem Mitarbeitenden suchen, ihn angemessen begrüssen und fragen, wie es ihm geht», sagt Angst. Dabei gehe es nicht um Kontrolle, sondern um Wertschätzung, dem Mitarbeitenden zu zeigen, dass seine Abwesenheit bemerkt wurde. Bei wiederholten oder längeren Absenzen, beispielsweise nach der dritten Absenz oder nach zehn Fehltagen am Stück, sollte ein standardisiertes Formular, ein Gesprächsleitfaden, beigezogen werden. «Bei diesen Gesprächen wird unter anderem festgelegt, was der Mitarbeitende, der Vorgesetzte oder auch der Betrieb tun kann, um die Absenzen zu reduzieren», sagt Angst. Als Beispiel erzählt Angst von einer Produktionsfirma, bei der die Mitarbeitenden oft wegen der Zugluft erkrankten. Da aber keine Gespräche stattfanden, wussten dies die Vorgesetzten nicht. «In Rückkehrgesprächen sollen sich mögliche Gründe für die Absenz herauskristallisieren, damit entsprechend gehandelt werden kann», erläutert Angst. Beim genannten Beispiel etwa wurden Schutzwände installiert. Weiter bilden die Rückkehrgespräche die Basis für gesundheitsfördernde Massnahmen. «Wenn sich herausstellt, dass viele Mitarbeitende an Rückenbeschwerden oder an Stoffwechselerkrankungen leiden, sollte die Unternehmensleitung reagieren und Massnahmen definieren», sagt Angst. Das könne eine verbesserte Ergonomie sein oder Angebote im Sport- oder Ernährungsbereich.
Angst weist darauf hin, dass in Rückkehrgesprächen nicht nach der medizinischen Diagnose gefragt werden dürfe – das sei gesetzlich verboten. Allerdings habe der Mitarbeitende eine gewisse Kooperationspflicht. «Zur Lösungsfindung wäre es sinnvoll, wenn der Chef mehr oder weniger weiss, was los ist.» Je nach Konstellation – etwa bei zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten – sei es empfehlenswert, zum Gespräch eine neutrale Person hinzuzuziehen, beispielsweise einen HR-Berater. «Rückkehrgespräche bilden die Basis für jedes Absenzmanagement», sagt Angst. «Dank ihnen können Absenzen effektiv reduziert werden, und zudem haben sie eine präventive Wirkung.»
Früherkennung dank Warnzeichen
«Rückkehrgespräche tangieren oft die Privatsphäre der Mitarbeitenden. Aber viele Führungskräfte haben Hemmungen, Privates anzusprechen», weiss Angst. Deshalb seien Schulungen enorm wichtig. «Wir zeigen den Führungsverantwortlichen, wie sie die Gespräche beginnen und durchführen sollen. Sie erhalten eine Checkliste, nach der sie vorgehen können, und lernen in Rollenspielen die unterschiedlichen Positionen kennen.»
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Schulungen betrifft die Warnzeichen. Sie helfen, mögliche Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Krisenmerkmale können sein: verändertes Verhalten, Leistungsabfall, äusserliche Veränderungen, negative Äusserungen zur eigenen Gesundheit. «Bei solchen Auffälligkeiten lohnt es sich für den Vorgesetzten, genau hinzuschauen und das Gespräch zu suchen», sagt Angst. «Nur so wird es möglich, präventiv einzuschreiten.» Gerade bei psychischen Erkrankungen helfe die Früherkennung, schnell zu reagieren und allenfalls Langzeiterkrankungen oder eine Arbeitsunfähigkeit zu verhindern. «Führungskräfte sollen aber keine Diagnosen stellen, sondern an Fachkräfte und geeignete Fachstellen verweisen», stellt Angst klar. In grösseren Firmen könnten dies Sozialdienste sein oder auch Anlaufstellen auf kantonaler oder Gemeindeebene.
Bis neue Prozesse wie das Rückkehrgespräch und Veränderungen richtig greifen, brauche es oft Jahre, weiss Angst. «Es wäre daher sinnvoll, Schulungen zu wiederholen. Einerseits lernen dann auch die neuen Führungskräfte, was Absenzmanagement bedeutet, andererseits brauchen solche Konzepte eine gewisse Regelmässigkeit, sonst versanden sie.»
Interview
«Führungskräfte sind viel wachsamer geworden»
SwissPrimePack AG ist im Bereich Kunststoff-Lebensmittelverpackung tätig und beschäftigt 170 Mitarbeitende im Drei-Schicht-Betrieb. Das Unternehmen hatte eine Absenzquote von 5,5 Prozent. Die Firmenleitung hat deshalb beschlossen, ein Absenzmanagement einzuführen und ihre Führungskräfte in Rückkehrgesprächen zu schulen. Unterstützt wurden sie dabei von ihrer Krankentaggeldversicherung Swica. Marco Schaffner, Leiter Personal bei SwissPrimePack, ist Verantwortlicher für das Projekt und weiss, wie erfolgreich es ist.
Warum haben Sie Rückkehrgespräche eingeführt?
Marco Schaffner: Einerseits wollten wir den Mitarbeitenden zeigen, dass es uns interessiert, wie es ihnen geht und wie wir sie unterstützen können. Andererseits wollten wir den Führungskräften ein Instrument geben, mit dem sie ihrer Verantwortung für ihr Team nachkommen können. Die Gesprächsschulung ist gleichzeitig eine Entwicklung der Führungskräfte.
Wie haben die Führungskräfte auf das Projekt Rückkehrgespräche reagiert?
Zuerst verhalten. Sie dachten, es sei so eine «gspürschmi-Sache». Als wir ihnen aber zahlenbasiert belegen konnten, dass bei uns permanent 10 Mitarbeitende krank sind, hat ihnen das die Augen geöffnet.
Wie lief die Schulung ab?
Die Schulung bestand aus Vorträgen und Informationsübermittlung während eines Vormittags. Für die Rollenspiele reichte die Zeit leider nicht mehr. Ich denke, die werden wir nachholen. Wenn ich die Schulung noch einmal planen müsste, würde ich einen ganzen Tag investieren.
Wie war das Feedback auf die Schulung?
Sehr gut. Unseren Führungskräften wurde aufgezeigt, was alles Gründe für Absenzen sein können und wie man diese frühzeitig erkennt. Bei einigen hat das zu «Aha-Erlebnissen» geführt.
Welche Auswirkungen hat die Schulung auf den Arbeitsalltag?
Die Führungskräfte sind viel wachsamer geworden und interessierter, was in ihrem Team passiert. Wenn ein Mitarbeitender völlig übermüdet zur Arbeit kommt, nehmen sie das wahr und fragen nach – früher wurde das gar nicht so beachtet. Ihr Interesse ist grösser, auch was das soziale Umfeld oder die Lebensweisen ihrer Mitarbeitender betrifft.
Haben die Vorgesetzten keine Hemmungen, in den Gesprächen Privates anzusprechen?
Das ist immer wieder ein Thema. Aber wir haben einen Gesprächsleitfaden erarbeitet mit dem sie sich vorbereiten können. Sie können den Leitfaden auch direkt ins Gespräch mitnehmen und anhand von ihm die zu klärenden Punkte abfragen. Ausserdem ist es Aufgabe einer Führungskraft, Vertrauen schaffen zu können. Je grösser dieses ist, desto freier werden Mitarbeitende erzählen.
Wo ist die Grenze zwischen nachfragen und ausfragen?
Es geht nicht um Neugierde. Alles was die Arbeit tangiert, kann von Interesse sein. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter immer übermüdet zur Frühschicht erscheint und daher anfällig ist für Krankheiten ist es hilfreich zu wissen, dass er zwei kleine Kinder hat und seine Frau Nachtschicht arbeitet. Wenn man solche Umstände in den Gesprächen erfährt, ist es möglich, geeignete Massnahmen zu ergreifen, etwa ein anderes Zeitmodell in der Schicht einführen.
Muss nach jeder Absenz ein Gespräch geführt werden?
Ja, auch wenn es nur ein Tag war. Aber erst nach dem dritten Tag muss konkret, also mit Gesprächsleitfaden, nachgefragt und eventuell Massnahmen vereinbart werden. Diese Gespräche werden schriftlich festgehalten und kommen zu mir in die HR-Abteilung.
Wie haben die Mitarbeitenden auf die Rückkehrgespräche reagiert?
Wir haben sie zwar über die Erneuerung informiert, ihnen gesagt, dass es alle betrifft und niemand Angst haben muss – etwa vor einer Kündigung. Aber als die ersten Gespräche stattfanden, waren sie doch wie vor den Kopf gestossen. Viele wunderten sich, warum sie über ihre Absenz sprechen sollten. Sie sehen den Sinn der Gespräche noch nicht.
Welche Schwierigkeiten gibt es in der Praxis mit den Rückkehrgesprächen?
Wir müssen daran arbeiten, dass die Gespräche wirklich geführt und in der Hektik des Alltags nicht vergessen werden.
Wie machen Sie das?
Ich sehe, wer in welcher Abteilung wie oft krank ist. Es ist meine Aufgabe, bei den Vorgesetzten nachzufragen, ob sie das Gespräch durchgeführt haben und ob Massnahmen definiert wurden. Bisher funktionieren diese Rückkehrgespräche noch nicht automatisch, man muss sie vorantreiben, damit sie nicht versanden.
Würden Sie die Einführung von Rückkehrgesprächen anderen KMU empfehlen?
Für den Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements wie auch für die Aus-und Weiterbildung der Führungskräfte halte ich es für sehr sinnvoll. Auch die Schulung von Swica war sehr gut vorbereitet, mit vielen anschaulichen Beispielen.
(Interview: Marianne Rupp. Marianne Rupp ist freie Journalistin)