Führung im Mannschaftssport
Mit dem Beginn der Sportsaison in Europa sind wieder regelmässig Fragen zu persönlichen und Teamleistungen aufgekommen. Welche Analogien bestehen da zu Teams in Unternehmen?
Im Leben gibt es zwei grundlegende Formen von Wettbewerb: den Wettbewerb als Teil einer Gruppe und den Wettbewerb zwischen Gruppen. Während dem Wettbewerb als Teil einer Gruppe – wer ist oben, wer unten, wer ist drin, wer draussen – grosse Aufmerksamkeit zuteil wird, ist der Wettbewerb zwischen Gruppen weitaus folgenschwerer. Genau genommen, bedeutete das Scheitern im Wettbewerb zwischen den Gruppen für unsere Vorfahren in grauer Vorzeit fast immer den sicheren Tod und das Ausscheiden aus dem Genpool. Im Gruppenwettbewerb ist der wichtigste Erfolgsfaktor die Koordinierung der Anstrengungen der Einzelnen. Nahezu jede bedeutende menschliche Errungenschaft kam durch eine koordinierte Gruppenleistung zustande. Die Person oder die Personen, die in erster Linie für die Koordination der Gruppenarbeit verantwortlich ist oder sind, sind deren Leiter. Daher ist die Führung von entscheidender Bedeutung für die organisatorische Effektivität und entscheidet darüber, ob eine Gruppe erfolgreich ist oder scheitert. Das gilt für Nationen ebenso wie für Unternehmen und ja, sogar für Mannschaftssportarten.
Talent allein reicht nicht aus
Mannschaftssportarten wie Fussball, American Football, Basketball, Volleyball und Rugby Union sind ein hervorragendes Testfeld für Führung und organisatorische Effizienz. Der Erfolg in diesen Wettbewerben erfordert ein enormes Mass an Gruppenkoordination. Wenn ein Einzelner seine Aufgabe nicht erfüllt, führt dies oft zum Verlust von Ballbesitz, Punkten oder sogar zum Verlieren des ganzen Spiels. Wie der Sport immer wieder belegt, reicht reines Talent allein nicht aus, um eine gut koordinierte Gruppenleistung zu erbringen. Auch eignet sich der Sport hervorragend zum Testen von Führungsqualitäten und organisatorischer Effizienz, da die Ergebnisse objektiv sind: Eine Mannschaft gewinnt oder verliert eben. Oft ist es schwer zu erkennen (solange es nicht ganz offensichtlich ist), ob ein Unternehmen oder eine Regierung erfolgreich ist oder scheitert. Aber im Sport hat jedes Spiel ein objektives Ergebnis. Und abschliessend ist der dritte Faktor, der den Sport zu einem hervorragenden Testfeld für die Effektivität von Führung und Organisation macht, die Tatsache, dass Spieler, Manager und Trainer häufig das Team wechseln. Das bedeutet, dass sich die Teamdynamik häufig ändert und die Führung massgeblich dazu beiträgt, die richtigen Talente zu gewinnen und weiterzuentwickeln, die Einzelnen davon zu überzeugen, ihren eigenen Ruhm zugunsten der Gruppe hintanzustellen, die Strategie (oder den Spielplan) für den Erfolg festzulegen und dafür zu sorgen, dass die Koordination über lange Zeiträume hinweg auf hohem Niveau bleibt.
Wenn man auf den falschen Trainer setzt …
Wie eine Person im Sport führt, ist ebenso wie in der Wirtschaft oder in der Regierung weitgehend von der Persönlichkeit dieser Person abhängig. Wir alle unterscheiden uns darin, wie wir typischerweise denken, handeln und fühlen, und diese individuellen Unterschiede haben Auswirkungen darauf, wie Spieler und Assistenztrainer reagieren. Vor einigen Jahren erhielten wir den Auftrag, einem grossen Sportverein bei der Auswahl eines neuen Cheftrainers zu helfen. Wir nutzten eine Reihe wissenschaftlich validierter Persönlichkeitsbewertungen, um zu verstehen, wie jeder potenzielle Trainer in das Team passen würde. Wir bewerteten die Fähigkeit potenzieller Kandidaten, mit Druck umzugehen, mit den Medien zu arbeiten, ihr Team zu motivieren, sich von Niederlagen zu erholen, Spieler mit Respekt zu behandeln und zu den wichtigsten Mitarbeitern positive Beziehungen aufzubauen. All diese Faktoren sind für den Erfolg als Cheftrainer entscheidend. Auf der Grundlage unserer Bewertungen hob sich ein Trainer deutlich von den anderen ab, da er gut darauf vorbereitet war, die Verantwortung für die Leitung des Teams zu übernehmen. Leider hat sich die Eigentümergruppe dieses Teams für einen anderen Kandidaten entschieden. Nach unseren Einschätzungen schien der von ihnen ausgewählte Trainer von Gefühlen geleitet zu sein und Schwierigkeiten zu haben, mit Kritik umzugehen. Während des Spiels zeigte das Team einen Mangel an Disziplin und kassierte viele Strafen. Der Cheftrainer geriet mehrmals mit den Medien aneinander, und zur Hälfte der Saison mutmassten viele, dass er die Kontrolle über die Mannschaft verloren hatte. Am Ende einer Saison, die mehr Niederlagen als Siege brachte, wurde der Trainer entlassen. In der nächsten Saison stellte das Team den Trainer ein, den wir ursprünglich empfohlen hatten. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt spielte das Team um den Liga-Titel, und der Cheftrainer wurde von der Liga zum Trainer des Jahres gewählt.
Grundprinzipien ähneln sich
Sport ist ein Mikrokosmos, um Persönlichkeit, Führung und organisatorische Effektivität auszuloten. Die Ziele sind klar und die Ergebnisse weder von der Politik noch von Voreingenommenheit beeinflussbar. Teams und deren Manager wechseln häufig, sodass sich hier sehr gut beobachten lässt, wie sich Führung und Teamkoordination auf die Ergebnisse auswirken. Obwohl eine Sportmannschaft zu leiten nicht ganz dasselbe ist, wie ein Unternehmen zu führen, sind viele der Grundprinzipien der Führung dieselben: Die effektivsten Führungskräfte sind in der Lage, leistungsstarke und gut koordinierte Teams aufzubauen und zu halten.
Autor
Ryne A. Sherman ist ein renommierter Persönlichkeitspsychologe und Führungsexperte. Als Chief Science Officer bei Hogan arbeitet er mit Toporganisationen zusammen, um die besten Führungskräfte und CEOs durch die Nutzung von Persönlichkeitsdaten auszuwählen. Ryne A. Sherman hat unter anderem umfangreiche Untersuchungen zu häufigen Herausforderungen durchgeführt, mit denen Teams in Organisationen heute konfrontiert sind, sowie Ansätze entwickelt und gestestet, um diese zu überwinden.
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