Der Homo Sapiens im Neuen Jahrhundert
Was macht den Homo Sapiens aus? Prägt und formt die Umwelt den Menschen, oder ist es umgekehrt? Heute haben menschliche Innovationen die menschliche Evolution überholt. Eine Rückschau zur interdisziplinären Innovations-Tagung der HSR Rapperswil.
Im Zentrum standen der Austausch zum Innovationstreiber Homo Sapiens sowie Einblicke in neueste Innovationen und die ethischen Fragen, die diese Innovationen aufwerfen. Rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten an der Innovationstagung der HSR vom 6. November zum Thema „Der Mensch als Innivationstreiber“. Fünf Referenten gaben Einblicke in neue Technologien und Anlass für spannenden Diskussionen.
„Menschliche Piloten“ immer wichtig
Der Mensch hat Millionen Jahre kleiner, evolutionärer Entwicklungsschritte hinter sich. Vom Jäger und Sammler zur dominanten Spezies auf der Erde. Heute haben menschliche Innovationen die menschliche Evolution überholt. Innovative Technologie und deren Anwendung machen den Menschen unabhängig von körperlichen Fähigkeiten zum mächtigen Gestalter seiner Umwelt. Eine Macht, mit der auch Verantwortung verbunden ist.
Als anschaulichen Einstieg präsentierten Prof. Dr. Christian Bermes von der HSR und Exoskelett-Pilot Thomas Krieg, welche Innovationen die Technik heute für gelähmte Menschen bereitstellen kann. Krieg ist Pilot in einem von zwei HSR Cybathlon-Teams. Er steuert ein von HSR und ETH Ingenieuren und Studierenden entwickeltes Exoskelett, das es ihm trotz seiner Lähmung ermöglicht, aus dem Sitzen aufzustehen und gehend einen Parcours zu absolvieren. Der zweite HSR Pilot Florian Hauser, ebenfalls gelähmt, kann mit seinem an der HSR konstruierten Hightech-Rollstuhl Treppen steigen oder Türen mit einem Roboter-Arm öffnen und schliessen.
Die zwei Teams der HSR nehmen am ETH-Wettbewerb Cybathlon teil, einem einzigartigen Wettkampf, bei dem sich Menschen mit Behinderungen beim Absolvieren alltagsrelevanter Aufgaben unter Einsatz modernster Assistenztechnologie messen. «Uns ist also praktisch technisches Doping für unsere Athleten erlaubt», präzisierte Bermes unter dem Gelächter Publikums.
Im Laufe der Diskussion zwischen Bermes und Krieg zeigte sich, dass bei der Entwicklung sowohl des Rollstuhls wie auch des Exoskeletts nicht die Maschinen, sondern die menschlichen Piloten als Innovationstreiber im Zentrum stehen. «Mithilfe des Exoskeletts das erste Mal seit meinem Unfall wieder aufstehen zu können, war sehr emotional, weil mir 50 Studierende mit ihrer Arbeit ermöglicht haben, wieder auf Augenhöhe mit Menschen zu sprechen», so Krieg. Bei der Entwicklung müssen die individuellen Körpermerkmale der Piloten jederzeit beachtet werden – etwa bei der Steuerung der Geräte oder bei der Anpassung von physischen Kontaktpunkten zwischen Mensch und Maschine.
Smart Building: Wie wohnen?
Einen gänzlich anderen Fokus hatte das Referat von Andreas Haas, der als Salesmanager der digitalSTROM AG in Schlieren das Ziel verfolgt, möglichst viele Gebäude vollständig zu vernetzen. Fast 10’000 Gebäude in der DACH-Region sind laut Haas bereits «smart», also digital vernetzt und steuerbar – von den Storen über die Haushaltsgeräte bis zur Alarmanlage und zum Heizungssystem.
Die Innovation liegt dabei zwar in Gebäudetechnik, Steuerung, Sensorik und Geräten, der Innovationstreiber ist aber auch hier: Der Mensch. Denn nur wenn die Menschen smarte Häuser als nützlich empfinden, vernetzen sie ihre Gebäude. Der Nutzen kann dabei laut Haas von einer selbstlernenden Klimaregulierung passend zu den Wünschen der Bewohner bis hin zu Notfall- oder Assistenzsystemen für ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen reichen. Als Beispiel diente dem Publikum Haas´ Grossmutter. «Ihre Morgenroutine ist jeden Tag gleich – eine mögliche Smarthome-Funktion könnte also sein, dass das Haus prüfen soll, ob diese Routine stattfindet und falls nicht zum Beispiel eine Meldung an ihre Familie oder ihren Arzt sendet, einmal nach dem Rechten zu sehen», so Haas.
KI als Personalplaner
In die gleiche Kerbe, Assistenzfunktionen für Menschen, schlug im Anschluss Dr. Alexander Grimm, CEO der Aspaara Algorithmic Solutions AG aus Zürich. Das Hauptprodukt der Firma ist eine Software, die mittels Machine Learning und künstlicher Intelligenz für Firmen mit vielen Mitarbeitenden Personaleinsatzpläne vorschlägt. «Unser System schlägt vollumfängliche Einsatzpläne mit dem Ziel vor, immer die besten Mitarbeitenden zu richtigen Zeit für die anstehenden Aufgaben einzuplanen. Die menschlichen Planer sollen so mehr Zeit für die Bearbeitung komplexer Fälle erhalten», sagte Grimm. Mit dem System sei etwa im Fall einer Firma mit vielen Aussendienstmitarbeitenden eine Reduktion unnötiger Geschäftsreisen um 25 Prozent erreicht worden, so Grimm.
Im Publikum stiess die Idee von automatischer Personaleinsatzplanung auf kritisches Interesse. «Ist es nicht ein spezieller Stressfaktor, wenn jede Minute automatisch verplant wird?», lautete eine Frage, worauf Grimm vor dem Hintergrund, dass die Mitarbeiterzufriedenheit ein immer wichtigerer Faktor für Firmen werde, antwortete: «Im Idealfall merkt der einzelne Mitarbeiter gar nichts von unserem System, sondern stellt lediglich fest, dass die Arbeitsplanung ziemlich gut zu seinen eigenen Präferenzen passt – etwa was die Aufgaben oder die Zeiten betrifft.»
Innovationen ethisch begleiten
Die vorangegangenen Referate nahm schliesslich der Ethiker Dr. Johan Rochel, Gründer des Innovationsethik-Labors ethix, dankbar auf und nutzte sie als Beispiele dafür, wo Innovationen ethische Fragen aufwerfen. So sei etwa eine automatisierte Personalplanung zwar nützlich, aber «die künstliche Intelligenz ist eine Blackbox – was passiert da genau in der Entscheidungsfindung?» Wenn solche Systeme künftig beispielsweise in der Justiz eingesetzt würden, wo Urteile massive Konsequenzen für die beurteilten Personen haben können, müsste laut Rochel sichergestellt werden, dass «man genau nachvollziehen kann, wie die Maschine zu einer bestimmten Entscheidung gekommen ist.»
Wichtig seien Regeln für den Umgang mit Innovationen. So müsse etwa die Datenethik Fragen beantworten wie «Welche Daten werden über Menschen erhoben und unter welchen Umständen haben welche Systeme Zugang zu diesen Daten?», während gleichzeitig sichergestellt werden müsste, dass es nachvollziehbar bleibe, «wie die künstliche Intelligenz die Daten genutzt und verarbeitet hat, um Entscheidungen zu fällen, Analysen zu erstellen oder automatisierte Handlungen auszulösen», so Rochel.
Am Beispiel der Nachhaltigkeit zeigte Rochel auf, dass die Gesellschaft nicht machtlos ist, wenn es darum geht, Unternehmen dazu zu bewegen, über die Art, wie sie Geld verdienen, Rechenschaft abzulegen. «Früher konzentrierten sich Unternehmen nur aufs Geld verdienen, Nachhaltigkeit war kein Thema». Heutzutage sei der öffentliche Druck für mehr Transparenz aber so hoch, dass sich Unternehmen ständig rechtfertigen müssten, wie umwelt- und sozialverträglich sie ihr Geld verdienen. «Bei vielen Firmen ist das vielleicht Greenwashing, aber der wichtige Schritt ist gemacht, Rechtfertigung hat sich als Standard etabliert». Das gleiche Prinzip lasse sich auch auf die Sammlung und Verwendung von Daten anwenden.