«Guten Digitalisierungsgrad erreicht»
Während der Corona-Pandemie bekleckerte sich unser Gesundheitswesen bei der Digitalisierung nicht unbedingt mit Ruhm: Im BAG mussten per Fax übermittelte Fallzahlen manuell erfasst werden. Dieser Eindruck darf aber nicht täuschen: Gerade in Spitälern geht es mit der Digitalisierung rasant vorwärts – auch dank zeitgemässer Plattform-Technologie.

Das Thema «Digitalisierung des Gesundheitswesens» ist eine unendliche Geschichte. Mit der Einführung des Elektronischen Patientendossiers (EPD) hapert es in der Schweiz immer noch, während in grossen Krankenhäusern ein grosses IT-Projekt das nächste jagt. Mittendrin in diesen Veränderungsprozessen ist Elke Albrecht, CIO der Solothurner Spitäler. Seit elf Jahren leitet die studierte Medizininformatikerin die dortige IT – notabene als immer noch einzige weibliche CIO an einem Kantonsspital schweizweit.
Frau Albrecht, die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist ein viel diskutiertes Thema. Wenn wir nun die Solothurner Spitäler anschauen: Was sind dort die derzeit grössten Digitalisierungs-Projekte?
Elke Albrecht: Das grösste Projekt betrifft unsere Administrationssysteme. Da sind wir dabei, die SAP-Umgebung abzulösen. Diese wurde 2015 eingeführt und war damals mein erstes grosses Projekt. Jetzt hat das System das Ende des Lebenszyklus erreicht und wird durch die Next Generation Plattform SAP S/4Hana ersetzt. Das Projekt läuft nun seit einem Jahr, und am ersten November-Wochenende gingen wir damit live.
Gerade die Migration auf SAP S/4HANA scheint sehr komplex zu sein. Viele Anwender zögern sie deshalb lange hinaus und fühlen sich auch durch SAP nicht immer gut unterstützt. Wie erleben Sie das? Geht an den Solothurner Spitälern diese Migration recht locker über die Bühne?
Natürlich gibt es sehr viele Herausforderungen, denn das Projekt hat eine hohe Komplexität. Denn wir haben sehr viele interne und externe Stakeholder. Viele externe Partner sind beteiligt, die uns unterstützen. Auch die Belastung für die beteiligten Mitarbeitenden ist hoch, sowohl in der IT als auch in den verschiedenen Fachbereichen. Das führt mitunter zu Doppelbelastungen, denn das Tagesgeschäft muss ja weiterlaufen. Hinzu kommt, dass wir nicht nur dieses eine SAP-Projekt haben, sondern auch andere mehr.
Dann gibt es auch im klinischen Sektor ähnliche Projekte?
Ja, denn die Digitalisierung muss auch dort weitergehen. Wir haben auf Basis unserer Digitalisierungsstrategie definiert, dass wir die digitale Transformation des Patientenpfads vorantreiben wollen. In diesem Zusammenhang läuft eine Reihe grösserer und kleinerer Projekte. Auch haben wir das Klinikinformationssystem (KIS) weiter ausgebaut und mit immer mehr Funktionen ausgestattet, um Medienbrüche zu vermeiden. Aktuell wird das KIS an einem unserer Standorte auch im OP-Bereich für die Anästhesie eingeführt, weitere Standorte folgen dann bis Januar 2025. Gerade die Tatsache, dass wir nicht nur einen Standort bedienen müssen – wir haben drei Akuthäuser plus die Psychiatrie, und alle mit Bedarf an Digitalisierungsprojekten – macht es für die IT nicht immer einfach.
Diese Komplexität: Wie führen Sie ein solches Projekt denn und wie organisieren Sie sich?
Die Komplexität zeigte sich auch bei der Einführung des Klinik-Informationssystems. Unser IT-Team ist nicht so gross, dass wir alle Standorte gleichzeitig bedienen können. Wir mussten also den gesamten Rollout von Standort zu Standort koordinieren und auch erklären, warum nicht die gesamte Einführung auf einmal gemacht werden konnte. Das Schöne aber ist, dass sich die Fachbereiche immer sehr interessiert zeigen und mitmachen, um die Digitalisierung gemeinsam mit uns von der IT voranzubringen. Wir haben umgekehrt aber auch schon erlebt, dass eine Klinik an einem Standort nicht so mitzieht oder Bedenken anmeldete. Dann muss man das Projekt dort kurz anhalten und zum nächsten Standort weitergehen. Wenn dann festgestellt wird, dass es funktioniert und wirklich Nutzen bringt, dann lässt sich das neue System nachträglich immer noch einrichten.
Sie haben die Digitalstrategie für die Solothurner Spitäler erwähnt. Worin bestehen deren Kernpunkte und wie weit ist die Umsetzung bisher gediehen?
Die Digitalisierungsstrategie baut klar auf der Unternehmensstrategie auf. Diese hat drei Oberziele: Service-Innovation, etwa über neue medizinische Leistungsangebote und Bereiche, die sich über Digitalisierung erschliessen lassen, dann natürlich die Qualitätsverbesserung und schliesslich die Vernetzung innerhalb und zwischen den Spitälern sowie mit Leistungserbringern wie Pflegeheime und Spitex und Zuweisern wie z.B. Hausärzten. Inzwischen haben wir – so denke ich – entlang des Patientenpfads einen sehr guten Digitalisierungsgrad erreicht. Es wird sehr viel digitalisiert, nicht nur in den Solothurner Spitälern; hinter die Behauptung, dass die Schweiz in vielem hinterherhänge, setze ich also ein paar Fragezeichen.
Als letztes Puzzleteil fehlt aber noch das EPD?
Genau. Ich habe mich zwischen 2015 und 2019 stark für das Elektronische Patientendossier engagiert und immer daran geglaubt und tue dies auch jetzt noch. Aber nach drei oder vier vergeblichen Anläufen für die Umsetzung bin ich nun froh, dass der Bund entschieden hat, das Vorgehen zu zentralisieren. Denn wegen des Kantönligeists wird das EPD sonst nie zum Fliegen kommen.

Ein weiteres Stichwort: Cybersicherheit. Wenn man sich vorstellt, dass auch Operations-Roboter gehackt werden könnten, wäre dies ein Horror-Szenario. Was unternehmen die Solothurner Spitäler in Sachen Cyber Security?
Es geht hier nicht um die Frage, ob mal was passiert, sondern wann und welche Dimension ein Angriff dann hat. Wir stellen täglich Phishing-Attacken fest. Das schwächste Glied in der Kette sind die Mitarbeitenden an den PCs. Hier führen wir immer wieder Schulungen durch und auch Sensibilisierungskampagnen. Ich denke, wir haben hier einen guten Grad an Aufmerksamkeit erreicht. Das stellen wir allein an der Anzahl von Meldungen verdächtiger Mails fest. Wir haben dafür in Outlook einen Button integriert, über den man ein verdächtiges Mail melden kann. Wir analysieren es dann und geben dem Absender Feedback. Daneben haben wir natürlich ein ganzes Portfolio an technischen Lösungen für die Cyberabwehr in Betrieb. Wir arbeiten nach einem anerkannten Best Practice-Modell des NIST (National Institute of Standards and Technology). Überdies haben wir ein hybrides SOC (Security Operations Center) am Laufen, das alle unsere Systeme konstant 24/7 überwacht und Alarm auslöst, wenn eine Anomalie festgestellt wird.
Das Gesundheitswesen steht wegen steigender Kosten unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Der Digitalisierung wird nachgesagt, dass sie sich kostendämpfend auswirken kann, weil Prozesse automatisiert werden. Welche Aussagen lassen sich über erfolgte Kosteneinsparungen machen?
Bei einem Business Case zu berechnen, welchen finanziellen Nutzen er bringt, ist fast nicht möglich. Vorteile, die sich finanziell positiv auswirken mögen, liegen in der Vermeidung von Medienbrüchen, oder es können auch Mehrfachuntersuchungen verhindert werden. In jedem Fall ein Thema ist der Faktor Geschwindigkeit durch höhere Effizienz und Produktivitätssteigerung. Dass man mit gleich vielen oder weniger Mitarbeitenden die gleichen Leistungen erbringen und dadurch einsparen kann, dahinter setze ich Fragezeichen.
Sie sitzen als IT-Chefin an der Schnittstelle zwischen Spitalleitung und den politischen Aufsichtsbehörden. Wie laufen die Diskussionen auf diesen Ebenen? Übernehmen Sie da auch gelegentlich eine moderierende Funktion?
Aus Sicht der IT und der Digitalisierung weniger. Präsent ist natürlich immer noch das Thema EPD. Da stehe ich im Austausch mit den zuständigen Behörden des Kantons Solothurn. Aktuell ein grosses Thema ist aber auch die Qualität. Dazu müssen wir dem Kanton laufend Bericht erstatten. Ein Austausch findet auch mit den Kollegen der kantonalen Informatik statt. Wir sind seit 2006 eine Aktiengesellschaft; der Kanton ist zwar alleiniger Eigentümer, aber wir sind unabhängig.
Dann haben Sie auch die Hoheit darüber, welche Systeme und Lösungen Sie einsetzen?
Genau.
Welche Systeme sind denn neben dem erwähnten SAP sonst noch im Einsatz?
Wir fahren eine Plattform-Strategie. Im Einsatz stehen vier grosse Plattformen: SAP für den Administrativbereich, KISIM im klinischen Bereich, Synedra für unser grosses Universalarchiv und schliesslich ServiceNow für das Enterprise-Servicemanagement. Dort fing es relativ klein an, mit einem Ticketing-System, Incident Management usw. Dann kam Financial Management als Führungsinstrument für die Informatik hinzu und mittlerweile haben wir viele weitere Funktionen auf der ServiceNow-Plattform, etwa auch HR-Workflows. Kürzlich live gegangen sind wir mit dem Spesen-Workflow, und seit Anfang letzten Jahres läuft unser Intranet über ServiceNow. Investitionstools, Projektmanagement, Portfolio-Management sogar im Rettungsdienst, in der Logistik, dem Einkauf: Wir haben inzwischen eine breite Palette auf der ServiceNow-Plattform im Einsatz.
Welche Vorteile hat eine solche Plattform-Strategie gegenüber anderen Möglichkeiten?
Es geht da um Harmonisierung und Standardisierung. Ein weiteres Ziel ist, unsere Kosten im Griff zu behalten. Denn mit jedem zusätzlichen System kommen Schnittstellen hinzu, es braucht Integrationsaufwand und am Schluss müssen die Lösungen auch regelmässig gewartet werden. Das bedeutet Aufwand, der sich auch finanziell niederschlägt.
Ganz zu schweigen von den Fachkräften, die dazu benötigt werden. Wie sieht es diesbezüglich bei der Medizin-Informatik aus? Wie gewinnen Sie Fachkräfte für das doch eher spezialisierte IT-Anwendungsgebiet im Gesundheitswesen?
Wir haben zwei Business-Bereiche: Das eine ist die Medizin-Informatik. Dort braucht es Spezialistinnen und Spezialisten für die klinischen Systeme und auch für die medizinischen Geräte – von grossen Anlagen in der Radiologie bis hin zum kleinsten Blutzuckermessgerät. Diese Geräte müssen alle irgendwie in die Systeme integriert werden, und dazu braucht es die Fachleute. Wir arbeiten hier eng mit der Berner Fachhochschule in Biel zusammen, die Medizininformatiker ausbildet. Bei uns arbeiten immer wieder junge Menschen von dort in Praktika. Der Ausbildungsgang ist dual, d.h. die Studierenden arbeiten zu 50 Prozent in einem Betrieb wie dem unsrigen. Aktuell haben wir eine erste Absolventin fest anstellen können, eine zweite Studentin rückt nun nach. Die Spezialisten benötigen ein gutes Prozessverständnis in den klinischen Bereichen. Und da ist es sehr schwierig, neue Mitarbeitende zu gewinnen. Denn der Wettbewerb zwischen den Spitälern um diese Fachleute ist gross. Der andere Bereich ist die Administration mit SAP und den anderen erwähnten Plattformen. Auch da ist der Fachkräftemarkt komplett ausgetrocknet. Wir sind stark davon betroffen, dass die Babyboomer allmählich in Pension gehen. Da rasch eine Nachfolge zu finden ist schwierig.
Wie gehen Sie da vor? Schulen Sie andere Mitarbeitende für neue Aufgaben um?
Zum einen rekrutieren wir von aussen, zum anderen haben wir Karrierepfade definiert, um Mitarbeitenden sowohl in der Informatik als auch in anderen Fachbereichen Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. In der Informatik beginnt ein solcher Pfad etwa im Support, am Service Desk. Dann bestehen verschiedene Möglichkeiten, in die Fachbereiche zu wechseln. Wenn jemand sich in der Technik weiterentwickeln möchte, kann er in die Systemtechnik wechseln oder in die Medizin-Informatik. Das funktioniert auch umgekehrt: Es kommen auch Mitarbeitende z.B. aus der Pflege in die Medizin-Informatik.
Sie sind meines Wissens die einzige weibliche CIO an einem Schweizer Kantonsspital. Inwiefern sehen Sie sich da als Vorbild für andere weibliche IT-Mitarbeitende und -Führungskräfte?
Das ist korrekt: Unter allen IT-Leitungen von Kantonsspitälern bin ich die einzige Frau. Einzig im Tessin habe ich bei einer Privatklinik-Gruppe noch eine weitere Kollegin. Aber zu Ihrer Frage: Ich sehe mich nicht als Vorbild, weil ich eine Frau bin, sondern grundsätzlich als Vorbild in einer Führungsposition. Ich habe immer ein wenig Mühe mit dieser Diskussion um Frau oder Mann. Es gibt viele Möglichkeiten und Chancen für Frauen. Oft ist es ja so, dass eine Stelle mit einer Frau besetzt werden muss. Dann aber bitte aufgrund ihrer Qualifikation, anders kann es nicht funktionieren. Frauen haben viele Chancen, scheuen aber häufig die Verantwortung oder wollen nicht in einem Vollzeitpensum arbeiten. 80 % ist sicher noch machbar, aber alles, was darunter liegt, sehe ich als problematisch an. Das macht es dann für Frauen schwierig, Führungsaufgaben zu übernehmen. Aber in unserer Organisation arbeiten in allen Teams Frauen, und diese sehen mich wohl schon etwas als Vorbild. Wir haben da auch eine kleine Gemeinschaft gebildet, gehen zusammen Kaffee trinken, tauschen uns aus oder gehen auch mal als «Frauenrunde» gemeinsam zu Mittag essen.
Digitale Transformation im Gesundheitswesen
Die Verwaltung von klinischen Geräten ist komplex und erfordert diverse Massnahmen in den Bereichen Sicherheit, Compliance, Governance und Wartung. Diese Herausforderungen können mit der sofort einsatzbereiten Lösung «Clinical Device Management» von ServiceNow mittels zentralisierter digitaler Prozesse gemeistert werden. So können Patienten und medizinischen Mitarbeitenden optimale Erlebnisse geboten, Investitionen geschützt und gleichzeitig Kosten gesenkt werden.