Die Schweiz als Hotspot der Fischartenvielfalt
Im Forschungsvorhaben «Projet Lac» wurden 35 Seen im Alpenraum erstmals systematisch auf ihre Fischbestände untersucht: Allein in der Schweiz wurden 106 Fischarten nachgewiesen. Mit fast 20 Prozent aller in Europa bekannten Fischarten gehört die Schweiz damit zu den Hotspots für die Fischartenvielfalt. Die Resultate sind nun Grundlage für Massnahmen zu einer nachhaltigen Fischerei und zum Schutz dieser noch erhaltenen Vielfalt.
«Antreten zur Inventur», hiess es zwischen 2010 und 2020 für die Fische in vielen Seen am Alpenrand. Im Rahmen des «Projet Lac» hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Wasserforschungsinstitut Eawag und der Universität Bern erstmals umfassende und standardisierte Aufnahmen von Fischbeständen in 35 grossen Alpenrandseen gemacht. Durchgeführt wurden die Arbeiten zusammen mit dem Naturhistorischen Museum Bern, kantonalen Fachstellen sowie zahlreichen weiteren Partnern und mit der Unterstützung vom Bundesamt für Umwelt (Bafu). Eine riesige Fülle von Daten zu den Arten, ihrer Verbreitung und ihrer Verteilung innerhalb der Seen wurde ausgewertet. Mit der Publikation des Syntheseberichts ist das Projekt nun abgeschlossen.
Neu und wieder entdeckte Vielfalt
Von total nun etwa 550 in Europa bekannten Fischarten wurden im «Projet Lac» 106 nachgewiesen. Obwohl die Schweiz nur 0,4% von Europas Landfläche ausmacht, beherbergt sie also fast 20% der Arten. Sie gehört damit europaweit zu den Regionen mit der höchsten Vielfalt an Fischarten im Süsswasser. 15 mehrheitlich nur hier vorkommende (endemische) Fischarten wurden erstmals nachgewiesen und dokumentiert. Ausserdem wurden fünf Arten gefangen, deren Vorkommen in der Schweiz bislang nicht bekannt war. Zwei Arten wurden nördlich der Alpen nachgewiesen, von denen man bisher glaubte, sie kämen nur südlich der Alpen vor. Und vier Fischarten wurden wiederentdeckt, die als ausgestorben galten, zum Beispiel ein in grossen Tiefen des Urnersees lebender Saibling.
Vom flachen Ufer bis in die grössten Tiefen
Die meisten der ausschliesslich im jeweiligen See vorkommenden (endemischen) Fischarten wurden im offenen Wasser und in sehr tiefen Lebensräumen der nährstoffarmen Seen nachgewiesen, etwa die einzigartigen Felchenarten im Brienzer- und Thunersee oder eine spezielle Groppe, die im Urnersee offensichtlich noch in über 200 m Tiefe lebt. In vielen nährstoffreichen Seen wurden hingegen ab 30 m Tiefe praktisch keine Fische mehr gefangen – im Sommer fehlt dort der Sauerstoff. Die absolut gesehen grösste Artenzahl fanden die Forschenden in flacheren Uferbereichen und in der Nähe von Flussmündungen, wobei es sich dabei meistens um weit verbreitete Arten handelt. Für den Fischevolutionsforscher Ole Seehausen, der das Projekt geleitet hat, zeigt dies, wie enorm wichtig für die Fischdiversität nebst einer hohen Wasserqualität vielfältige, naturnahe Lebensräume sind – von den Seeufern bis in die grössten Tiefen.
Zwei Groppen (Cottus gobio) aus dem Thunersee. Die eine (links) lebt ufernah, im flachen Wasser; die andere (rechts) wurde im Projet Lac noch in über 200 m Tiefe gefunden. © zVg
Felchen und Egli dominant
Während in den grossen Alpenseen wie Vierwaldstätter-, Brienzer- oder Thunersee bezogen auf die Zahl der Fische und ihre Biomasse die verschiedenen Felchenarten dominieren, sind es bei höheren Gehalten des Nährstoffs Phosphor eher die Eglis, zusammen mit Rotaugen, Alet und Rot-/Schwarzfedern. Eine Ausnahme ist der Lago Maggiore, wo im offenen Wasser die Agone, ein Süsswasserhering, dominiert und die Alpenseen von Sils und Poschiavo, wo standortfremde Seesaiblinge sowie einheimische und eingeführte, ebenfalls standortfremde Forellen vorherrschen.
Hinweise für Fischerei und Schutzmassnahmen
Der nun vorliegende Synthesebericht zum Projekt gibt einen Überblick über den Zustand der Fischartenvielfalt und Fischbestände aller grösseren Seen des westlichen Alpenraums. Er trägt die Ergebnisse aus einzelnen Seen zusammen, und da sie überall mit der gleichen Methodik erhoben wurden, ist die Arbeit eine Basis für Vergleiche zwischen den Seen und zur Analyse von grösseren Zusammenhängen. «Vor allem können nun Empfehlungen abgeleitet werden zur Bewahrung der noch erhaltenen Fischartenvielfalt in den Seen und für eine nachhaltige Seenfischerei», sagt Projektleiter Ole Seehausen. Wichtig für ein kontinuierliches Monitoring und spätere Vergleiche ist zudem die am Naturhistorischen Museum Bern aufgebaute wissenschaftliche Referenzsammlung aller Fischarten aus allen Seen. Sie ist auch für die Öffentlichkeit in der neuen Daueraustellung “Wunderkammer” zugänglich.
Der Beitrag Die Schweiz als Hotspot der Fischartenvielfalt erschien zuerst auf Umwelt Perspektiven.