Homeoffice & Co. wird von der Ausnahme zur Regel
Bereits zum dritten Mal nach 2014 und 2016 hat die Work Smart Initiative den Stand des mobilen, flexiblen Arbeitens in der Schweiz untersucht. Die jüngsten Ergebnisse zeigen einen signifikanten Kulturwandel, auch aufgrund der Corona-Pandemie. Doch es gibt nach wie vor grosse Unterschiede – bis hin zu einem kleinen Teil der Arbeitgeber, der sich mobil-flexiblen Arbeitsformen wie Homeoffice & Co. komplett verweigert.
Eine repräsentative Studie hat den Stand des mobilen, flexiblen Arbeitens untersucht. Dazu wurden 2000 Personen in der Deutsch- und Westschweiz Mitte August befragt. Zu einem Zeitpunkt also, in dem die täglichen Infektionszahlen tief waren und nicht mehr vor einer Rückkehr ins Büro abgeraten wurde. «Die Umfrage wurde also unter dem Eindruck der Pandemie durchgeführt und doch lässt der Zeitpunkt gewisse Rückschlüsse zu, wie sich die Situation nach dieser Lage entwickeln könnte», erklärt Studienleiter Dr. Johann Weichbrodt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Ein kleiner Teil der Unternehmen verweigert sich Homeoffice & Co.
Noch 2016 gaben 38 Prozent an, mindestens hin und wieder mobil-flexibel zu arbeiten. Für Februar 2020 gaben 41 Prozent der Studienteilnehmenden an, das mobil-flexible Arbeiten regelmässig genutzt zu haben – also etwa partiell im Homeoffice oder an einem anderen Ort ausserhalb der Firmenräumlichkeiten gearbeitet zu haben. Während dem Lockdown ab Ende März stieg dieser Anteil auf 58 Prozent und sank danach wieder – allerdings nur auf 48 Prozent. Johann Weichbrodt beurteilt dies als hohe Werte, die sich zu einem guten Teil durch ein grösseres Potenzial erklären lassen. So ist der Anteil der Erwerbstätigen, die angeben, vom Job her nicht mobil-flexibel arbeiten zu können, deutlich gesunken: von 45 auf 37 Prozent. «Dies hat einerseits mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel zu tun, spiegelt aber vermutlich auch eine veränderte Wahrnehmung wider.»
Nicht verändert hat sich aber der Wert derjenigen, die dies zwar aufgrund des Berufsbildes nutzen könnten – aber nicht nutzen dürfen: Nach wie vor wird 7 Prozent der Arbeitnehmenden das mobil-flexible Arbeiten verwehrt. Erstaunlich: Auch während des Lockdowns im März/April sank dieser Wert nicht unter 3 Prozent.
KMU holen bei flexiblen Arbeitsformen auf
Die Studie beleuchtet ebenfalls die Unterschiede zwischen den Arbeitgeberstrukturen. Betrachtet wurden diejenigen, die aufgrund der Berufsbilder ein flexibles Arbeiten ermöglichen könnten. Und dabei zeigen sich frappante Unterschiede, insbesondere zwischen Arbeitgebern aus dem öffentlichen und privaten Sektor, respektive abhängig von der Grösse der Organisation. Um dies zu illustrieren, arbeitet die Studie mit einem Phasenmodell, das die Entwicklung vom völlig ortsgebundenen Arbeiten (Phase 1) zu einem zeitlich und örtlich völlig flexiblen Arbeiten (Phase 5) zeigt. So ist etwa bei Phase 2 das flexible Arbeiten nur die Ausnahme, bei Phase 4 aber schon fast die Regel.
Die 100 grössten Unternehmen befinden sich 2020 in vielen Belangen – Arbeitsmodell, Büroarchitektur, Organisationsstruktur – im Durchschnitt durchgängig in Phase 3, bei der Technologie sogar in Phase 4. In allen Belangen sind gegenüber 2016 deutliche Veränderungen sichtbar. Kleiner geworden ist auch der Unterschied zwischen grösseren Unternehmen und KMU: Letztere habe deutlich aufgeholt und ihren Rückstand zu den Grossen gegenüber 2016 deutlich verringert.
Die öffentliche Verwaltung tut sich schwer
Die öffentliche Verwaltung befindet sich im Durchschnitt hingegen durchgängig in Phase 2, was eine ebenfalls deutliche Entwicklung gegenüber 2016 darstellt. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Verwaltungen nach wie vor gross: So verharrt ein gewisser Anteil der Verwaltungen immer noch in Phase 1 – also dem ausnahmslos völlig ortsgebundenen Arbeiten. «Hier dürfte die Pandemie Diskussionen anstossen», erklärt Johann Weichbrodt. «Während des Frühlings-Lockdowns mussten sich auch diese Verwaltungseinheiten fügen und haben oftmals positive Erfahrungen gemacht. Über Nacht wurde der Tatbeweis erbracht, dass es eben doch geht – insbesondere technologisch.»
Überwachung im Homeoffice: keine Systematik
Erstmals beschäftigte sich die Studie auch mit der Frage nach Überwachung im Homeoffice. Dabei gaben 13 Prozent an, sie würden überwacht. Bei der Art der Überwachung gaben 9 Prozent der Erwerbstätigen an, sich über die Statusanzeige bei Programmen wie «Skype» oder Teams» überwacht zu fühlen. «Das sind weniger, als die öffentlichen Diskussionen vermuten lassen», beurteilt Weichbrodt die Zahlen. «Überwachung der Arbeit im Homeoffice scheint nicht das Problem zu sein. Die allermeisten Beschäftigten können eigenverantwortlich ihre Arbeit von zuhause aus erledigen.» Lediglich 4 Prozent gaben an, dass bei ihrem Arbeitgeber eine spezielle Software zur Überwachung eingesetzt wird.
Massiv mehr Frauen arbeiten mobil-flexibel
Einer der deutlichsten Anstiege über die ganze Studie gesehen ist bei den geschlechterspezifischen Unterschieden zu verzeichnen: 2014 und 2016 arbeiteten deutlich mehr Männer (2014: 40 %, 2016: 47 %) als Frauen (2014: 27 %, 2016: 28 %) mobil-flexibel. 2020 holten die Frauen massiv auf: Bei ihnen stieg der Anteil auf 43 Prozent, bei den Männern auf 52 Prozent.
Die grössten Hindernisse und Probleme
Diejenigen, die häufig mobil-flexibel arbeiten, empfinden die fehlende Identifikation mit dem Team (60 %) und die emotionale Isolation (53 %) als grösstes Problem, gefolgt vom Gefühl ständig zu arbeiten (41 %) und der Work-Life-Balance (36 %). Eher als weniger problematisch eingestuft werden gesundheitliche Aspekte oder das Potenzial für missbräuchliches Ausnutzen der geringeren Kontrollmöglichkeiten durch Vorgesetzte. Bei den Hindernissen wird mit deutlichem Abstand das Argument vorgebracht, die Tätigkeit erfordere Nähe zum Team (44 %), gefolgt von der fehlenden Unterstützung durch die Unternehmenskultur (29 %) gleichauf mit den fehlenden Möglichkeiten, sensible Daten unterwegs oder im Homeoffice zu bearbeiten. Als kleinstes Hindernis eingeschätzt wird die fehlende Technologie (15 %).
Homeoffice & Co. wird zur Normalität – reine Präsenz zur Ausnahme
Seit fünf Jahren begleitet die Work Smart Initiative die Akzeptanz, Einführung und Etablierung von mobil-flexiblem Arbeiten. Die Auswertung in diesem Jahr markiert einen Wendepunkt, da erstmals eine grosse Mehrheit derjenigen, bei denen das Berufsbild Homeoffice & Co. erlaubt., dies auch nutzen können. Trotzdem sieht Johann Weichbrodt noch viel Entwicklungspotenzial: «Am Anfang stand das Bekenntnis, mitunter auch die Symbolik, nun aber wird mobil-flexibles Arbeiten zum Alltag, zur Normalität. Das hat nicht nur Folgen für diejenigen, die sich dem weiterhin verweigern – es fordert auch diejenigen, die es bereits anwenden. Denn es gilt die Strukturen und Führungsmodelle darauf abzustimmen und die von den Nutzern als negativ empfundenen Aspekte anzugehen.» Die Pandemie wird beides beschleunigen, das zeigt sich ganz eindeutig: 49 Prozent der Befragten gaben an, Corona habe bei ihrem Arbeitgeber zu einem Kulturwandel geführt. Doch 39 Prozent geben demgegenüber an, dass in ihrem Unternehmen die skeptische Haltung bestehen bleibt und man möglichst wieder zurück zum Alten will. Johann Weichbrodt: «Im Sommer zeigte sich, dass ein Abflachen der Infektionszahlen schon zu einer verstärkten Rückkehr ins Büro führt. Aber die Uhr wird sich kaum auf den Stand von Februar zurückdrehen lassen.»
Quelle: work-smart-initiative.ch