Wie disruptive Technologien einen ganzen Sektor verändern

Für Unternehmen wie auch Investoren stand das Innovationspotenzial der Biotechbranche in den vergangenen zwei Jahren ganz im Zeichen der Entwicklung von Impfstoffen und Therapien gegen Covid-19. Dieser Stellenwert verringert sich jetzt zunehmend. Zugleich haben die Finanzmärkte stärker chronische und schwere Erkrankungen im Blick, von denen ein grösserer Anteil der Bevölkerung betroffen ist. Wichtige technologische Fortschritte, […]

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Disruptive Technologien verändern die Biotechbranche. Dies führt zu neuen Möglichkeiten bei der Entwicklung von Medikamenten. (Bild: Unsplash.com)
Für Unternehmen wie auch Investoren stand das Innovationspotenzial der Biotechbranche in den vergangenen zwei Jahren ganz im Zeichen der Entwicklung von Impfstoffen und Therapien gegen Covid-19. Dieser Stellenwert verringert sich jetzt zunehmend. Zugleich haben die Finanzmärkte stärker chronische und schwere Erkrankungen im Blick, von denen ein grösserer Anteil der Bevölkerung betroffen ist. Wichtige technologische Fortschritte, die sich bislang auf die Behandlung seltener Krankheiten konzentriert haben, werden jetzt häufiger in klinischen Studien für Indikationen mit hohen Patientenzahlen getestet. Die Biotechindustrie wird davon profitieren, weil sie Vorreiter bei einer Vielzahl von neuen Therapieansätzen ist. Sehr viele Biotechfirmen haben zuletzt damit begonnen, in ihren klinischen Projekten ihren bisherigen Fokus auf seltene Erkrankungen auf die Behandlung von Erkrankungen mit höheren Patientenzahlen zu erweitern. Zum Einsatz kommt dabei eine neue Generation von Technologien, die ein enormes Disruptionspotenzial mitbringt. Immer mehr Produktkandidaten decken nicht nur den medizinischen Bedarf in bislang kaum behandelbaren Indikationen, sondern versprechen eine vollständige Heilung. Etliche unserer Portfoliofirmen präsentieren in diesem Jahr wegweisende klinische Studienergebnisse.

Modernas nächste Impfstoffe bald bereit

Bei Moderna sind die Resultate für den Omikron-spezifischen Booster-Impfstoff und den Grippeimpfstoff mRNA-1010 die wohl wichtigsten Ereignisse für 2022. Eine neue Generation dieser mRNA-Vakzine soll herkömmlichen Grippeimpfstoffen hinsichtlich Wirkprofil und Effizienz überlegen sein, indem sie neben den vier von der WHO ausgewählten weitere Antigene und Virenstämme einbezieht. Gelingt es, einen Kombinationsimpfstoff gegen Grippe- und Coronaviren auf den Markt zu bringen, könnte sich der globale Markt für Grippevakzine, der aktuell rund 500 Millionen Dosen jährlich stellt, deutlich erweitern, möglicherweise sogar verdoppeln. Kombinationsimpfstoffe sprechen auch Personen an, die regelmässigen Einzelimpfungen skeptisch gegenüberstehen. Aufgrund der schnellen Entwicklungszeiten und der guten Verträglichkeit von mRNA-Impfstoffen wären deren Protagonisten Moderna, Biontech und Pfizer die grossen Gewinner eines solchen Durchbruchs. Weil Branchenexperten die Preise für solche Kombi-Vakzine auf bis zu USD 60 je Dosis schätzen, eröffnet sich damit ein enormes Umsatzpotenzial. In den langfristigen Plänen von Moderna ist die Wirksamkeit der mRNA-Technologie bei Grippe nur ein Zwischenschritt. Aktuell hat Moderna drei wichtige Phase-III-Studien am Laufen. Neben dem Grippeimpfstoff ist es ein Vakzin gegen RSV, eine schwere Infektion der Atemwege bei Säuglingen und Kleinkindern, und ein Impfstoff gegen das Zytomegalovirus (CMV). Aktuell gibt es noch keine Behandlungsoptionen gegen dieses Herpesvirus, das bei Neugeborenen Taubheit und Entwicklungsstörungen auslösen kann.

Genomeditierung – Technologie für Milliardenumsätze

Vor dem grossen kommerziellen Durchbruch steht die Genomeditierung, welches auf eine dauerhafte Heilung von Krankheiten abzielt. Dabei werden Fragmente der menschlichen DNA, die als genetisch bedingte Auslöser von Krankheiten gelten, herausgeschnitten und durch genetische Ersatzstücke repariert. Crispr Therapeutics entwickelt in Kooperation mit Vertex Pharma Therapien gegen Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie. Für diese zwei genetisch bedingten Störungen bei der Bildung von Blutzellen, die schwere Krankheitsverläufe verursachen, gibt es bislang keine adäquaten Behandlungsoptionen. Aufgrund einer spezifischen genetischen Prädisposition ist die schwere Form der Sichelzellanämie mit rund 50 000 Patienten in den USA dominant. Beta-Thalassämie, auch Mittelmeeranämie genannt, erscheint dagegen eher in Südeuropa, während sie in den USA in ihrer schweren Form bei rund 1000 Patienten auftritt. Bei dieser Therapie handelt es sich um eine vollständige Heilung nach einer einmaligen Gabe. Die Marktzulassung der ersten Arznei auf der Basis von Genomeditierung würde die Behandlung dieser Krankheit revolutionieren. Dementsprechend gross ist die Preissetzungsmacht für dieses Produkt, das nur einmal verabreicht werden muss. In der zweiten Jahreshälfte 2022 werden Crispr und Vertex Pharma als erste Firmen Zulassungsdaten und einen Zulassungsantrag stellen. Schafft das Produkt wie erwartet 2023 den Sprung auf den Markt, kann es jährliche Spitzenumsätze im Milliardenbereich erzielen. Als gentechnische Verfahren für die Medikamentenentwicklung haben RNA-basierte Therapeutika wie siRNA und ASO (Antisense-Oligonukleotide) in den letzten Jahren die Marktzulassung in Nischenindikationen erhalten. Die Firma Alnylam ist führend bei den siRNA-basierten Medikamenten und sollte zur Jahresmitte klinische Ergebnisse für ihr bereits zugelassenes Produkt Onpattro vorlegen. Im Erfolgsfall würde sich die Anwendung von bislang 50 000 Patienten mit ATTR-Amyloidose und Polyneuropathie auf weitere bis zu 300 000 Patienten mit ATTR-Kardiomyopathie erweitern. Bei ATTR handelt es sich um eine seltene Erkrankung, bei der ein bestimmtes Protein im Körper nicht abgebaut wird und sich in Organen ablagert.

Künstliche Intelligenz schafft neue Grundlagen

Das Rational Drug Design ist ein neuartiger Ansatz, der mit künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen die molekularen Bewegungen von Proteinmolekülen hinsichtlich ihrer Rolle beim Entstehen einer Krankheit analysiert. Das Unternehmen Relay Therapeutics hat drei Krebsmedikamente in der klinischen Phase I, welche bei krankheitsauslösenden Proteinen ansetzen, die bislang nicht zugänglich als Zielmoleküle für Therapien galten. Black Diamond Therapeutics nutzt maschinelle Lernverfahren für Krebstherapien, die unabhängig von spezifischen Tumorarten ihre Wirkung entfalten. Dank ihrer Vorreiterrolle bei zahlreichen disruptiven Technologien könnte die Biotechindustrie bald wieder das Interesse der Investoren auf sich ziehen. Die Zahlen sprechen für sich. Wurden in den USA, dem weltweit grössten Medikamentenmarkt, zu Beginn der Nullerjahre durchschnittlich 20 Arzneien jährlich zugelassen, so hat sich dieser Wert 2021 auf 58 erhöht. Zugleich ist in rein quantitativer Hinsicht die Gesamtzahl der klinischen Studien und der dabei behandelten Patienten deutlich höher als vor Beginn der Pandemie. Die Bedeutung von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln wird auch in Zukunft weiter zunehmen. Schätzungen zufolge werden Biotechprodukte bis 2026 etwa 40% des Gesamtumsatzes der verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Medikamente ausmachen. Autor: Dr. Daniel Koller kam 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech AG, einer Investmentgesellschaft mit Sitz in Schaffhausen/Schweiz. Von 2001–2004 war Daniel Koller als Investment Manager bei equity4life Asset Management AG und von 2000–2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei Cytos Biotechnology AG, Zürich. Anm. d. Red.: An einigen im Text erwähnten Firmen ist BB Biotech AG beteiligt bzw. hat sie im Portfolio.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf m-q.ch - https://www.m-q.ch/de/wie-disruptive-technologien-einen-ganzen-sektor-veraendern/

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