Werbung für den Wandel

Charity-Kampagnen und Campaigning-Aktionen sind keine leichte Aufgabe für die Kommunikation: Sie müssen mit möglichst einfachen Mitteln Veränderung erwirken, dabei authentisch bleiben, emotional – und anders sein als alles, was es bisher gegeben hat.

Erfolgreiche

Bei dieser Präsentation wurde es im Kongresshaus Zürich plötzlich ganz still: Als Tom Schwarz von Seven.One Ad Factory am diesjährigen Screenforce Day die Flutwein-Kampagne «Unser schlimmster Jahrgang» präsentierte, zeigte er eindrucksvoll, was Marketing in den schwersten Zeiten leisten kann. Die Crowdfunding-Kampagne für das 2021 von der Hochwasserkatastrophe hart getroffene deutsche Ahrtal beweist: Kreativität ist krisenresistent. Mit der Kampagne wurden unter dem Label #flutwein Qualitätsweine aus der Region verkauft, die durch das Hochwasser zur Rarität geworden waren – in original verschlammten Flaschen. Dafür gab es nicht nur den Grand Effie in Deutschland. Sondern mehr als 4,4 Millionen Euro Spenden für Betroffene, unzählige Kontakte durch Presseberichterstattung und eine nachhaltige Steigerung der Bekanntheit des Ahrtals als Weinregion.

Ein Selfie – «rückwärts»

Eine Kampagne, die jeden betrifft und die jeder versteht. Und die vermutlich deswegen auch so erfolgreich war. Ähnlich ist es bei der Siegerkampagne des aktuellen Good Report 2022, eines Rankings von Act Responsible und dem World Advertising Research Center (WARC), das die besten Kampagnen und Agenturen für soziale und nachhaltige Themen auszeichnet. Als Nummer eins unter den Kampagnen «for Good» kürt das Ranking das berühmte «Reverse Selfie» von Dove (Agentur: Ogilvy UK). Damit möchte die Kosmetikmarke auf den gefährlichen Schönheitswahn in sozialen Medien aufmerksam machen – mit einem einfachen Mittel: Aufklärung. Im Spot zeigte die Marke eindrucksvoll, welche lange Geschichte hinter einem vermeintlich perfekten Selfie steckt und wie das Gesicht dahinter in Wirklichkeit aussieht. Anzeigen waren gestaltet wie ein Vorher-nachher-Vergleich mit und ohne Filter. Dazu gab es den Aufruf, mit seinen Töchtern über dieses Thema zu sprechen, samt umfangreichem Eltern-Kit zum Download, das über Mobbing, Filter, Social Media und Selbstbewusstsein informierte. Ergebnis: Mehr als 6 Milliarden Earned Impressions, weltweite Berichterstattung, unzählige Downloads. Und vor allem Bewusstsein für ein Thema, bei dem Handlungsbedarf besteht.

«… mehr als sechs Milliarden Impressions, aber vor allem: Bewusstsein, dass Handlungsbedarf besteht.»

Sensible Themen

Das ist auch bei Krebs der Fall. Ein Thema, das die Kommunikation vor eine besondere Herausforderung stellt, berichtet Philipp Skrabal, Partner bei Farner. «Krebs ist leider allgegenwärtig, viele Menschen haben einen schmerzhaften Bezug dazu. Niemand möchte ständig daran erinnert werden», sagt der Werber, der mitverantwortlich für die «Recipes Rewritten»-Kampagne für die Schweizer Krebsliga war, die 2021 im ganzen Land für Aufsehen sorgte. Gelungen ist das über einen Ansatz, der nicht auf Mitleid abzielt, sondern mit echten Insights Betroffener arbeitet – und damit nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern Mehrwert bietet: Weil ein Grossteil der Krebspatienten durch die Krankheit oder Therapie an Geschmacksveränderungen leidet, haben Schweizer Starköche ihre Signature-Rezepte so angepasst, dass sie den Betroffenen wieder schmecken. Die Rezepte sind nach wie vor auf der Homepage einsehbar – von der Ofentomate mit Burrata bis zum gegrillten Mini-Lattich mit Sanddorn. Aus der filmischen Dokumentation entstand ein berührendes Video – und ein enormes Medienecho. Farner spricht von einem Medienäquivalenzwert von CHF 1,6 Millionen und einer Reichweite von 7,3 Millionen.

«Wir haben nach einem anderen Ansatz gesucht, als einfach nur um Spenden zu bitten. Ziel war es vielmehr, mit Insights und Dramaturgie eine Geschichte zu finden, die so spannend ist, dass sie von den Medien aufgegriffen wird. So sind wir viel näher an die Zielgruppe herangekommen als über das Mitleidsthema», sagt Skrabal. Anstelle von unangenehmen Gefühlen wie Krankheit oder Tod wurden Genussmomente in den Vordergrund gestellt, das Beisammensein, das Schöne. Und das auf eine Weise, die jeder nachvollziehen kann und die jeden irgendwie betrifft.

«Wir haben nach einem anderen Ansatz gesucht, als einfach nur um Spenden zu bitten.»

Die berühmte Ice Bucket Challenge

«Das Wichtigste, um die Menschen zu motivieren, etwas zu tun, sind Emotionen», bestätigt auch Peter Metzinger, der als «Mr. Campaigning» Unternehmen, Verbände und Organisationen unterstützt, Veränderungen voranzutreiben (siehe freistehendes Interview). Und neben den Gefühlen, sagt der Experte, müssen Kampagnen, die etwas für den guten Zweck bewirken wollen, so einfach sein wie möglich.

Wahrscheinlich war das auch einer der Gründe, warum die weltberühmte Ice Bucket Challenge so erfolgreich war: Der Online-Hype vom Sommer 2014, bei dem sich Menschen dabei filmen liessen, wie sie sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf schütteten, und auf Social Media teilten, ging viral – 200 Millionen US-Dollar Spenden wurden gesammelt, selbst Eminem, Rihanna und viele andere Prominente beteiligten sich an der Aktion. Volltreffer, könnte man meinen. Aber es gab auch ein Problem: Viele der Teilnehmenden wussten nicht einmal, dass die Aktion auf eine Krankheit aufmerksam machen sollte – Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – geschweige denn, wer der Absender war. Das, worum es eigentlich ging, schmolz irgendwann dahin wie die Eiswürfel über den Köpfen der Follower. «Social Media macht solche Kampagnen erst möglich, bringt aber zugleich auch einen Nachteil mit sich», sagt Philipp Skrabal: «Viele, die eine Aktion würdigen, tun dies, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht.»

Emotionale Kampagnen mit Purpose: Das «Rückwärts- Selfie» von Dove und die Rezepte von Sterneköch:innen, angepasst auf die Bedürfnisse von Krebspatient:innen. (Bilder: zVg. Dove / Farner Consulting)

Emotion treibt Motivation

Damit der enorme Effekt nicht verpufft, muss es einer Kampagne gelingen, nicht nur ein kurzer Hype zu bleiben, sondern sich einzubetten in sämtliche Massnahmen ihres Absenders. Dabei sind aber im Unterschied zu klassischem Marketing «bei Kampagnen für den guten Zweck drei und nicht nur zwei Stakeholder involviert», erklärt Marianne Affolter, Co-Geschäftsleiterin von Kampagnenforum: der Absender, die Zielgruppe – und die Begünstigten. «Campaigning ist daher noch mehr auf wirkungsvolles Storytelling angewiesen als Kommunikation sowieso: Es muss eingängig und zugänglich erzählt werden, was das Anliegen ist, warum es dieses braucht und wie man mithelfen kann.» Nur so werde eine Charity-Kampagne langfristig und nachhaltig verankert – und finde Eingang in das tägliche Bewusstsein und in konkretes Handeln, sagt Affolter.

Denken Angehörige beim Kochen an den möglicherweise durch Krebs veränderten Geschmack von Betroffenen, lassen bestimmte Zutaten weg und nutzen dafür verstärkt andere Gewürze, dann hat eine Kampagne wie die «Recipes Rewritten» genau das erreicht: eine Veränderung im Bewusstsein – und vielleicht einen schönen und glücklichen Moment für einen geliebten Menschen. Und besser kann Werbung ja eigentlich nicht sein.


INTERVIEW

«Klassischer Werbesprech funktioniert nicht!»

Seine erste Kampagne im Bereich Charity und NGOs lancierte Peter Metzinger 1982 – seit mehr als vierzig Jahren ist er nun der Schweizer «Mister Campaigning». Worauf kommt es bei seiner Arbeit an?

 

m&k: Peter Metzinger, wie schaffen es Organisationen, dass Campaigning-Projekte viral gehen?

Peter Metzinger: Dafür gibt es kein Erfolgsrezept. Aber es gibt durchaus Faktoren, die die Erfolgswahrscheinlichkeit von Kampagnen und Veränderungsprojekten steigern. Unter anderem ist es wichtig, zu polarisieren. Nicht anders sein, sondern komplett anders! Um Menschen zu etwas zu bewegen, braucht es ausserdem Emotionen und eine gewisse Einfachheit. Es kann auch helfen, in Szenarien zu denken – vom Worst Case bis zum Best Case. Und sich Strategien zu überlegen, wie man im jeweiligen Fall reagiert.

 

Wie unterscheidet sich Campaigning von klassischer Kommunikation, bei der es ja meist darum geht, möglichst viel zu verkaufen?

Beim Campaigning möchte man Menschen dazu bewegen, einem bei der Zielerreichung zu helfen. Wer möchte, dass Menschen ihm helfen, muss sich mit ihnen beschäftigen. Um das Budget optimal zu nutzen, will man nur Instrumente einsetzen, die auch wirklich etwas bewirken. Solche Kampagnen lassen sich nicht so lange im Voraus planen wie klassisches Marketing, sondern müssen immer wieder an unvorhergesehene Ereignisse angepasst werden. Denn sobald ein Zwischenziel erreicht ist, ist die Situation nicht mehr dieselbe und es gibt oft Folgewirkungen, die man nicht voraussehen kann.

 

Die Themen, um die es geht, sind meist ziemlich sensibel: Krankheit, Politik, Missstände. Was heisst das für die Kreation?

Sie muss viel empathischer sein. Klassischer Werbesprech, der alles schönredet, und die typischen PR-Slogans funktionieren dabei nicht. Wer möchte, dass Menschen zuhören und vielleicht auch ihre Freizeit oder eine Spende dafür opfern, muss viel stärker auf seine Zielgruppen eingehen und deren ganz eigene Sprache sprechen.

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