Die Verwechslung von Erfahrung und Expertise

Wer glaubt, durch mehr Erfahrung immer mehr Wissen erworben zu haben und deshalb Experte zu sein, der irrt. Nur wer etwas Neues ausprobiert und dazulernt, kann zum Experten reifen

Die Verwechslung von Erfahrung und Expertise

Viele glauben, dass durch mehr Erfahrung mehr Wissen und mehr Kompetenz erworben wird. Das ist nicht unbedingt der Fall. Wenn eine Person immer das gleiche Wissen und die gleichen Routinen einsetzt, dann wird die Person nur routinierter, aber nicht zum Experten. Berater, die immer nur die gleiche Art von Projekten umsetzen, werden besser in der Umsetzung, aber nicht unbedingt kompetenter. Um zum Experten zu werden, sind zwei Dinge wichtig:

  • Erstens: verschiedene Dinge bewusst auszuprobieren, und
  • Zweitens: von den Ergebnissen gezielt zu lernen.

Nichtexperten

Nehmen Sie ein so triviales Beispiel wie den Einsatz von Office-Paketen. Die meisten Nutzer sind sehr vertraut mit den Programmen und können ihre Aufgaben schnell und mit gutem Ergebnis bearbeiten. Heisst das, dass diese Nutzer Experten sind? Mitnichten. Die meisten Nutzer kennen nur wenige Funktionen und wissen nicht, wie sie ihre Aufgaben auf anderem Wege mit zum Teil erheblich höherer Effizienz lösen könnten. Weil das übliche Vorgehen ausreichend gut funktioniert, wird nichts Neues ausprobiert und nichts Neues hinzugelernt. Die vermeintlich positive Rückmeldung, die solche Personen erhalten, leitet sie fehl. Sie glauben, kompetent zu sein und alles im Griff zu haben. Die Erfahrung, dass es «so gut geht», führt zu einer Illusion der Kontrolle, einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und kann zu unverhältnismässigem Selbstvertrauen beitragen.

Experten

Im Gegensatz dazu lernen Experten ständig hinzu, indem sie neue Möglichkeiten systematisch austesten und von den Ergebnissen, den Erfolgen und Misserfolgen lernen. Die Rückmeldungen zeigen, welche Vorgehensweisen erfolgreich sind, und welche nicht. Sie erlauben es auch zu erkennen, welche anderen Faktoren für Erfolg mit ausschlaggebend sind. Nehmen Sie zum Beispiel herausragende Musiker: Sie haben nicht nur eine sehr lange Ausbildung hinter sich, in der sie meist gezielt die kritische Rückmeldung anderer hervorragender Musiker gesucht haben. Vielmehr probieren sie ständig neue Möglichkeiten aus. Sie experimentieren damit, wie sie ein Stück anders und vielleicht noch besser oder interessanter interpretieren könnten. Dass sie Meister ihres Fachs sind, heisst eben nicht, auf Bewährtes zu setzen. Weil sie sich immer wieder der Möglichkeit des Scheiterns aussetzen, lernen sie, was sie erfolgreich macht und wo ihre Grenzen liegen. Das reduziert die Gefahr, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und einer Illusion der Kontrolle anzuhängen.

Denkfallen

Denkfallen sind eine Folge davon, wie wir wahrnehmen, denken, lernen und fühlen. Sie resultieren aus unseren psychischen Prozessen. In der Regel sind wir uns dieser Prozesse nicht gewahr, weshalb es im Alltag meist nicht erkennbar ist, wann wir uns selbst in eine Denkfalle hineinmanövrieren. Die Phänomene eines Planungsfehlers und der Kontrollillusion zu kennen und zu wissen, dass Personen sich selbst systematisch überschätzen, schützt nicht vor den Denkfallen. Was glauben sie, wie gut sie in ihrem Job sind? Meine Vermutung ist, dass sich die meisten als durchschnittlich bis überdurchschnittlich einschätzen. Welchen Einfluss haben Sie auf Ihre Arbeitsergebnisse? Die meisten nehmen wohl einen grossen bis vollständigen Einfluss an. Dann vergegenwärtigen Sie sich bitte, welchen Einfluss Ihr Vorgesetzter und ihre Kunden auf Ihr Tun und die Bewertung Ihrer Arbeitsergebnisse haben. Was glauben Sie, wie sehr sie Experte in ihrem Arbeitsfeld sind? Dann fragen Sie sich bitte, wann sie zum letzten Mal einen neuen Ansatz, eine neue Vorgehensweise ausprobiert haben, obwohl sie skeptisch waren.

Um Denkfallen zu erkennen und sie zu vermeiden, müssen wir uns selbst und unser Tun immer wieder aktiv infrage stellen.

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