Leadership oder Leader-Shit?

Gefühlt alle drei, vier Monate wird in den Medien ein neues Leadership-Konzept propagiert, das vorgibt, Führung zu revolutionieren. Auch dies trägt zur aktuellen Verunsicherung vieler Führungskräfte bei. Ein Meinungs-Artikel.

Neue Führungskonzepte, wohin man schaut: Die Unterscheidung zwischen Leadership oder Leader-Shit fällt da zuweilen schwer…. (Bild: Depositphotos.com)

Seit etwa 30 Jahren arbeite ich unter anderem als PR-Berater für Berater. Entsprechend viele Artikel über Leadership-Konzepte habe ich bereits geschrieben, da gefühlt jeder zweite Berater (auch) auf das Thema Leadership bzw. Führung spezialisiert ist.

Leadership-Konzepte gibt es wie Sand am Meer

Einige der zahllosen Labels, unter denen ich im Berater-Auftrag Artikel zum Thema Leadership schrieb und in Print- und Online-Medien platzierte, seien hier – in alphabetischer Reihenfolge – genannt:

  • Agile Leadership
  • Change Leadership
  • Conscious Leadership
  • Digital Leadership
  • Empowerment Leadership
  • Future Leadership
  • Inclusive Leadership
  • Influencer Leadership
  • Lean Leadership
  • New Leadership
  • Next Generation Leadership
  • Next level Leadership
  • Mindful Leadership
  • Modern Leadership
  • Positive Leadership
  • Professional Leadership
  • Remote Leadership
  • Situational Leadership
  • Transformational Leadership
  • Virtual Leadership.

Alle Leadership-Konzepte haben – mehr oder weniger – recht

Und soll ich Ihnen etwas verraten: Letztlich hatten alle vorgenannten Leadership-Konzepte recht. Denn sieht man von der Fokussetzung in einigen von ihnen auf gewisse Personengruppen wie Frauen oder Angehörige der Generationen y und z, auf veränderte Rahmenbedingungen wie das verstärkte Arbeiten in hybriden oder virtuellen Teams sowie auf reale Needs bzw. solche, die Berater in Unternehmen erkannt haben, wie Agilität, Change und Transformation ab, dann sind die Kernaussagen aller genannten Leadership-Konzepte seit 30, 40 Jahren nahezu gleich. Sie lauten:

  • „Führung muss sich ändern.“
  • „Der Mindset der Führungskräfte muss sich ändern.“ Und:
  • „Die Führungskräfte müssen sich zu Beziehungsmanagern entwickeln, die ihre Mitarbeiter empowern.“

Bitte die Führungskräfte und ihre Leistung wertschätzen!

Das mag ja sein. Nur frage ich mich zuweilen: Was geht in einer Führungskraft vor, die gefühlt alle drei, vier Monate mit einem neuen Leadership-Konzept konfrontiert wird, das vorgibt, Führung zu „revolutionieren“, und die seit Jahren gefühlt in jedem zweiten Führungsartikel liest „Führung muss sich ändern“, „der Mindset der Führungskräfte muss sich ändern“ usw. gerade so, als habe sich im Führungsbereich in den Unternehmen in den letzten Jahrzehnten nichts geändert, obwohl heute dort ganz andere Personen als vor 30, 40 Jahren die Führungspositionen innehaben.

Ich vermute, ich würde als Führungskraft auf Dauer depressiv werden oder irgendwann denken: „Lasst‘ mich doch alle mit eurem ‚Sch…‘ in Ruhe. Ihr habt von Führung doch keine Ahnung; ihr verbratet nur Ideologie.“

Führung ist eine hochkomplexe und vielschichtige Aufgabe

Und ich muss gestehen, die Führungskräfte hätten damit – aus meiner Warte – sogar teilweise recht. Denn befasst man sich mit den Leadership-Konzepten näher, gewinnt man nicht selten den Eindruck: (Mitarbeiter-)Führung ist ein Selbstzweck. Das ist im betrieblichen Kontext jedoch nie der Fall. In ihm hat Führung stets eine dienende Funktion: Sie dient dazu, sicherzustellen, dass der der Führungskraft anvertraute Bereich seine Funktion in der Organisation erfüllt. Wer dies anders sieht, verbreitet Ideologie!

Zudem gewinnt man bei der Lektüre mancher Leadership-Konzepte den Eindruck, als sei es die einzige Aufgabe der Führungskräfte, ihre Mitarbeiter zu führen bzw. deren „Leader“ zu sein. Das stimmt nicht! Jede Führungskraft ist zugleich Bereichs-, Abteilungs- oder Teamleiter, der dafür sorgen muss, dass der ihr anvertraute Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet und seine (meist vorgegebenen) Ziele erreicht. Dies ist und bleibt ihre Kernaufgabe.

Zudem ist und bleibt jede Führungskraft der disziplinarische Vorgesetzte ihrer Mitarbeiter, der mit über deren berufliches Wohl und Fortkommen entscheidet. Daran ändert auch die „Duz“-Kultur in vielen Unternehmen nichts. Aufgrund dieser Funktion müssen Führungskräfte aus Sicht ihrer Mitarbeiter auch harte Entscheidungen treffen bzw. solche mittragen und umsetzen, die ihre eigenen Vorgesetzten trafen – was aktuell, also in einer Zeit, in der viele Unternehmen sparen und Personal abbauen möchten (oder müssen) gehäuft der Fall ist.

Die Führungskräfte empowern, damit sie ihre Zuversicht bewahren

Wer die vorgenannten Funktionen der Führungskräfte – wie Bereichsleiter sein, disziplinarischer Vorgesetzter sein usw. – negiert, negiert aus meiner Warte zugleich die Komplexität und Vielschichtigkeit der Führungsrolle, die deren effektive Wahrnehmung ja gerade so diffizil bzw. herausfordernd macht. Folglich kann er letztlich auch keinen Beitrag dazu leisten, dass bei weniger Führungskräften das „Gefordert-sein“ in ein „Überfordert-sein“ umschlägt, und diese zunehmend resignieren (oder sogar ausbrennen).

Ein solches „Empowerment“ wäre aus meiner Warte aktuell jedoch dringend nötig. Denn wenn Führungskräfte, weil sie überfordert sind, zunehmend die Hoffnung verlieren und resignieren, dann strahlen sie im Mitarbeiterkontakt auch nicht mehr die Zuversicht aus „Wir schaffen die vor uns liegenden Herausforderungen, wenn…“.

Diese müssen sie jedoch gerade in schwierigen Zeiten bzw. Zeiten rascher Veränderung ausstrahlen, damit ihre Mitarbeiter trotz aller Widrigkeiten einen positiven Zukunftsblick bewahren und wenn nicht den Glauben, so doch zumindest die Hoffnung haben „Wir schaffen es, wenn…“.

Führungskräfte brauchen einen positiven Zukunftsblick, um wirksam zu sein

Deshalb kann ich zum Beispiel dem Positive-Leadership-Konzept, wie es unter anderem die Positivity Guides, Berlin/Braunschweig in ihrem Buch „Positiv führt! Mit Positive Leadership Teams und Organisationen empowern“ vertreten, durchaus etwas abgewinnen, denn: Dieses Konzept legt den Fokus stark auf das Fördern und Bewahren der Hoffnung – auch in schlechten Zeiten, in denen viele Mitarbeitende zunehmend ihre Zuversicht verlieren, weil sie, ob der vielen Krisen usw., kein Licht am Ende des Tunnels mehr sehen.

Ähnliches gilt für das Influencer-Leadership-Konzept der IFIDZ-Gründerin und -Leiterin Barbara Liebermeister, Wiesbaden, denn dieses betont unter anderem die Bedeutung der Führungskräfte als Beeinflusser des Mindsets der Personen in ihrem Umfeld, was zunehmend eine Kernaufgabe von Führung wird.

 

Zum Autor:
Bernhard Kuntz ist Inhaber der PR- und Marketing-Agentur Die PRofilBerater, Darmstadt (www.die-profilberater.de). Er ist unter anderem Autor des Bildungs- und Beratungsmarketing-Klassikers „Die Katze im Sack verkaufen: Wie Sie Bildung und Beratung mit System vermarkten“ – offline und online“. Immer wieder macht er sich auch kritische Gedanken über verschiedene Themen seiner Beratungsmandate, auch im Marketing.

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